Marktmacht Amazon:Im Fluss der braunen Pakete

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Ein nicht enden wollender Strom aus braunen Paketen: Der Versandhändler Amazon ist längst mehr als ein Buchladen, er greift in alle Richtungen aus. Gewerkschafter klagen über Arbeitsbedingungen in den Versandlagern. Millionen kleinere Händler nutzen Amazon als Verkaufsplattform. Eine "tödliche Umarmung"?

Jannis Brühl

Kein Belletristik-Regal, und keines für Kinderbücher. Stattdessen Steven King neben der DVD von Mad Men: In den Amazon-Versandzentren - wie hier in Pforzheim - herrscht eine eigene Ordnung, Computer geben den Lagerarbeitern den perfekten Weg vor. (Foto: dpa)

Der Paketbote ist schuld. Er hat die Lieferung von Amazon nicht bei den Nachbarn abgegeben, sondern in der Buchhandlung im Nebenhaus. Damit bringt er einen in eine unangenehme Situation. Jetzt steht man verlegen vor dem Ladenbesitzer und sagt: "Ich glaube Sie haben etwas für mich, von Amazon." Er straft einen mit dem verachtungsvollen Blick des Verratenen, als er den braunen Karton mit dem Logo übergibt. "Sie wissen, dass Sie jedes Buch auch bei mir bestellen können." Ja, kann man. Aber man tut es nicht. Amazon hat den Buchhändler zum Briefkasten degradiert.

Denn es ist ja viel bequemer, von zu Hause aus am Computer zu bestellen, zu jeder Zeit, auch nachts, wenn die Läden geschlossen sind. Und die Ware wird meist kostenlos ins Haus geliefert.

Um Bücher geht es dabei nur noch am Rande. Denn der US-Versandkonzern Amazon, vor 18 Jahren gestartet mit dem Ziel, der "größte Buchladen der Welt" zu werden, ist längst mehr als das: DVDs, Elektronik, Spielzeug, Küchenmaschinen, Schuhe, Toilettenpapier, Armbanduhren - es gibt kaum noch ein Produkt, dass sich bei Amazon nicht bestellen lässt. Alles von A bis Z - so wie es der Pfeil im Konzernlogo andeutet.

Wer den Konzern immer noch für einen Intellektuellen-Supermarkt hält, liegt daneben. Amazon ist heute das mit Abstand größte Kaufhaus der Welt, ein Basar der Superlative. Im Jahr 2000 lag der Umsatz noch bei 2,7 Milliarden Dollar, 2010 waren es schon 34 Milliarden, inzwischen ist die 50 Milliarden Dollar-Grenze geknackt.

In fünf Jahren, sagen Marktforscher, könnten es schon 150 Milliarden Dollar sein. Bücher und Musik machen nur noch einen kleinen Teil des Gesamtumsatzes aus. Zwei Drittel erzielt Amazon mit Nicht-Medien-Produkten und Dienstleistungen.

Am Anfang herrschte große Skepsis

Vor zehn Jahren hatten viele diesen Erfolg nicht für möglich gehalten. Allein die nötige Logistik: zu kompliziert, zu teuer, hieß es damals. Amazon-Gründer Jeff Bezos wurde bestenfalls belächelt. Er war nach dem Platzen der New-Economy-Blase nur knapp an der Pleite vorbeigeschrammt, die Skepsis über allzu hochfliegende Pläne also verständlich. Doch er hielt durch und hat die Kritiker eines Besseren belehrt. Heute lächelt niemand mehr - außer Bezos. Er hat den Handel vermutlich tief greifender verändert, als alle anderen Innovatoren zuvor.

Wer die Revolution aus der Nähe betrachten will, kann nach Graben fahren, einem kleinen Ort bei Augsburg. Hier, auf einer Fläche so groß wie 16 Fußballfelder, hat Amazon ein Logistikzentrum errichtet, eines von acht in Deutschland. Ein gigantischer Warenumschlagplatz, mehr als eintausend Menschen arbeiten hier - im Weihnachtsgeschäft können es bis zu drei Mal so viele sein.

Die Straße, an der das Warenzentrum liegt, heißt Amazonstraße. Wer investiert, schafft an, und Amazon investiert hier eine ganze Menge. Demnächst wird es auch eine Bahnstation im Gewerbegebiet geben, finanziert vom Konzern, der Bahn und der Gemeinde. Noch fahren hier nur Lieferwagen vor, einer nach dem anderen, sie werden entladen, die Waren von den Mitarbeitern in den Hallen auf Regale verteilt.

