Süddeutsche Zeitung

Marketing:Persönliche Kontakte

Trotz der Digitalisierung sind Messen als Kommunikations­instrument nach wie vor unverzichtbar. Viele Unternehmen nutzen die Veranstaltungen nicht nur zum intensiven Austausch, sondern auch, um Mitarbeiter zu finden.

Von Helga Einecke

Messen können leicht stressig sein, und zwar für Aussteller und Besucher. Man läuft viel, hört viel, redet viel, zeigt viel, spricht mehrere Sprachen, kämpft mit der Technik, schleppt eine Menge Material mit sich herum, gibt viel Geld aus. Lohnt dieser Aufwand überhaupt im digitalen Zeitalter? Könnte man nicht einfach vom Schreibtisch aus alles mit ein paar Klicks erledigen? Produkte und Verfahren lassen sich doch bequem in all ihren Dimensionen und Funktionen am Bildschirm zeigen und erklären.

Valeska Haux widerspricht. Ja, die Kunden gingen anfangs für ihre Kaufentscheidungen sehr stark online. Aber erst auf der Messe holten sie sich die Bestätigung für ihre Wahl ab. Hinzu komme das "Grundrauschen", das mit persönlichen Begegnungen, mit fachlichen Beiträgen und auch mit einem intensiven Austausch auf allen Medien-Kanälen erzeugt werde. Haux ist Marketing-Chefin des Allgäuer Verpackungsspezialisten Multivac Sepp Haggenmüller. Sie bereitet für ihr Unternehmen jährlich bis zu hundert Messen weltweit im Jahr vor. Ihre drei Leitmessen sind die Interpack in Düsseldorf, die Fleischermesse Iffa in Frankfurt und die Lebensmittel-Messe Anuga in Köln. Hinzu kommen auch Verbrauchermessen wie der Mannheimer Maimarkt, wo zum Beispiel Tisch-Vakuumiergeräte angeboten und in hohen Stückzahlen verkauft werden. Auf den großen Messen geht es um Schneiden und Verpacken von Käse und Fleisch, Obst und Gemüse, um Fertiggerichte, Pillen oder OP-Besteck. Die Allgäuer zeigen ihre gesamte Leistungskette, vor allem aber Innovationen.

Die Messen verschlingen deutlich über die Hälfte des Werbeetats von Multivac. Damit liegt das Unternehmen über dem Durchschnitt. Eine Umfrage des Messeverbandes Auma hat ergeben, dass die 500 befragten Unternehmen im Durchschnitt 47 Prozent ihrer Etats in Messe-Beteiligungen investieren. "Messen sind ein sehr stark akzeptiertes Instrument", fasst Auma-Sprecher Harald Kötter das Ergebnis zusammen. Auf der Rangskala der Werbeausgaben liegen die Messen damit hinter der eigenen Website auf Platz zwei. Weiter abgeschlagen folgen die Bereiche Online, Social Media oder Fachpresse. Die befragten Messe-Aussteller heben hervor, dass die Messen im Vergleich zu digitalen Formaten persönliche Kontakte, kompetente Ansprechpartner und die Ansprache aller Sinne bei der Präsentation der Produkte bieten würden. Man könne dem Kunden Erlebnisse bieten, sie die Produkte ohne Kaufverpflichtung testen lassen. Als Ziele ihrer Messebeteiligung geben die Aussteller an, sie wollten ihre Stammkunden pflegen, neue Kunden hinzugewinnen, ihre Bekanntheit steigern, ihr Image verbessern, neue Produkte zeigen, neue Kooperationspartner gewinnen, Verträge abschließen, neue Märkte erschließen, neue Vertriebswege aufbauen.

