Die Wege in Moskau sind lang. Doch obwohl man tagsüber selten länger als 90 Sekunden auf die nächste Metro wartet, nutzen viele Moskauer lieber das Taxi. Denn das Benzin ist günstig, die Sitze sind bequemer. Und Taxi, das bedeutet in Moskau meist: Yandex Taxi. Das Unternehmen beherrscht diesen Markt mit seiner App fast komplett, ähnlich wie bei unzähligen anderen digitalen Dienstleistungen. Yandex ist tief in viele Lebensbereiche der Russen eingedrungen.
Um die schiere Größe zu fassen, reicht eine Aufzählung: Google, Amazon, Netflix, Uber, Paypal, Lieferheld, Car2Go und und Spotify - all solche Dienste gibt es in Russland auch, allerdings von einem einzigen Konzern. Das Unternehmen hat eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen, wuchs mit dem Kapital ausländischer Investoren zu einem milliardenschweren Tech-Giganten. Nicht immer zur Freude der russischen Regierung unter Wladimir Putin. Yandex verfügt über Millionen Daten russischer Bürger und ist damit ein Machtfaktor, den der Kreml kontrollieren will, unlängst mit einem neuen Gesetzentwurf.
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Anfang der 1990er-Jahre war Yandex allerdings noch weit davon entfernt. Arkadi Wolosch gründete das Unternehmen mit einem Schulfreund. In Interviews betont er oft, dass er es nicht als Google-Nachahmung entwickelt habe, sondern die Idee mindestens genauso früh hatte: Schon 1994 wurde die Suchmaschine vorgestellt, eine der ersten für kyrillische Buchstaben. Immer mehr Dienste kamen hinzu, schließlich ging Yandex 2011 in den USA an die Börse. Die Mitarbeiterzahl wuchs auf heute 10 000 in neun Ländern.
Spricht man mit Mitarbeitern des Unternehmens, häufig recht jung und gut ausgebildet, viele sprechen mehrere Sprachen, merkt man schnell: Sie sind stolz auf ihren Arbeitgeber. "Das ist fast wie im Silicon Valley zu arbeiten", sagt eine. Mitten im Zentrum der Metropole, unweit vom Ufer der Moskwa hat sich Yandex in einem großen Bürokomplex niedergelassen, eines von mehreren Büros in der Stadt. Außen viel Glas und Stahl, innen viele bunte Farben, grün bepflanzte Wände und verspielte Deko. Es gibt ein Fitnessstudio und einen Bandproberaum, im Innenhof sitzen Mitarbeiter in der Sonne und diskutieren mit ihren Tablets in der Hand.
Die Services, die hier entwickelt werden, funktionieren schnell und zuverlässig. Wie Yandex Taxi: Nutzer bestellen per App, diese errechnet die Fahrzeit und einen Fixpreis. Bezahlt wird virtuell per Kreditkarte oder in bar. Eine Milliarde Fahrten soll Yandex Taxi bereits vermittelt haben, zwei von drei Fahrten in Moskau laufen über die Firma. In Russland konnte der Konzern sein Monopol sogar gegen Uber verteidigen: Der US-Fahrdienst wagte sich 2017 dorthin, zog sich aber angesichts der Marktmacht von Yandex schnell wieder zurück und begnügte sich mit Anteilen an Yandex Taxi. Statt der schwarzen Uber-Werbung dominieren weiter die rot-weiß-gelben Yandex-Wagen das Straßenbild.
Der Hauptsitz ist in Amsterdam. Dem Kreml missfällt das
Eigentlich gilt Yandex als relativ loyal dem Kreml gegenüber. Doch dass große Anteile des Konzerns ausländischen Eignern gehören und er seinen rechtlichen Hauptsitz in Amsterdam hat, beobachtet die russische Regierung seit Jahren kritisch. Immer wieder versuchte sie, mehr Kontrolle zu bekommen - oft mit der Begründung, die sensiblen Nutzerdaten vor dem Zugriff aus dem Ausland und somit die "nationale Sicherheit" zu schützen.
Kritische Äußerungen des russischen Präsidenten Putin oder Gesetzesvorhaben zur Regulierung von Internetfirmen ließen den Aktienkurs von Yandex immer wieder kurz einbrechen. Im Jahr 2014 fiel der Kurs zwischenzeitlich um 20 Prozent, als Putin das Internet als "Projekt der CIA" bezeichnete und auch Yandex unterstellte, Verbindungen zu ausländischen Geheimdiensten zu haben. Doch während früher Ölkonzerne wie Jukos von Michail Chodorkowski einfach zerschlagen wurden, ging die Regierung gegen Yandex bislang weniger hart vor.