Ein brauner, scheinbar nie endender Strom von Produkten

Andere Mitarbeiter holen wiederum Waren aus dem Lager, packen sie in die Pakete in charakteristischem Braun und schubsen sie aufs Fließband. Päckchen um Päckchen um Päckchen schießt das Band hinab, Hunderte pro Minute. Ein brauner, scheinbar nie endender Strom von Produkten - Bezos' Prophezeiung, die im Namen des Unternehmens steckt, ist wahrgeworden. Der größte Fluss der Welt - darunter wollte er es von Anfang an nicht machen.

Es ist ein Fluss, der sich mit immer neuen Armen in die Landschaft gräbt und immer weitere Branchen unter Wasser setzt. Amazon ist nicht mehr nur Online-Händler, sondern produziert auch selbst. Mit dem elektronischen Buchlesegerät Kindle und mehr noch mit dem Flachcomputer Kindle Fire macht der Konzern Apples iPad Konkurrenz - vor allem über den Preis. Er bietet Online-Musik und -Videos an, einen eigenen App-Store, Programme für Smartphones.

Mit eigenen Rechenzentren mischt er im rasch expandierenden Geschäft des Cloud Computing mit: Kunden können ihre Daten ins Internet auslagern, dann von überall und jedem Gerät darauf zugreifen. Auch unter die Verleger ist Amazon gegangen, verpflichtet Bestseller-Autoren, macht Bücher, auch gedruckte. Ralf Kleber, Deutschland-Chef von Amazon, nennt das die "Unternehmensmission": sich beim Angebot "keinerlei Form der Begrenzung" aufzuerlegen. Manchen macht das inzwischen Angst. Denn der Strom hat vieles mitgerissen.

Zunächst waren es die Buchhändler. Große Ketten wie Hugendubel oder Thalia schlossen Filialen, in den USA machte der zweitgrößte Händler Borders ganz dicht. Und während die Buchhändler überlegen, wie sie ihre überschüssigen Flächen mit anderen Produkten füllen können, ist Amazon schon einen Schritt weiter. Greift Elektronikketten wie Media-Saturn an, wo man schon lange nicht mehr damit wirbt, der Preisbrecher zu sein.

"Spieltrieb, Geschäftssinn und Begeisterung für die eigene Idee": Amazon-Chef Bezos fordert Perfektion. (Foto: dpa)

Den Preis bestimmt Amazon, von den Kunden jederzeit über Smartphones abrufbar. Nächstes Ziel könnten die Buchverlage sein, die nun schon ihre Kräfte bündeln, um im schnell wachsenden E-Book-Markt mit Amazon mithalten zu können: Random-House, der internationale Arm von Bertelsmann, fusioniert mit dem britischen Penguin-Verlag. Andere versuchen erst gar nicht, gegen Amazon anzutreten. Deutschlands größte Drogeriekette dm vertreibt ihre Eigenmarkte Balea direkt über den US-Händler.

Vermutlich eine kluge Entscheidung. Denn Amazon, sagt Gerrit Heinemann, einer der wenigen deutschen Experten in Sachen Online-Handel, sei ein "Category Killer": ein Unternehmen, das in einzelnen Warengruppen die maximal mögliche Auswahl bietet, dadurch Marktmacht aufbaut und andere Händler an den Rand drängt. Unter anderem bei Büchern habe man das gut beobachten können.

"Die fangen erst an zu schießen"

Die nächsten Branchen, fürchtet er, würden bald folgen. In Deutschland habe Amazon "die Rohre erst geladen. Die fangen erst an zu schießen". Heinemann kennt sich aus. Er hat früher für Douglas und Metro-Kaufhof gearbeitet. Heute lehrt er an der Hochschule Niederrhein, ist als Berater tätig und sitzt im Aufsichtsrat des Amazon-Konkurrenten buch.de.

Viele große Händler in Deutschland, sagt er, hätten den Umstieg ins digitale Geschäft zu lange unterschätzt, sich auf den nationalen Wettbewerb konzentriert und die "Bomben aus dem Ausland" nicht kommen sehen. Jetzt falle die Aufholjagd doppelt schwer.

