Süddeutsche Zeitung

Marktmacht der Verbraucher:Abstimmung mit dem Geldbeutel

Billige Textilien, teurer Strom: Nach Ansicht der Politik liegt es in der Hand der Verbraucher, ihre Marktmacht für bessere Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern einzusetzen - und für günstigere Energiepreise auf dem deutschen Markt.

Von Markus Balser

Die Politik entdeckt den Verbraucher, das unbekannte Wesen. Sie sollen richten, was in der Marktwirtschaft schiefläuft - und das sind mal viel zu niedrige und mal zu hohe Preise.

Viel zu billige Produkte, verbunden mit inhumanen Arbeitsbedingungen in Großfabriken der Dritten Welt - das schreckt Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) auf, nachdem am Wochenende bei einem Feuer in einer Textilfabrik in Bangladesch bei Dhaka mehr als 100 Menschen gestorben waren.

Die Fabrik Tazreen Fashion Limited gehört zur Tuba Group, die unter anderem für C&A, Carrefour und Wal-Mart produziert. "Wer ein T-Shirt für 99 Cent kauft, der muss - bei aller Freude über den niedrigen Preis - wissen, dass dieser niedrige Preis auf Kosten der Erzeuger geht, häufig in Entwicklungsländern", mahnt Minister Niebel. Der Verbraucher könne seine Marktmacht einsetzen. Auch Ex-Bundesarbeitsminister Norbert Blüm fordert ein neues öffentliches Bewusstsein: "Wir brauchen so eine Welle, dass es für die Schnäppchenjäger Grenzen der Menschlichkeit gibt."

Stromanbieter wechseln

Die geballte Macht der Verbraucher ist gefragt. Sie soll dagegen in Deutschland dafür sorgen, dass Energie nicht zu teuer wird. Gut 500 Stromversorger, mehr als die Hälfte aller Gesellschaften in Deutschland, wollen zum Jahreswechsel ihre Preise erhöhen. Durchschnittlich zwölf Prozent mehr müssen Kunden dann 2013 zahlen.

Nach dem Willen von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt sollten die Deutschen dem Treiben ihrer Anbieter nicht länger tatenlos zusehen. Die Verbraucher sollten ihre Stromversorger wechseln, um 2013 nicht drastisch erhöhte Rechnungen zahlen zu müssen: Zu dieser radikalen Reaktion rufen Netzagentur und Kartellamt in ihrem ersten gemeinsamen Monitoringbericht zum Strom- und Gasmarkt auf. "Vor dem Hintergrund weiterer für 2013 angekündigter Strompreiserhöhungen sollten alle Verbraucher prüfen, ob nicht günstigere Angebote verfügbar sind", sagt Netzagentur-Präsident Jochen Homann. Das fördere den Wettbewerb, assistiert Kartellamts-Chef Andreas Mundt.

Zwar haben 2011 fast 30 Prozent mehr Bürger und Firmen die Möglichkeit zum Wechsel bereits genutzt, die Zahl der Wechsel-Kunden stieg damit auf 3,8 Millionen - dennoch bleiben die meisten Kunden bislang ihrem meist teurerem Tarif treu. Dabei ist der Wechsel einfach: Tester wie die Stiftung Warentest ermitteln günstigere Tarife. Der neue Anbieter kümmert sich in der Regel um die Formalitäten und kündigt dem alten Stromversorger. Erhöht der Anbieter den Preis, haben Kunden ein Sonderkündigungsrecht. Die Frist ist mit vier Wochen bis zum Monatsende allerdings meist knapp bemessen.

Sorge bereitet den beiden Behörden auch, dass die deutschen Stromnetze immer häufiger an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Immer häufiger müssten zur Stabilisierung unplanmäßig Kraftwerke abgeschaltet oder angeworfen werden. Für Homann und Mundt ein Warnsignal: "Gemessen an dem starken Zubau der erneuerbaren Energien schreitet der Netzausbau nur äußerst langsam voran, wichtige Netzausbauprojekte haben erheblichen Zeitverzug." Im internationalen Vergleich stehe Deutschland allerdings immer noch sehr gut da. Auch nach Stilllegung von acht alten Kernkraftwerken im Zuge der Energiewende erweise sich das deutsche Stromnetz mit einer durchschnittlichen Unterbrechungsdauer von gut 15 Minuten pro Kunde im Jahr als sehr zuverlässig. Und was die Preise angeht: Da ist ja noch der Verbraucher.

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SZ vom 28.11.2012/mahu
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