Marketing:"Der Krieg wird an der Zapfsäule entschieden"

Billiganbieter oder Mobilitätsdienstleister mit Speed-Supermarkt - jede Tankstellenkette geht eigene Wege. Ihr Ziel aber ist dasselbe: überleben trotz sinkendem Benzinverbrauch und hoher Steuern.

Klaus Wieking

Es könnte der Beginn einer wunderbaren Partnerschaft sein. Nach zäher Suche kann das Bonuskarten-Programm Payback den ersehnten Partner in der Mineralölbranche präsentieren: Aral. Ab Mai können die Kunden von Deutschlands größter Tankstellenkette Punkte des größten deutschen Rabattsystems tanken.

tanke, dpa

Die Auswahl in manchen Tankstellen-Shops stellt jeden Tante-Emma-Laden in den Schatten.

(Foto: Foto: dpa)

Die neue Kooperation ist nicht die einzige Neuerung bei der Traditionsmarke Aral. Die Bochumer rütteln derzeit ihr Geschäftsmodell durch - etwa bei der Kommunikation. Mit einem Soft-Relaunch werden die Werbemittel modernisiert und der berühmte Aral-Diamant in dreidimensionaler Anmutung gestaltet.

Zudem wird das mit eigener Farbwelt ausgestattete Gastro-Konzept Petit Bistro ausgeweitet und soll mittelfristig an 1.600 Tanken Reisende mit Snacks versorgen. "Insgesamt wird sich Aral stärker in Richtung einer Destination für verschiedenste Kundenbedürfnisse entwickeln", erklärt Dirk Sauer, oberster Brand-Manager des Unternehmens.

Mit dieser Strategie setzt sich Aral an die Spitze einer Branche, die sich im Umbruch befindet. Alle Markenanbieter überarbeiten derzeit ihre Shop- und Snack-Angebote: Shell ersetzt sein Ladenkonzept Shell Select durch den Shell Shop; Total relauncht sein Gastro-Modul Bonjour; Jet rollt gemeinsam mit der Edeka-Marke Spar die Kette Spar Express Shop aus, und Esso experimentiert mit dem Store-Format On the Run.

20 Prozent weniger Benzinverbrauch bis 2020

Mehr Convenience, mehr Service, mehr Gastronomie, neue Sortimente - die Multis bauen ihr Zusatz-Business abseits des Kerngeschäfts aus. Denn das schwächelt. Ausgerechnet an der Zapfsäule ist die Rendite der Ölmultis, die ansonsten Rekordgewinne einfahren, dünn. "In Deutschland sind die Margen mit am niedrigsten in Europa", so Heino Elfert vom Energieinformationsdienst (EID).

1,2 Cent verbleiben nach Berechnung des Verbands des Tankstellengewerbes nach Abzug von Kosten und Steuern den Pächtern als Provision - rund 70 Prozent des Verkaufspreises für einen Liter Kraftstoff kassiert allein der Bund. Doch nicht nur die Marge, auch das Absatzvolumen sinkt. Seit Jahren geht der Kraftstoffverbrauch aufgrund des Tanktourismus, immer effizienterer Motoren und der neuen Sparsamkeit der mobilen Kundschaft zurück.

Allein 2005 reduzierte sich nach Angaben von Esso in Deutschland der Verbrauch von Otto-Kraftstoff um sechs Prozent, der des sonst wachsenden Dieselsegments stagnierte bei einem Minus von 0,3 Prozent. "Der Kraftstoffverbrauch ist rückläufig und wird es bleiben", meint Jürgen Ziegner, Chef des Verbands des Tankstellengewerbes. Der Verband für Mineralölwirtschaft prognostiziert bis 2020 ein Absinken des Kraftstoffverbrauchs um 20 Prozent.

"Der Krieg wird an der Zapfsäule entschieden"

Die Folge ist heute schon ein harter Wettbewerb in einem Markt, in dem nach Expertenmeinung 4000 der knapp 15000 Tankstellen überflüssig sind. Dabei werden die großen Ketten von den Freien Tankstellen (Marktanteil: 9,5 Prozent) oder Billiganbietern wie der zum polnischen Konzern Orlen gehörenden Marke Star angegriffen. "Der Wettbewerb geht über den Preis", so Burkhard Reuss, Sprecher von Total.

Als besonders aggressiv gilt Jet, eine Vertriebslinie des US-Konzern Conoco Phillips. In "Ich bin doch nicht blöd"-Manier positioniert sich Jet über eine Printkampagne als cleverer Billiganbieter. Markenkraftstoff zum günstigen Preis lautet die Botschaft - ohne teure Prämiensysteme, Motorsport-Sponsorings oder Produktinnovationen mit zweifelhaftem Nutzen. Die Motive strichelt der Cartoonist Brösel alias Rötger Feldmann. Laut EID konnte Jet 2005 seinen Anteil am Kraftstoffabsatz von 9,5 Prozent auf zehn Prozent steigern.