Und der traditionelle Versandhandel? Die einstigen Branchengrößen Neckermann und Quelle - nur noch Geschichte. Überlebt hat der Otto-Versand, der sich rühmt, schon seit 1995 im Internet zu sein, so lange wie Amazon also. Bislang kam man sich auch nicht allzu sehr in die Quere. Doch das ändert sich. Amazon baut das Geschäft mit der Mode massiv aus - ein Angriff auf Ottos wichtigsten Umsatzbringer.

Aber der Siegeszug von Amazon kennt nicht nur Verlierer. Manche hat er auch reich gemacht durch sein Angebot an andere Händler, die Amazon-Website als Plattform für ihren Verkauf zu nutzen. Dem US-Konzern gelang es so, sein Angebot rasch auszudehnen, den Strom breiter zu machen, um die Wünsche der Kunden zu erfüllen, denen es egal ist, von wem die Ware kommt. Zwei Millionen externe Anbieter sind bei Amazon aufgesprungen, darunter Händler, die selbst zu Millionären geworden sind, aber auch kleine Anbieter.

Bis zu 15 Prozent des Verkaufspreises geht an Amazon

Eine von ihnen sitzt in Berlin-Pankow zwischen Kartons voller Versandtaschen und Plastikkram. Selbst wenn die Gänge in diesem alten Stasi-Bau besser beleuchtet wären, gäbe es dort nicht viel zu sehen. Der Linoleum-Boden ist hellbraun, die Holzvertäfelungen der Wände dunkelbraun. Die einzige andere Farbe im Gebäude haben die Heizungen, die jemand in einem Anflug von Neunziger-Jahre-Geschmacksverirrung giftgrün gestrichen hat. Von hier aus beschaffte Stasi-Oberst Schalck-Golodkowski der klammen DDR Devisen.

Heute macht hier Lucia Gündling Geschäfte, sie hat sechs Räume als Lager für ihren Amazon-Shop gemietet. Die 48-Jährige trägt ein schwarzes Oberteil, ein Kontrast zu ihren wasserstoffblonden Haaren. Sie und ihr Freund verdienen seit zwei Jahren ihren Lebensunterhalt als externe Amazon-Händler. Sie folgen dem Trend des Konzerns: Mittlerweile sind nur noch zehn Prozent ihrer Artikel Bücher.

In den Regalen herrscht Ordnung: Informatik-Ratgeber hier, die Bibel dort, auf der anderen Seite des Raumes Fliegengitter, Hundenäpfe und Kiffer-Zubehör, geordnet in Boxen. Auch Rares hat seinen Platz: "Das 'Deutsche Hengstregister' ging für 230 Euro weg", erzählt sie.

Bis zu 15 Prozent des Verkaufspreises zahlt Gündling an Amazon, dazu kommt eine monatliche Pauschale von 44 Euro und ein Teil der Versandkosten. Bei Ebay könnte sie es billiger haben. Und doch bleibt sie bei Amazon - wegen der Größe und weil der Service besser ist. Amazon stellt Händlern auf Wunsch seine Lagerhäuser zur Verfügung, wickelt den Versand ab.

Gündling hilft der Konzern beim Marketing und übernimmt das Inkasso. Gerade kleinere Anbieter kann das Risiko, dass der Kunde nicht zahlt, belasten. "Bei Ebay müssten wir selbst Mahnungen schreiben - dafür fehlt einfach die Zeit", sagt Gündling. Natürlich ist sie nicht mit allem zufrieden, bei der Kommunikation hapere es, bei Anfragen würde man oft mit vorgefertigten Textbausteinen abgefertigt.

Doch Gündling hat es gut getroffen. Mehrere tausend Sendungen im Jahr bringt sie über den "Marktplatz" an die Kunden. Das liegt auch daran, dass Amazon sie im Internet sichtbar macht. "Wenn sie ,Bambusbong' eingeben, sind wir in den Top 5 - auch bei Google." Das Ranking auf den Seiten selbst ist wichtig: Nur wer unter den ersten Anbietern steht, macht das Geschäft, so die Faustregel. Wer und wie man nach oben kommt, bleibt weitgehend Amazons Geheimnis, auch wenn Deutschland-Chef Kleber das anders darstellt.

Händler mit guten Bewertungen, die Ware verfügbar hätten, wanderten auf der Liste nach oben, sagt er. "Dieser Wettbewerb ist frei." Kontrollieren lässt sich das nicht. Lucia Gündling glaubt, dass auch Händler bevorzugt werden, die ihre Ware bei Amazon einlagern und den Konzern für den Versand zusätzlich bezahlen. "Ich bin mir sicher, dass es ein Belohnungs- und Bestrafungssystem gibt."

