Markenpiraterie:Chinas Marathon

Mit Ausdauer hat China viele Reformen zum Markenschutz auf den Weg gebracht - dank unermüdlicher Kämpfer und dem Vorbild weltweit bekannter Markenhersteller. Doch dem Land fehlt es an Juristen.

Sabine Merath

Er ist nicht groß, eher zierlich, aber voller Anspannung - vom Typ eines Langstreckenläufers, der es gewohnt ist große Distanzen ohne besondere Annehmlichkeiten zu überwinden: Lü Guoqiang, Vizepräsident des Shanghai Second Intermediate People's Court, eines von zwei "Landgerichten" der Metropole Shanghai.

Markenpiraterie: Lü Guoqiang, 51 Jahre, Fachjurist für Markenrecht und Richter an einem Zivilgericht in Shanghai.

Lü Guoqiang, 51 Jahre, Fachjurist für Markenrecht und Richter an einem Zivilgericht in Shanghai.

(Foto: Foto: oh)

Dort, im wirtschaftlichen Machtzentrum Chinas und in der Hauptstadt Peking, befinden sich immer noch die wichtigsten Zivilgerichte für Verhandlungen zum Schutz des geistigen Eigentums. Doch die Landesgebiete holen auf: 172 lokale Gerichte verfügen bereits über spezielle Kammern für Markenrecht.

"Heute ist China in Fragen des Markenschutzes nicht mehr der Getriebene, der vom Westen zum Jagen getragen werden soll", sagt der erfahrene Richter Lü Guoqiang stolz. Der 51-Jährige war kürzlich auf Einladung des Max-Planck Institutes in München. Die Beziehung zu den Wissenschaftlern ist sehr persönlich, seit der damals noch junge Jurist seine internationale Ausbildung für Markenrecht beim Institut beginnen durfte.

Sachverstand gegen Vorurteile

Der Richter gehört zu einer Generation, die während der Kulturrevolution zu schwerer körperlicher Arbeit in den ärmsten Regionen des Landes verpflichtet wurde. Bei Wiederzulassung des Universitätsbetriebes hat er gerade noch den Sprung zu einer akademischen Ausbildung geschafft. Lü, dessen Eltern ihm noch den Vornamen Guoqiang - "den Staat mächtig machen" - gegeben haben, kämpft bei brisanten Streitfällen zum Schutz von geistigem Eigentum für eine härtere Auslegung des nationalen Markenrechts. Das Unbehagen seiner richterlichen Kollegen stört ihn dabei wenig.

Rund 1000 Markenrechts-Klagen pro Jahr bearbeitet ein Team von 20 Richtern unter der persönlichen Leitung des Vizepräsidenten. Mehr als 54.000 Fälle waren es in den Jahren 2002 bis 2006 in China insgesamt.

Lesen Sie weiter: Welche bedeutenden chinesischen Reformen zum Markenrecht implementiert wurden, warum weltweit organisierte Markenhersteller trotzdem auf Eigeninitiative vor Ort setzen und wie Exportkontrollen das Verhalten von Fälschern bestimmen.

Chinas Marathon

Der Streitwert der meisten Fälle ist eher gering - er bewegt sich zwischen 5000 und 100.000 Euro. Überwiegend klagen Chinesen gegen Chinesen. "Die Beteiligung von ausländischen Unternehmen liegt unter zehn Prozent", erklärt der Richter mit blitzenden Augen.

Markenpiraterie: Hamburg: Die gefälschten Turnschuhe werden noch direkt am Fundort vernichtet.

Hamburg: Die gefälschten Turnschuhe werden noch direkt am Fundort vernichtet.

(Foto: Foto: dpa)

Weltweit bekannte Marken genießen in China ein hohes Ansehen

Immer wieder beschwört er die Errungenschaften der letzten Reformen: Im Jahr 2006 erhielten die lokalen Kammern für Markenrecht erstmals eine juristische Handlungsdirektive zu Streitfällen bei unerlaubtem Wettbewerb, die Anzahl von Fälschungen zur Strafverfolgung sind 2007 von 1000 Kopien auf 500 herabgesetzt worden, und im Februar 2008 erschien eine richterliche Erläuterung zu den Bestimmungen für in China registrierte Markennamen und für Unternehmen, die weltweit bekannt sind und deshalb in China einer besonderen Rechtsinterpretation unterliegen.

Die Frage, wie es weniger bekannten Markenherstellern gelingt, ihre Rechte durchzusetzen, beantwortet Lü nicht - wohl wissend, dass es dafür keine Lösung gibt.

China - das einzige Land mit Exportkontrollen

Um Fälschungen zu vermeiden und Plagiate sicherzustellen, bleibt aber auch den Herstellern weltweit bekannter Marken nur die Eigeninitiative vor Ort. So beschäftigt der deutsche Sportartikelhersteller Puma eigene Juristen in China, welche die Zusammenarbeit mit den Markenschutz-Agenturen, der Polizei und dem Zoll koordinieren.

"Wir führen derzeit in China wöchentliche Razzien durch und beschlagnahmen gefälschte Produkte", berichtet der Leiter des globalen Markenschutzes von Puma, Thomas Ehmer. Nach seinen Erfahrungen arbeitet der chinesische Zoll sehr effektiv.

Bislang ist China weltweit das einzige Land, das Exportkontrollen eingeführt hat. Mit der Unterstützung der chinesischen Zollbehörden konnte auch das international tätige Unternehmen Adidas einen seiner bisher größten Erfolge in Deutschland erzielen.