Das Messebudget der Unternehmen ist deutlich gestiegen

In diesem und im kommenden Jahr wollen die Aussteller ihr Messebudget um drei Prozent steigern, obwohl die konjunkturellen Aussichten nicht gerade rosig sind. "Messen stehen auf der Sparliste nicht ganz oben", kommentiert Kötter dieses Ergebnis. Er weist auch auf den letzten Einbruch im Zuge der Finanzkrise vor zehn Jahren hin. Damals hätten die Etats nach einer Delle schnell wieder zugelegt. Der Auma-Verband macht diese Ausstellerbefragung seit 20 Jahren, kann deshalb gut vergleichen. So zeigt sich, dass der Anteil der Messebudgets an den gesamten Kommunikationsetats der ausstellenden Unternehmen deutlich gestiegen ist: von 38 Prozent im Jahr 2000 auf 47 Prozent in der aktuellen Befragung. Zugleich haben sich die Unternehmen immer mehr an Messen im Ausland beteiligt. Im Jahr 2000 waren 28 Prozent auch auf Auslandsmessen aktiv, aktuell liegt der Anteil bei 43 Prozent.

Als weiterer Trend erweist sich die Suche und Ansprache von Personal, die als Messeziel deutlich nach vorn gerutscht ist. Man will vor allem für Jugendliche und Studenten interessant werden. Leonhard Lemnitzer leitet das Marketing von Baumüller Nürnberg, einem führenden Hersteller elektrischer Automatisierungs- und Antriebssysteme. Er bestätigt den Trend zur Personalsuche auf Messen. Mitarbeiter der Personalabteilung würden auf den Messeständen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, auch im Vorfeld gezielt Universitäten und Start-ups ansprechen. "Die Messen sind eine Supermöglichkeit, um mit Interessierten in Verbindung zu kommen", meint der Marketing-Mann. Studenten kämen gezielt an den Stand und ließen sich technisch etwas erklären. Fragen nach offenen Stellen oder speziellen Verfahren seien keine Seltenheit. Gerade kleinere Unternehmen wie Baumüller seien attraktiv, weil man dort sofort etwas bewegen könne. Das Unternehmen beteiligt sich pro Jahr an 20 bis 25 Messen, die SPS Nürnberg und die Hannover-Messe sind mit Ausstellungsflächen von 300 Quadratmetern die beiden wichtigsten, auch die Kunststoffmesse K und die Interpack in Düsseldorf spielen eine Rolle. "Wir wollen wertige Kontakte", sagt Lemnitzer. Es gelte aber auch, die Bestandskunden zu pflegen. Normalerweise stiegen die Besucher gleich tief in die Materie ein. Dabei geht es um die Bewegung großer Maschinen, etwa wie Farben im Druckprozess aufgebracht werden oder wie vollelektronische Fähren gesteuert werden. Auch Getränkeabfüller, Verpacker und Textilmaschinen werden von der Firma Baumüller elektronisch bestückt.

Vor und nach den Messen spielt die elektronische Kommunikation eine wichtige Rolle. Messe-Videos werden online gestellt, Gespräche nachbereitet, neue vorbereitet. Echte Geschäftsabschlüsse spielen nach Angaben von Haux dabei keine allzu große Rolle. So ein Handschlag vor der Kamera sehe zwar gut aus, sei aber nicht realistisch.

Schon eher haben die Aussteller etwas übrig für den Erlebnischarakter, den die Messeplätze mit Veranstaltungen rund um die Messe bieten. Man dürfe es nicht übertreiben, meint Marketing-Chefin Haux. "Es nehmen sich nur noch ganz wenige Leute Zeit, eine Stunde lang einen Vortrag zu hören", sagt Haux. "Die Messebesucher haben ein enges Zeitbudget, man muss schnell sein", bestätigt Lemnitzer. Aber die Generationen Y und Z, die voll auf Smartphones und neue Medien setzten, seien durchaus mit Events zu locken. "Wenn ich nicht dabei war, habe ich etwas verpasst", laute das Motto der jüngeren Generation. Die Teilhabe an Veranstaltungen und das elektronische Teilen der Aktionen seien wichtige Aspekte.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2019
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