"Wer mit Amazon arbeitet, stärkt seinen eigenen Konkurrenten."

Sie sollte sich dennoch nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Denn Amazon, sagt Experte Heinemann, sei eben nicht nur eine Handelsplattform, sondern auch selbst Händler: "Wer mit Amazon zusammenarbeitet, stärkt im Grunde seinen eigenen Konkurrenten." Und das könnte für manchen kleinen Anbieter gefährlich werden.

Die Computer des US-Konzerns registrierten genau, welche Produkte sich gut verkaufen, und oft nehme der Konzern diese dann auch selbst ins Sortiment. Und dann erzählt Heinemann, dass ein ehemals führender Konzernmitarbeiter nach ein paar Bier das Verhältnis von externen Anbietern und Amazon als "tödliche Umarmung" bezeichnete.

Wer erfolgreich ist, laufe Gefahr, erdrückt zu werden. Deutschlandchef Kleber lacht, als man ihn mit dieser Aussage konfrontiert. "Es ist nicht weiter verwunderlich, dass gute Produkte auch von anderen Händlern angeboten werden", sagt er. Konkurrenz gehöre eben zum Geschäft. Pech nur, wenn einer der Beteiligten um ein Vielfaches stärker ist, als die anderen.

Wie hat es Amazon geschafft?

Doch was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? Wie hat es Amazon geschafft, eine solche Marktstärke aufzubauen? Uwe Clausen, der heute das Fraunhofer-Institut für Logistik in Dortmund leitet, war bis 2001 bei Amazon für die Logistik zuständig. Er sagt: "Amazon hat die Verbindung von Warenwirtschaftssystemen und Frontend perfektioniert." Was er damit meint, ist: Niemand schafft es, so schnell, so präzise und mit einer so breiten Angebotspalette die Wünsche der Kunden zu erfüllen - und ihnen vielleicht auch noch den einen oder anderen "Wunsch" anzudrehen, wie Amazon.

Die Rechner des Konzerns registrieren nicht nur genau die Bewegungen der potenziellen Kunden bei der Suche nach Produkten. Sobald ein Kunde am Computer auf den Knopf "Kaufen" drückt, setzen sie eine fein abgestimmte Maschinerie in Gang. Der Klick des Käufers alarmiert den Mitarbeiter im Warenlager, der auf seinem Lesegerät genau sehen kann, welchen Artikel er aus welchem Regal holen, wann verpacken und auf welches Fließband legen muss, damit die Bestellung in der gewünschten Zeit beim Kunden ankommt.

Es ist ein System, dass für fachfremde Beobachter viele Überraschungen bereithält. Denn von Ordnung, wie man sich diese gemeinhin vorstellt, ist im Logistikzentrum in Graben nichts zu sehen. Hier gibt es kein Belletristik-Regal und keines für Bildbände. "Das wäre fatal", sagt Norbert Brandau. Der kräftige 44-Jährige ist Leiter des Logistikzentrums.

Von der Ausbildung her ist er eigentlich Chemiker, aber auch hier hat er es mit komplexen Zusammenhängen zu tun. Aus allen Himmelsrichtungen fließen die Warenströme in das Lager, und in alle Himmelsrichtungen fließen Warenströme wieder hinaus. Eine Trennung nach Produktgruppen würde die fein abgestimmten Abläufe stören, sagt Brandau und erklärt: "Wir sortieren nach Größe. Davon abgesehen herrscht Chaos."

Ein organisiertes Chaos allerdings: Software rechnet den perfekten Weg aus, auf dem Mitarbeiter Warenladungen möglichst optimal zusammenstellen. In orangenen Westen eilen die Arbeiter durch die Gänge, ausgerüstet mit einer Art Einkaufskorb und einer Scan-Pistole. Der Computer weist ihnen den Weg. Der Bestseller "Hunger Games" lagert neben der Doku-DVD "Senna" und der neuen CD von Van Halen. Der neueste Roman von Steven King befindet sich neben der DVD-Box der Serie "Mad Men". In anderen Regalen: Fußbälle, Kondome, iPhones von Apple.

Das Chaos verrät manches über Amazon-Gründer Jeff Bezos, den Tüftler und Techniker, der als Finanzanalyst an der Wall Street arbeitete, bevor er die Idee hatte, den größten Online-Händler zu starten. Und der inzwischen immer wieder mit Steve Jobs, dem genialen Apple-Gründer, verglichen wird.