Fälscher bleiben fern wenn Länder kooperieren

So stellte das Zollfahndungsamt Hamburg im November 2006 acht Container mit knapp 72.000 Paaren gefälschter Turnschuhe mit den für Adidas so charakteristischen drei Streifen sicher. Die Lieferung kam von chinesischen Abgangshäfen direkt zum Hamburger Hafen, wie ein Sprecher des Zollfahndungsamtes bestätigte. Experten schätzten den Handelswert der Plagiate auf mehr als fünf Millionen Euro.

Seit diesem Fund werden deutsche Häfen kaum noch angesteuert, um Plagiate weiter umzuschlagen. Die Fälscher konnten damals nicht ermittelt werden. Da mit China keine bilateralen Abkommen bestehen, müssen die chinesischen Behörden keine Rechtshilfe erteilen, heißt es bei der Hamburger Behörde. Es obliegt ihrem Ermessen, ob sie die Strafverfolgung im eigenen Land aufnehmen oder nicht. Dies ist aber eines der großen Anliegen von Adidas - das Zerschlagen von Hehlergruppen, ihrer Zulieferer und vor allem der Hersteller der Produkte.

Lesen Sie weiter: Welche Ziele China zur Durchsetzung des Markenrechts verfolgt, warum es dem Land noch immer an ausgebildeten Juristen fehlt und wie die Europäische Kommission den Kampf gegen Markenpiraterie unterstützt.

Chinas Marathon

Für den Puma-Markenschutzspezialisten Ehmer liegt der Kern des Problems im Verhalten der chinesischen Provinzregierungen, auf das die Zentralregierung keinen großen Einfluss hat. "Teilweise unterstützen die Provinzregierungen Markenpiraterie aktiv oder sind sogar selbst an illegalen Produktionen beteiligt", sagt Ehmer.

Ein Problem, mit dem auch die chinesischen Richter in Peking und Shanghai zu kämpfen haben - aber aus rein nationalem Interesse. Chinas Ziele sind hoch gesteckt. Der Plan der Zentralregierung sieht vor, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre das Bewusstsein für die Bedeutung des Markenschutzes im ganzen Land verankert wird. China bereitet sich vor.

Bis zum Jahr 2020 sollen chinesische Unternehmen eigene Technologien und Marken entwickelt haben, um sich im globalen Wettbewerb einen Platz in der ersten Reihe der Industrienationen zu sichern. Dafür ist ein funktionierender Markenschutz unerlässlich. Doch Papier ist geduldig.

"Dem Staat fehlt es an gut ausgebildeten Juristen, die landesweit für die Durchsetzung der zentralen Reformen sorgen", sagt Lü. Als er im Jahr 1983 nach dem Studium dem Oberlandesgericht in Shanghai zugewiesen wurde, waren die meisten seiner Richterkollegen pensionierte Armeeoffiziere, versetzte Beamte aus der Polizeibehörde oder anderen Bereichen der Verwaltungen. Um die personellen Engpässe zu überbrücken, wurden zwischen Mitte der achtziger und neunziger Jahre mehrere öffentliche Prüfungen abgehalten. Jeder Einwohner durfte sich für den Justizdienst bewerben und an den Prüfungen teilnehmen.

Spät entdeckt China die Bedeutung des juristischen Berufsstandes

Aber erst 2005, als China in einer Flut von Klagen zu ersticken drohte, schrieb die Regierung gesetzlich fest, dass ein neu ernannter Richter ein ordentliches Jurastudium und eine juristische Staatsprüfung absolviert haben muss. Auch die Ausbildung zum Beruf des Rechtsanwaltes schreitet nur langsam voran. Für China, das derzeit mehr als 1,3 Milliarden Menschen zählt, stehen rund 140.000 zugelassene Anwälte zur Verfügung. Das sind genauso viele wie in Deutschland mit nur 80 Millionen Einwohnern. Auch wenn die Zentralregierung mit hohem Druck die Ausbildung seines Nachwuchses vorantreibt, wird das Bewusstsein für die wirtschaftlichen Spielregeln erst mit zunehmendem Wohlstand in den Provinzen wachsen. Ob der Fünf-Jahres-Plan dafür ausreicht, bleibt offen.

Chinesische Juristen kommen zur Fachausbildung nach Europa

Unterstützung bei der Ausbildung des juristischen Fachpersonals für Markenrecht, landesweit mittlerweile 1667 Juristen, erhält China von Seiten der Europäischen Gemeinschaft. Seit November 2007 besteht zwischen der chinesischen Regierung, dem Chinese State Intellectual Property Office (SIPO), der Europäischen Kommission (EC) und dem European Patent Office (EPO) ein Joint Venture zur Bekämpfung der Kriminalität für Markenrecht, berichtet das deutsche Patentamt. Für die Finanzierung stellt die Europäische Kommission 10,5 Millionen Euro zur Verfügung und China ist mit 5,5 Millionen Euro beteiligt. Bestandteil des Vertrages ist die Einrichtung eines europäischen Hilfsservices zum Schutz des geistigen Eigentums, um speziell kleinere und mittlerere Unternehmen bei Streitfällen an chinesischen Gerichten zu unterstützen.

Lü Guoqiang lächelt. Viele Etappenziele sind erreicht, neue für die Zukunft definiert. Der Marathon ist noch lange nicht am Ende, aber das schreckt ihn nicht - er weiß sich gut vorbereitet.

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