Marketing:Merk dir meinen Namen!

FILE PHOTO: The Netflix logo is shown in this illustration photograph in Encinitas

Internet-Unternehmen versuchen mit aller Macht, ihre Marke zu einem allgemeingültigen Begriff zu machen. Im Bild das Netflix-Logo in der Version von 2014.

(Foto: REUTERS)

Einst brauchten Unternehmen Zeit und Glück, um ihr Produkt in den Köpfen festzusetzen. Heute versuchen die Giganten des Internetzeitalters, es mit viel Geld sofort zu erzwingen.

Essay von David Pfeifer

Wer eine Firma gründet, sich einen flotten Markennamen ausdenkt und dabei an die Zukunft glaubt, kann nur hoffen, dass es so läuft wie bei Tempo. Vor 90 Jahren gegründet, ist Tempo heute nicht nur Marktführer bei Einweg-Taschentüchern in Deutschland, sondern von einer Marken- zu einer Gattungsbezeichnung geworden. Wer an der Tankstelle, in der Apotheke oder im Krankenbett danach verlangt, bekommt Papiertaschentücher, auch wenn sie von Regina ("Softis") sind oder von Kleenex.

Es gibt einige wenige Marken, die so gut dastehen wie Tempo. Cola ist ein allgemein gültiger Begriff für überzuckerte, koffeinhaltige Brause, selbst wenn sie von Pepsi oder Sinalco hergestellt wurde. Aspirin steht für Kopfschmerztabletten. Zewa-Wisch-und-weg, Maggi, Tupperware, Edding, Colt, Walkman und Pampers - alles Deonyme, also von einem Eigennamen abgeleitete Begriffe für eine Gattung.

Wie sehr Marken die Sprache prägen, wird im deutschsprachigen Raum an den Feinheiten sichtbar: In Deutschland sagen die meisten Menschen Tesa, wenn sie einseitig klebendes Plastikband meinen, mit dem man Dinge zusammenpappen oder Geschenke verpacken kann. In Österreich, wo dasselbe Produkt Tixo heißt (und ebenfalls von Beiersdorf hergestellt wird), nennen die Menschen es eben Tixo - auch wenn es von Scotch kommt. Natürlich ist das ein Segen für die Bekanntheit einer Marke, manchmal aber auch ein Hemmnis für den Umsatz, wenn es, wie im Fall von Tempo, egal wird, von wem das Produkt denn nun eigentlich stammt. Hauptsache, die Nase läuft nicht mehr.

Da haben es die Produkte der heutigen Zeit leichter, die gar nichts mehr körperlich verkaufen müssen, sondern mit Daten oder Zugängen handeln. Google ist nicht nur Synonym für Suchmaschinen, von denen es ja auch noch andere gibt. Die Firma hat ihren Namen auch der Tätigkeit Googeln verliehen, was sogar im Duden steht - egal ob die Suchanfragen an Yahoo oder Bing gestellt werden. So als würde man Porschen zum Autofahren sagen, obwohl man in einem Mercedes sitzt.

Natürlich führt Markenbekanntheit zu Marktdominanz: Mehr als 90 Prozent der weltweiten Suchanfragen laufen über Google. Google ist laut Branchendienst Interbrand die zweitwertvollste Marke der Welt - nach Apple und vor Amazon. Dahinter folgen Microsoft und erst auf Platz fünf eine Traditionsmarke, die mit Tempo vergleichbar wäre: Coca-Cola. Ein altbekanntes Produkt, das seit Generationen geliebt - und manchmal auch verteufelt wird.

Die Veränderungen der Erfolgsparameter in der heutigen Zeit lassen sich am Beispiel Amazon am besten erklären. Denn die Firma stellt nicht nur nichts her, sie schüttet auch keine Dividende an die Aktionäre aus - ist aber an der Börse mehr als eine Billion US-Dollar wert, so viel wie zwölf Dax-Konzerne zusammen. Nur wegen des Namens und deswegen, wofür er steht. Aktienkundige reden in diesem Zusammenhang gerne von einem "Versprechen auf die Zukunft". Heute ist schon kaum noch ein anderes Online-Warenhaus bekannt, bald wird es wohl keine anderen mehr geben.

Wie sehr die Welt von Markennamen geprägt wird, kann man an den wenigen Orten der Erdkugel erleben, wo sie nicht allgegenwärtig sind: in Havanna zum Beispiel. Keine Werbeplakate, keine Hinweisschilder für die nächste Ausfahrt zu McDonald's, keine Apple-Stores und kein H&M - das bereichert die Wahrnehmung und beruhigt die Nerven.

Schon Dreijährige können Logos unterscheiden

Nun ist das, was den westlichen Besuchern besonders gefällt, nicht unbedingt das, was sich die Kubaner wünschen. Die hätten wohl schon ganz gerne billige Klamotten von H&M, Smartphones und Mercedes oder zumindest Toyotas statt der verrosteten Cadillacs (einst auch so ein Deonym), die zwar fotogen sind, mittlerweile aber von überforderten Ssangyong-Motoren aus Südkorea angetrieben werden. Sollte Kuba sich weiter öffnen, wird es nicht lange dauern, bis Apple und McDonald's die Insel einnehmen.

