Markt contra Staat:Der Wirtschaftswähler

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Die Wähler sind kompetenter als die Volksparteien denken. Denn in der Frage "Markt oder Staat?" geht es um mehr als "Sowohl als auch". Warum FDP und Linkspartei stärker werden.

Marc Beise

Alle denken an sich. Nur ich denk an mich. So pflegen die Deutschen zu wählen, seitdem die gesellschaftlichen Milieus (Bürgertum, Katholizismus, Arbeiterklasse) an Bindungswirkung verlieren.

Die zwei Pole der deutschen Wirtschaftspolitik: Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine (links), der in der Globalisierung für einen stärkeren Einfluss des Staates kämpft und FDP-Chef Guido Westerwelle, der den Marktkräften vertraut. (Foto: Foto: ddp)

Bei der Bundestagswahl 2009 aber haben die Wähler deutlicher als üblich ihr favorisiertes Wirtschaftsprogramm gewählt. Sie haben sich damit als reifer und kompetenter erwiesen, als ihnen das Beobachter vielfach zugetraut haben.

Dabei geht es gar nicht ausschließlich um den strahlenden Erfolg der vermeintlichen Zahnärzte-Partei FDP, sondern ebenso um den Erfolg der Linkspartei.

Eine große Gemeinsamkeit

So unterschiedlich beide sind, so sehr haben sie doch eines gemeinsam: eine klare Vorstellung ihrer Wähler, wie Wirtschaftspolitik sein sollte. Wer sich auf diesem Feld mehr Kompetenz wünscht, weil Wirtschaft mehr denn je unser Schicksal ist, sollte sich darüber freuen.

CDU, CSU und SPD und ihre Anhänger tun das erkennbar nicht. Sie geißeln einerseits die Unreife vieler (FDP-)Wähler, die blind und gierig jenen Scharlatanen nachgerannt seien, die Steuersenkungen in Aussicht gestellt haben - Entlastungen, die die Beobachter apodiktisch (ist doch klar!) für unrealistisch und also verlogen erklären. Und sie qualifizieren gleichzeitig die Wähler der Linkspartei ab, die auf das Heilsversprechen von Lafontaine und Gysi hereingefallen seien. So einfach aber liegen die Dinge nicht.

Das Wahlergebnis zeigt zwei grundverschiedene wirtschaftspolitische Positionen im Land. Vereinfacht gesprochen, sind das zum einen jene, die sich sorgen. Die Angst haben vor Strukturwandel und Globalisierung. Die klagen, dass der internationale Wettbewerb zu Lasten Deutschlands geht.

"Agenda 2010" und Jusos aus einer Hand

Sie vertrauen weder dem Markt noch ihrer eigenen Gestaltungskraft. Sie fordern den starken Staat, der sie beschützen möge, der ihnen umfassend helfe, wenn sie arbeitslos sind und womöglich für immer bleiben. Wer so denkt, gehörte früher zum weiten Kreis der SPD-Wähler.

Aber die SPD ist zur Alles-und-jedes-Partei geworden. Sie bietet den Agenda-2010-Administrator Frank-Walter Steinmeier ebenso auf wie Jusos und Andrea Nahles. Wessen Weltbild glasklar auf "mehr Staat und mehr Sicherheit" gerichtet ist, wählte diesmal besser Linkspartei.

Dem entgegengesetzt sind jene, die noch an die eigene Gestaltungskraft und wirtschaftliche Freiheit glauben. Die sich zutrauen, selbst die Ärmel hochzukrempeln, wenn der Staat sie nur lässt. Die im Erfolgsfall die Früchte ihres Einsatzes auch selbst ernten und nicht automatisch weit mehr als die Hälfte ihres Bruttoeinkommens für Steuern und Abgaben an den großen Moloch Staat abgeben wollen. Die dem deutschen Mittelstand weiter Großes zutrauen, wenn der nur Geld und Kraft dazu hat.

Diese Bürger wählen traditionell FDP, aber auch CDU und CSU. Der frühere Fraktionschef der Union, Friedrich Merz, ist eines ihrer Idole. Aber der Wirtschaftsflügel der Union führt unter Angela Merkel und Horst Seehofer ein Schattendasein, und Merz ist aus dem Bundestag geflohen.

Zwei legitime Sichtweisen

Auch die CDU ist zur Alles-und-jedes-Partei geworden, erst recht die CSU, die das Kunststück vollbracht hat, für weniger Staat und Steuersenkungen ebenso glühend zu werben wie für mehr Staat und Sozialleistungen. Wessen Weltbild glasklar auf "weniger Staat und mehr Freiheit" ausgerichtet ist, musste diesmal FDP wählen (oder die Grünen, deren Realos Wirtschaftskompetenz mit Umweltkompetenz paaren).

Weniger Staat oder mehr Staat: Diese Pole prägen das Land. Man wird das eine für richtig und das andere für falsch halten - beides aber sind legitime Sichtweisen von Wirtschaft. Und beide sind allemal reifer und klüger als das unverbindliche Sowohl-als-auch.

Der Wettbewerb könnte spannend und fruchtbar werden. Wer den Marktkräften weiter vertraut, trotz oder vielleicht gerade wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise, muss hoffen, dass Schwarz-Gelb im Regierungsalltag überzeugt.

Wird "Mehr Markt und weniger Staat" auch im 21. Jahrhundert funktionieren? Die Wähler dieses Modells glauben es. Aber glauben es auch die von ihnen gewählten Politiker?

© SZ vom 29.09.2009/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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