Gründer Wolosch, 55, immer noch Chef und inzwischen Milliardär, musste allerdings einige Zugeständnisse machen, um das Unternehmen vor der Nationalisierung oder einer Übernahme durch einen Investor aus dem Dunstkreis des Kreml zu schützen. Das gelang ihm zum Beispiel 2009, indem er der staatlich kontrollierten Sberbank eine "goldene Aktie" gewährte. Damit kann die Bank verhindern, dass ein Unternehmensanteil von mehr als 25 Prozent verkauft wird. "Eigentlich eine gute Regelung, so konnten wir unabhängig bleiben", sagt ein junger Mitarbeiter in Moskau. Zu eindeutigen politischen Äußerungen lässt sich auf dem Yandex-Campus zwar niemand hinreißen, doch es wird deutlich: Man ist selbstbewusst, misst die eigenen Produkte mit denen der Konkurrenz aus den USA. Ein beliebtes Beispiel: Mit Yandex Maps kommt man in Moskau tatsächlich meist besser zurecht als mit dem Kartendienst aus dem Silicon Valley.
Doch dem Staat geht diese Unabhängigkeit zu weit, und die "goldene Aktie" reicht ihm als Sicherheit nicht mehr. Je stärker der Internet-Riese mit seinen Produkten den Alltag der Russen durchdrang und so an den internationalen Kapitalmärkten zu einer gefragten Anlage wurde, desto drängender trat ein Problem in den Vordergrund: Die "goldene Aktie" schloss nicht aus, dass die Mehrheit der Aktienstimmrechte bei Yandex in ausländische Hand geraten könnte.
Um das zu verhindern, schlug der Duma-Abgeordnete Anton Gorelkin von der kremlnahen Partei "Einiges Russland" im Juli 2019 eine drastische Maßnahme vor: Ausländischen Anteilseignern sollte es künftig per Gesetz untersagt werden, mehr als 20 Prozent an russischen Internet-Unternehmen halten zu dürfen, die als strategisch wichtig erachtet werden. Selbst nach Stimmrechten, die zu 43 Prozent in ausländischer Hand liegen, übertrifft Yandex diese Marke bisher deutlich.
Zwar schwächte die Duma den Gesetzentwurf im Herbst etwas ab, nun sollen ausländische Investoren maximal 50 Prozent minus eine Aktie besitzen dürfen. Doch da der Gesetzgeber damit zeigte, dass es ihm wirklich ernst ist mit seinem Vorhaben, brach die Yandex-Aktie um 18 Prozent ein: "Die Anleger befürchteten, dass sie ihre Aktien wahrscheinlich zu einem sehr ungünstigen Kurs verkaufen müssen", sagt der Moskauer Analyst Michail Terentiew von Sova Capital. Fieberhaft versuchte Unternehmensgründer Wolosch, die Pläne zu verhindern.
Der Kompromiss soll alle drei Seiten zufriedenstellen: Management, Investoren und Staat
Und tatsächlich gelang es ihm, wieder einen Kompromiss auszuhandeln, der alle drei Seiten zufriedenstellen soll: das Management, die Investoren und den Staat. Wolosch verpflichtete sich im November zu Auflagen, die verhindern sollen, dass Ausländer die Kontrolle über den Konzern gewinnen. So kam er einer Verstaatlichung zuvor. Die Idee betrifft seine eigenen Aktien, von denen er zwei Jahre lang 95 Prozent nicht verkaufen darf. Die Wertpapiere landen außerdem in einer Stiftung, damit auch dann zwei Jahre alles beim Alten bleibt, sollte Wolosch überraschend sterben.
Doch das ist nicht alles: Künftig soll ein neues Führungsgremium sicherstellen, dass die nationalen Interessen gewahrt werden. Dieser "Stiftung des öffentlichen Interesses" werden künftig drei Yandex-Vorstände, darunter Wolosch, angehören. Außerdem Repräsentanten des russischen Unternehmerverbandes, nicht-staatlicher Forschungseinrichtungen - und Vertreter führender staatlicher Universitäten. Indirekt sitzt der Kreml nun also mit am Tisch, wenn es bei Yandex um wichtige Entscheidungen geht.
Denn diese Stiftung hat viel Macht. Ihr wird die "goldene Aktie" übertragen, außerdem erhält sie diverse Vetorechte und darf sogar den Chef der russischen Yandex-Gesellschaft absetzen. Zwar ist es durchaus üblich, dass Länder ihre wichtigsten Unternehmen vor Übernahmen schützen. In Deutschland etwa will Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Meldepflicht für große Aktienkäufe aus dem Ausland verschärfen, ein Investitionsverbot soll aber die absolute Ausnahme bleiben.
Der geplante Umbau bei Yandex ist ein stärkerer Eingriff in die Geschäftspolitik eines Konzerns, der im globalen Wettbewerb steht. An der Börse wurde der geplante Umbau trotzdem gefeiert, die Aktie legte deutlich zu. "Unter allen denkbaren Maßnahmen war das die beste Lösung", sagt der Analyst Viktor Dima vom Finanzmakler Aton in Moskau. "Eine Verstaatlichung von Yandex hätte die internationalen Investoren verschreckt, ebenso wie wenn ausländischen Anlegern strenge Eigentumsbeschränkungen auferlegt worden wären."
Ob die neue Kontrolle durch den Kreml die Daten der russischen Yandex-Nutzer nun wirklich besser schützt, ist fraglich. Zumal der russische Inlandsgeheimdienst FSB mit seinem Überwachungsprogramm "SORM" den nationalen Internetverkehr ohnehin seit Jahren intensiv auswertet.