Die so genannten A-Labels reagieren auf die Billig-Konkurrenz mit Investitionen in ihre Marken und rüsten Tankshops und Gastronomie auf. Dabei setzen die Konzerne auf die Trends Mobilität und Außer-Haus-Verzehr, der sich in Deutschland noch auf einem vergleichsweise niedrigem Niveau bewegt.

Logistik treibt Kosten und Preise in die Höhe

"Das macht allemal Sinn. Shop und Gastronomie sind Wachstumsfelder", erklärt Reiner Graul, geschäftsführender Gesellschafter des Bad Homburger Beratungsunternehmens Bormann & Gordon. Die rund um die Zapfsäule aber nach anderen Grundsätzen beackert werden müssen als in anderen Branchen. Die kleinen Flächen, die fehlenden Lagerkapazitäten und der Rund-um-die-Uhr-Betrieb vieler Stationen treiben die Kosten und damit die Preise in die Höhe - Tankstellen haben ein Hochpreis-Image.

Zudem litten die wichtigen Sortimente wie Getränke und Tabak unter dem Dosenpfand bzw. den Erhöhungen der Tabaksteuer. Um 15 bis 20 Prozent seien die Umsätze in diesen Sortimenten in den vergangenen drei Jahren zurückgegangen, erklärt Rainer Kraus, bei Aral für das Tankstellengeschäft zuständig. Die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten ließen die lange nach oben zeigenden Umsätze zusätzlich in die Knie gehen: "Im Shopgeschäft sind die Umsätze in den vergangenen zwei Jahren um vier bis fünf Prozent gesunken", so Jürgen Ziegner.

Tankstelle goes Tchibo

Die Schwierigkeiten im Zusatz-Business, das bereits heute für deutlich über die Hälfte des Ertrags der Tankstellenpächter steht, sind indes auch hausgemacht. Die Ketten glaubten sich als Nahversorger profilieren zu können und stopften zusätzlich a là Tchibo ihre Flächen mit DVD's, Kleidung, Gartengeräten und sogar Hochdruckreinigern voll. Beworben wurde die Aktionsware teilweise sogar im TV.

Der Anything-goes-Wahn trieb bizarre Blüten. So richtete Aral in Köln eine Tankestelle ein, an der es alles Mögliche zu kaufen gab, nur kein Benzin. Und die (inzwischen verschwundene) deutsche BP-Dependance vertickte über ihren Web-Shop Computer-Hardware.

"Der Krieg wird an der Zapfsäule entschieden"

Jetzt verabschieden sich die Markenanbieter von diesen Ambitionen und legen den Rückwärtsgang ein: Die Produktangebote werden verschlankt und voll auf die Zielgruppen Autofahrer, die "Unterwegsverzehr" suchen, und Haushalte, die komplementär ihren täglichen Bedarf an der Tankstelle einkaufen, fokussiert. Dabei sollen die Vorteile des schnellen Stopps an der Tanke wie lange Öffnungszeiten, gute Parkplatzsituation, kurze Wege, überschaubares Sortiment und schnelle Abwicklung an der Kasse voll ausgespielt werden.

Alles ist auf Schnelligkeit angelegt

Der Branchendritte Esso hat sein neues Store-Konzept gleich programmatisch "On the Run" getauft. "Das ist alles auf Speed ausgelegt", erklärt Esso-Sprecher Karl-Heinz Schult-Bornemann. Breite Gänge mit niedrigen Verkaufsgondeln und von weitem lesbare Hinweisschilder sollen dem eiligen Kunden die Orientierung erleichtern. In der Gastronomie will die Vertriebslinie des Ölmultis Exxon Mobil zunehmend auf frische Kost setzen und ihr Angebot an Kaffee-Spezialitäten ausweiten.

Um die Frequenz zu steigern, fährt Esso über lokale Medien, aber auch die Seite eins von Bild große Sonderangebotsaktionen (Heye & Partner, Unterhaching). Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Format sind laut Schult-Bornemann "ausgezeichnet".

Knapp über 30 Run-Outlets gibt es in den Ballungszentren rund um München und Frankfurt, weitere sind im Ruhrgebiet geplant - nicht eben viel, um imagebildend auf die Marke Esso abzustrahlen, zumal der Renovierungsbedarf beim übrigen Stationsnetz des Anbieters als hoch gilt. Allerdings werden laut Schult-Bornemann laufend weitere Standorte evaluiert.

Renaissance des Tankwarts

Nicht ganz einsichtig ist der Kurs, den die Deutsche Shell AG in Sachen Shop fährt. Um die Jahrtausendwende formte der Branchenzweite aus seiner dezentralen Handelskette, in der die Pächter mitbestimmten, was in den Regalen stand, einen Systemanbieter mit einheitlicher Warenpräsentation, Sortimentsstruktur und zentral gesteuerter Werbung.