Diesen Effekt konnte man beobachten, nachdem die innerdeutsche Mauer gefallen war. In Moskau eröffnete in den 90er-Jahren ein Markengeschäft nach dem anderen. Eigentlich hatte Pepsi, nach langen Verhandlungen in den 70er-Jahren, einen Vorsprung im russischen Markt. Aber da Pepsi eben normal war, nicht mehr als westliches Konsumgut galt, wurde Coca-Cola nach dem Ende des Kalten Krieges schnell erfolgreicher. Die Markenbekanntheit geriet zum Nachteil von Pepsi.

Sonst gilt: Je früher Menschen mit einer Marke in Berührung kommen, desto stärker fühlen sie sich ihr verbunden. Bereits Dreijährige können Logos unterscheiden. Marktforscher von Icon Kids & Youth und Werbestolz haben 200 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren befragt, welche Logos sie kennen - und wie sympathisch sie die Marken dahinter finden. Die goldenen Bögen von McDonald's (Platz zehn im weltweiten Markenranking) erkannten bereits 72 Prozent der Kinder, dicht gefolgt von Lego.

An manchen Orten steht Facebook für das Internet

Was sich in der westlichen Konsumgesellschaft als starker Name durchgesetzt hat, verbreitet sich auch im Rest der Welt leichter. Deutsche Autohersteller machen riesige Umsätze in China, weil reich gewordene Chinesen gern etablierte Marken kaufen. Man muss nicht lange erklären, dass man es zu etwas gebracht hat, wenn man einen BMW fährt und eine Rolex am Arm trägt.

Dass Markennamen mittlerweile wertvoller werden, als es die Qualität des Produkts ist, das dahinter steht, hat mit der zunehmenden Ortlosigkeit der Konsumwelt zu tun. Was wiederum viel mit dem Phänomen Google zu tun hat. Eingekauft wird ja längst nicht mehr nur in Läden oder Shoppingzentren, sondern im Internet. Wer aber googelt, muss benennen, was genau sie oder er eigentlich will - am einfachsten mit einem Markennamen. Der Umsatz im E-Commerce, also der Verkauf von Waren über das Internet, hat sich von 2008 bis 2018 vervierfacht, auf mehr als 50 Milliarden Euro.

Bei Konsum und Freizeitgestaltung neigen Menschen ohnehin zum Herdentrieb. Es gab andere Social-Media-Konzepte als Facebook, aber als der Konzern seine Marktführerschaft einmal etabliert hatte, kippte die Nutzermehrheit vollends. Heute wird immer wieder beklagt, dass sich Facebook verhält wie ein Schurkenstaat, der keine Grenze kennt. Doch die Marke ist so bekannt, dass sie nicht nur für Social Media ganz allgemein steht, sondern in vielen Ländern in Afrika als Deonym für das Internet gebraucht wird.

Sollte es in Kuba bald stabile Wlan-Verbindungen geben, ist klar, wo sich Millionen Kubaner anmelden werden. Sie werden Facebook-Accounts eröffnen, sich über Amazon iPhones kaufen und per Spotify Musik hören wollen. Den Rest der Welt werden sie sich ergoogeln, wenn das nicht per Geoblocking verhindert wird.

Bald wird vermutlich genetflixt

Die Warenwelt wird also weiter globalisiert, aber größer wird sie dadurch nicht. Das zeigt sich auch bei dem gigantischen Wettbewerb unter den Streaming-Diensten, von dem die Konsumenten derzeit profitieren. Es gibt Amazon Prime, Maxdome, Sky und natürlich: Netflix. Die Abermilliarden, die vor allem Netflix und Amazon in den Markt pumpen, erzeugen nicht nur eine Schwemme an Filmen und Serien, die kein Mensch mehr in seiner Lebensspanne gucken kann. Sie sollen vielmehr die Konkurrenten marginalisieren, die Marktherrschaft von morgen zementieren. Besonders Netflix verkündet immer neue Rekorde, 130 Millionen Abonnenten wurden 2018 vermeldet, acht Milliarden Dollar Investments in Inhalte für 2019 angekündigt. Netflix wird derzeit zum überpräsenten Namen der Branche.

Das Investment wird sich auszahlen, wenn Netflix irgendwann alleine ist, die Preise anziehen kann und die Zuschauer in ihrer filmischen Filterblase nur noch mit dem versorgen wird, was ihnen gefallen könnte, weil ihnen schon ähnliche Dinge gefallen haben. Video-on-Demand oder Streaming sind technische, schwer greifbare Begriffe. Deshalb wird bereits oft gesagt, dass man etwas "auf Netflix guckt" - egal, welchen Streamingdienst man tatsächlich in Anspruch nimmt. Bald wird vermutlich genetflixt. Der Name, der sich aus Net (Internet ) und Flix zusammensetzt, dem englischen Jargon für Filme, wird zum Deonym. Netflix will in Rekordzeit erkaufen, was Tempo durch jahrelange Markenpflege gelang.

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