Volkswagen:Wie viel kostet ein Pfund Butter, Herr Winterkorn?

Martin Winterkorn vor Abgas-Untersuchungsausschuss

Nuschelnd und einsilbig gab sich Ex-VW-Chef Winterkorn, als er im Januar 2017 vor dem Diesel-Untersuchungsausschuss aussagte.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Unterlagen zeigen, wie akribisch sich Ex-VW-Chef Martin Winterkorn auf seinen Auftritt vor dem Diesel-Untersuchungsausschuss vorbereitete.
  • Gemeinsam mit seinen Beratern bereitete er mehr als 70 Fragen (und dazugehörige Antworten) vor, die im Ausschuss gestellt werden könnten.
  • Die Unterlagen gewähren einen tiefen Einblick in die Person Martin Winterkorn.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

"Chance vertan", "dreist", "vieles bleibt im Dunkeln", "Wolfsburger Wahrheiten". Die Kritiken nach dem Auftritt des Zeugen Martin Winterkorn vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags waren im Januar 2017 nicht gerade begeistert. Der einstige Volkswagen-Chef, den sie intern "Wiko" nannten, war irgendwie nicht zu packen gewesen. Nuschelnd, einsilbig und am Ende mit verschränkten Armen war der damals 69-jährige Manager dagesessen. Eine Sternstunde des Parlaments war seine Befragung nicht. Denn die Kommentatoren fragten hinterher, ob die Abgeordneten richtig nachgefragt hätten.

Dabei hatte sich der Beschuldigte Winterkorn akribisch auf seinen Auftritt in Berlin vorbereitet, wie die im Fall VW ermittelnde Braunschweiger Staatsanwaltschaft später herausfand. Bei einer Durchsuchung in Winterkorns Münchner Wohnhaus waren sie auf einen schwarzen Koffer gestoßen, gefüllt mit diversen Unterlagen, die zur Vorbereitung auf den Ausschuss dienen konnten - darunter nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR auch Unterlagen aus internen Sitzungen des Konzerns, die mit manipulierten Abgaseinrichtungen zu tun hatten. Es waren Material der amerikanischen Ermittler und auch Auszüge der Vernehmung eines Vertrauten Winterkorns. Teilweise sind die Unterlagen doppelt ausgedruckt, teilweise handelt es sich um eine Loseblattsammlung. Am lehrreichsten aber ist eine Liste mit insgesamt 71 zu erwartenden Fragen, zum Teil mit Antwortempfehlungen, die Winterkorn und seine Berater aufgeschrieben hatten.

Leider wurden die allermeisten dieser Fragen später von den Abgeordneten gar nicht gestellt. Was aber, wenn Winterkorn sich selbst befragt hätte? Die Antwort darauf gewährt einen tiefen Einblick in die Person Martin Winterkorn. Am besten kennt man sich selbst, auch die Abgründe.

So hatte Winterkorn offenbar mit Nachforschungen dazu gerechnet, ob er das normale Leben denn überhaupt noch kenne. Wie viel kostet ein Liter Milch, ein Pfund Butter? Wie hoch ist die Miete in Wolfsburg? Wie hoch der Durchschnittsverdienst bei VW? Fragen von Winterkorn an Winterkorn quasi.

Ebenfalls interessant wäre gewesen, wie er als Pensionär mit 3000 Euro Rente am Tag das mit den Entschädigungen für die geprellten VW-Kunden in Deutschland so sehe. Die Antwort allerdings wäre eher mager ausgefallen: Er sei, so hatte es sich Winterkorn auf Empfehlung seiner Berater zurechtgelegt, aus dem operativen Geschäft ausgestiegen. Andere Frage der Winterkorn-Mannschaft: Ob er es nicht für pietätlos halte, sich in der größten Krise des Unternehmens so viel Geld pro Tag auszahlen zu lassen. Oder: Ob er, Winterkorn, es denn nachvollziehen könne, dass viele Menschen aufgrund von Fällen wie seinem meinten, die da oben machten sich sowieso nur die Taschen voll? Handschriftlich hatte sich der Manager eine mögliche Antwort darauf notiert: Er könne diese Sicht schon verstehen, aber dies sei sicher nicht der Ort, darüber zu reden.