"In gewisser Weise ist es eine besessene Firma"

Clausen sagt, Bezos zeichne sich durch "eine Mischung aus Spieltrieb, Geschäftssinn und Begeisterung für die eigene Idee" aus - auch das zeigt Parallelen zu Jobs. Ähnlich wie dieser schirmt auch der 48-jährige Bezos, Vater von vier Kindern, sein Privatleben streng ab, gibt nur selten Interviews, fordert von seinen Mitarbeitern Perfektion - aber auch Begeisterung. "In gewisser Weise ist es eine besessene Firma", sagt Clausen.

Nicht ganz ins Bild dieser besessenen, genialen und modernen Firma passt da der Vorwurf, dass Amazon bei den Löhnen der einfachen Mitarbeiter in den Warenzentren knausert. Der US-Konzern ist nicht an einen Tarifvertrag gebunden. Die angestellten Warenhausbeschäftigten oder Komissionierer - "Picker" im Amazon-Sprech - bekommen mehr als 2,50 Euro weniger pro Stunde als im Tarifvertrag der Branche vorgesehen, und kein Weihnachts- und Urlaubsgeld, sagt Thomas Gürlebeck.

Er ist bei der Gewerkschaft Verdi für das Versandlager in Graben zuständig. Deutschland-Chef Kleber sagt zu den Vorwürfen lediglich: Dass kein Tariflohn gezahlt werde, sei eben eine "Entscheidung des Unternehmens". Die Bezahlung sei "wettbewerbsfähig" - außerdem gehe es um Einstiegsgehälter, die mit der Zeit steigen könnten.

Vermutlich sind viele Mitarbeiter auch froh, hier einen Job gefunden zu haben. An machen Orten, in denen Amazon seine Zentren errichtete, gibt es nicht viele Alternativen. Und der Konzern stelle auch Langzeitarbeitslose ein, lobt Gürlebeck.

Gängelei, Druck, Akkord

Inzwischen gibt es in einigen Logistikzentren Betriebsräte, an den neuen Standorten sollen demnächst Arbeitnehmervertreter gewählt werden. Amazon hat angekündigt, diesen Prozess nicht zu behindern. Gewerkschafter Gürlebeck geht aber davon aus, dass das Unternehmen Führungskräfte zur Wahl aufstellen wird, um den Rat arbeitgeberfreundlich zu halten. Er erzählt von Arbeitern, die sich gegängelt fühlten durch Sicherheitskontrollen oder per SMS auf ihre Kommissioniergeräte Druck bekommen, bestimmte Paketzahlen pro Stunde zu packen.

In den Lagerhallen in Graben wird konzentriert gearbeitet und wenig gesprochen. Gabelstapler surren, Kartons werden gefaltet und gestaucht, Waren-Scanner piepen. Hier herrschen eigene Verkehrsregeln. Die orangenen Linien dürfen Fußgänger nicht überschreiten, um nicht von den vorbeisausenden Hubwagen erfasst werden.

Von einem Fußgängersektor in den anderen läuft man über blaue Zebrastreifen. Mitten im bayerischen Schwaben wird die Sprache des globalen Handels gesprochen und geschrieben. Jeder Bereich hat einen Namen, der klingt wie der Befehl eines American-Football-Trainers. Pick. Sort. Stow. Ship.

Standortleiter Norbert Brandau weiß, wie das wirkt und sagt fast entschuldigend: "Wir versuchen zumindest auf Betriebsversammlungen, Anglizismen zu vermeiden." Auch für das Versandlager gibt es einen Anglizismus: Fulfillment Center, als würden hier alle Wünsche in Erfüllung gehen.

Ein breiter Fluss spült auch eine Menge Unbrauchbares mit sich. Herausgefischt wird das in Graben in einer eigenen Halle. Hier werden Retouren aussortiert. Was geht noch? Was geht nicht mehr? Kaputte Produkte werden ins Land des Schadens verfrachtet - "Damageland" heißt die Station, von der aus sie zurück zum Hersteller gehen. Leichte Mängel dagegen bringen Amazons Maschine nicht ins Stocken. Auch mit solchen Produkten wird Geld gemacht. Sie werden unter der Amazon-Rubrik "Warehouse Deals" verramscht.

© SZ vom 03.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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