Ein paar Jährchen nach der Premiere des Select genannten Konzepts ist es schon wieder perdü. "Wir führen sukzessive ein neues Format ein, mit dem wir auch die Marke in den Shop holen", kündigt Istvan Kapitany, General Manager Retail, an, "bislang können die Kunden bei uns und anderen Anbietern kaum erkennen, zu welchem Unternehmen der Shop eigentlich gehört."

Noch bis Jahresende will Kapitany an 1.000 Stationen "das Markenzeichen in die Kassenzone unseres Shops" bringen. Der Shell Shop, der dem Standardmodell des Konzerns entspricht, ist in Zonen eingeteilt: Express-Zone für Eilige, Snack-Zone für Hungrige und Browse-Zone für Käufer mit Zeit. Bei der Kommunikation setzt Shell vor allem auf PoS-Werbung (Proximity, Hamburg).

Außerdem will Shell beim Service den guten alten Tankwart reaktivieren. 720 zusätzliche Servicekräfte sollen künftig unter der sonnengelben Muschel Scheiben putzen und den Reifendruck überprüfen.

"Der Krieg wird an der Zapfsäule entschieden"

Am heftigsten engagiert sich jedoch Aral im Shop-Business. Bis 2009 wollen die Bochumer 250 Millionen Euro in diesem Bereich investieren. Das Sortiment wurde umgebaut und auf Convenience- und Impulsartikel, sprich Food, fokussiert. "Unser Shop-Konzept zielt darauf ab, die erste Wahl als Problemlöser für unsere Kunden zu sein, die mit Hunger und Durst unterwegs sind", erklärt Anja Schreck, bei Aral für das Shop- und Petit-Bistro-Geschäft zuständig.

Wie ein Systemgastronom hat die Tankkette - mit gehörigem Abstand hinter McDonald's, Burger King und Nordsee bereits größter Fast-Food-Anbieter in Deutschland - sein Essensangebot durchformatiert und bietet national in bislang sieben Varianten die 2004 eingeführten Super-Snacks an. Im Mai werden zwei neue Super-Produkte eingeführt und am PoS sowie per Funk beworben.

Eine Tankstelle ist kein Discounter

Gleichbleibende Qualität nicht nur beim Sprit, sondern auch beim Essen, lautet das Motto. "Wir haben 2005 rund acht Millionen Super-Snacks verkauft und planen in diesem Jahr mit deutlich über neun Millionen Stück", erklärt Schreck.

Ihren Angaben zufolge wuchs das Gastro-Geschäft von Aral auf gleicher Fläche um 4,5 Prozent auf einen Umsatz von 152 Millionen Euro. Den eingeschlagenen Kurs will Aral beibehalten. "Es ist richtig, sich mit Angeboten zu diversifizieren, die tankstellennah sind", erläutert Aral-Manager Kraus.

Andere Branchenexperten sehen das Zusatzgeschäft weniger optimistisch. Bei der Preiswahrnehmung werde die Tankstelle nicht nur mit dem traditionellen Lebensmittelhandel verglichen, sondern mit dem Discount, moniert Jürgen Ziegner: "Da können wir nicht mithalten." Zudem müssen die Anbieter hohe Investitionen leisten. Auch Shell hält schlussendlich das Kraftstoff-Geschäft für entscheidend. "Der Krieg wird an der Zapfsäule entschieden", erklärt Sprecher Rainer Winzenried.

Angebot an der Zapfsäule ausgeweitet

Bereits vor Jahren hat Shell begonnen, sein Angebot an der Zapfsäule zu vergrößern, und die teuren "Superkraftstoffe" V-Power gelauncht (JWT, Frankfurt). 2004 zog Aral mit Ultimate nach. Zumindest die Diesel-Varianten der neuen Kraftstoffe gelten als Erfolg. In diesen Tagen führt Shell den Treibstoff "Shell Super 95" ein, der zu einer erheblichen Verringerung des Verbrauchs führen soll.

Mit einer Verringerung der Wettbewerbsintensität ist also nicht zu rechnen, im Gegenteil. Wer unter zehn Prozent Marktanteil besitze, habe Schwierigkeiten, mit den Großen mitzuhalten, so ein Branchenkenner: "Die sind von der Kostenbelastung pro Liter ganz schwer unter Druck." Der polnische Konzern Orlen, der erst vor ein paar Jahren nach Deutschland kam, will sein Tankstellennetz schon wieder los werden. Die Großen der Branche dürfen aus kartellrechtlichen Gründen nicht hinzukaufen - Einfallstor für einen neuen Konkurrenten? In der deutschen Mineralölbranche bleibt es spannend - auch im Kerngeschäft.

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