Er rechnete auch mit Fragen zu den Koi-Karpfen

Winterkorn hatte offenbar fest damit gerechnet, dass sie ihn mit den Kois löchern würden. Auf einer Liste mit vier möglichen Themen hatte er selbst die Kois und die Rente als zwei davon notiert. Beide Fragenkomplexe kamen nicht vor. Der Ausschuss, klagte ein Kommentator später, habe sich nicht einmal erkundigt, ob es Winterkorns Koi-Karpfen auch im Januar "schön warm" hätten. Auch Punkt vier der Liste, die Immobiliengeschäfte der Familie Winterkorn, blieb unerwähnt.

Nur Punkt eins kam im Ausschuss tatsächlich dran: Seit wann Winterkorn Kenntnis von den Dieselmanipulationen im VW-Konzern gehabt habe. Die Frage hat er aus seiner Sicht beantwortet so wie vorbereitet: Dass er die politische Verantwortung für das Versagen übernommen habe und deshalb zurückgetreten sei.

Sieht er das wirklich so? Sieht er eine andere Wirklichkeit als andere? Bei seinen Fragen zu den Kois war ihm und seinen Beratern eher Seltsames eingefallen. Ob der Konzern in Sachen Nebenleistungen fürs Spitzenpersonal auch mal ein großer Spieler sein wollte, hätte demnach jemand fragen können. Oder ob ein Koi nicht eigentlich nur ein optimierter Karpfen sei. Ob die Pflege der Fische ihn, Winterkorn, bei seiner Arbeit positiv beeinflusst habe und ob VW-Mitarbeiter die Tiere hüten mussten? Gerechnet hat er auch mit der Frage, warum er sich überhaupt eine Villa zum Spottpreis mit Koiteich und Versorgungsleistungen für seine Kinder habe zusichern lassen.

"Youtube-Star" und "König der Branche": Winterkorn über Winterkorn

Welches Bild hat Winterkorn von Winterkorn? Sein Auftritt und die mit Beratern ausgearbeiteten Fragen sollen offenbar zeigen, dass er sich für geradlinig und sachkundig, penibel, aber nie ehrverletzend hält. Für einen Menschen, der ein klares Wort schätzt.

Bei den Fragen an sich selbst fiel ihm aber noch ganz anderes ein: Er sei ja auch ein "Youtube-Star", er sei "König der Branche" gewesen und "ganz Deutschland" habe ihm zu Füßen gelegen. Diese Passagen finden sich in den fiktiven Fragen 39 und 40. Hätte man ihn so beschreiben dürfen? Bei Terminanfragen an die Kanzlerin habe er nicht mal eine Woche auf Antwort warten müssen. Waren Politiker, insbesondere die mit einem VW-Werk im Wahlkreis, ihm gegenüber "willfährig"? Gute Frage.

Die letzte vorbereitete Frage, Nummer 71, drehte sich darum, wie er sich auf seine Aussage im Bundestag vorbereitet habe. Und die hat Winterkorn aus Sicht der Ermittler nicht vollständig beantwortet: Er sagte, dass er sich mit den beiden Anwälten, die neben ihm saßen, auf die Sitzung vorbereitet habe und mit einem Direktor von VW. Das sei es "im Wesentlichen gewesen". Das glauben die Fahnder allerdings nicht. Sie fanden beispielsweise auch eine Mail eines Vertrauten Winterkorns, der in dem Verfahren schon eine Rolle spielt. Der schickte "Wiko" sechs Tage vor der Ausschusssitzung unter "Hallo Chef" interessante Dokumente zu - und bat zugleich um "absolut vertrauliche" Behandlung. Aus Sicht der Ermittler ist das kein Spaß, weil "verfahrensrelevante Unterlagen" verschickt worden seien.

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