Markenkleidung als Ladenhüter:"Manchmal ist es besser, die Ware zu verbrennen"

Der rosa Blazer hat sich nicht so gut verkauft wie erhofft, doch wohin mit den Tausenden Exemplaren, die noch in den Läden hängen? Vom Kunden verschmähte Ware wollen Modeanbieter loswerden - egal wie. Häufig verscherbeln sie ihre Kollektionen an professionelle Textilverwerter. Dass das nicht immer eine gute Idee ist, musste kürzlich die Textilkette Esprit erleben.

Stefan Weber, Düsseldorf

Jürgen Wolff will reden. Über Hosen, Hemden und Shirts, die in Läden oder online niemand mehr haben will und für die Händler oder Hersteller nun andere Absatzkanäle suchen müssen, damit sie die Ware nicht vollständig abschreiben müssen. Wenn nur Wolffs Handy nicht immer bimmeln würde. "Das ist der Däne, da muss ich ran", entschuldigt er sich. Ein Deal lockt.

Operations At An Overstock.com Warehouse

Der rosa Blazer lief doch nicht so gut: Das Lager eines Textilverwerters in den USA.

(Foto: Bloomberg)

Wolff, 60, ist mit seiner Krefelder Firma Overstock einer von denen, die schnell auf der Matte stehen, wenn irgendwo überschüssige Ware angeboten wird. Wenn eine Modefirma den Geschmack ihrer Kunden nicht getroffen hat und kurzfristig 300 oder auch einmal 100.000 Artikel loswerden muss - weil sie Geld braucht oder Platz schaffen muss im Lager. Oder wenn ein Hersteller in Asien auf bestellter Ware sitzengeblieben ist - weil der Auftraggeber nicht zahlte. Oder wenn bei einer Pleite der Insolvenzverwalter Ware losschlagen will, um eine bessere Quote für die Gläubiger zu erreichen. Dann kommt Wolff.

Zu tun gibt es genug für professionelle Verwerter von Altware wie ihn. "Irgendwo werden immer Reste von Kollektionen angeboten", weiß Wolff. Seit mehr als 40 Jahren ist er in der Modebranche unterwegs. Früher hat er für Kaufhof und Metro Mode eingekauft. Dann fasste er vor einigen Jahren den Entschluss: "Fortan lebe ich vom Schaden der anderen." Und davon lässt sich gut leben - wenn man es richtig macht.

Sandra Volz aus Pforzheim ist als Unternehmensberaterin viel im Textilhandel unterwegs. Und sie hat ein Buch geschrieben: "Wohin mit der Altware?" Sie kennt die Sorgen der Modeverkäufer, die auf Resten sitzenbleiben. "Niemand verkauft eine Kollektion komplett. Wer gut ist, schafft eine Quote von 85 Prozent. Die meisten kommen nur auf einen Abverkauf von 70 Prozent", weiß Volz. Was übrig bleibt, muss weg - irgendwie.

Albtraum für Esprit

Nur möglichst nicht so, wie es kürzlich der Textilkette Esprit ergangen ist. Der Markenartikler musste erleben, dass Stücke aus seiner letzten Sommerkollektion bei Billiganbietern wie Kik, Penny und Real verramscht wurden. Hemden, Hosen, Shirts mit dem Esprit-Logo zu 7,99 Euro. Ein Schnäppchen für die Kunden der Discounter. Und ein Albtraum für Esprit.

Die Kette hatte sich gerade drangemacht, ihr arg angekratztes Image aufzupolieren - mit besseren Stoffen, flotteren Schnitten, moderneren Läden und neuer Werbekampagnen. Aufgewertet werden sollte die Marke. Da passte Ramschware in den Regalen von Billiganbietern so gar nicht ins Bild. "Wir wissen nicht, wie die Sachen zu den Händlern gekommen sind", betont ein Esprit-Sprecher.

Mit einer Umtauschaktion hat das Unternehmen versucht, zu retten, was noch zu retten war: Wer bei Kik ein Esprit-Kleidungsstück gekauft hatte, konnte es bei Esprit zurückgeben. Der Markenartikelhersteller erstattete den Kaufpreis und legt einen Einkaufsgutschein im Wert von zehn Euro drauf.

Christian Kirschbaum beobachtet, dass Modeanbieter derzeit besonders häufig Probleme mit überschüssiger Ware haben. "Offensichtlich haben viele Firmen zu vollmundig geplant", meint der Deutschland-Geschäftsführer der US-Firma Active. Das Unternehmen mischt in besonderer Weise im Geschäft mit Restanten mit. Active übernimmt überschüssige Bestände bis zum vollen Buchwert; das heißt, der Warenanbieter muss keine Abschreibungen vornehmen.

Allerdings zahlt Active nicht in bar, sondern in Form von Handelsgutschriften, die die Firmen später bei Active einlösen können - etwa, in dem sie Hotel- und Reisekontingente buchen oder Werbemaßnahmen buchen. Die übernommene Ware veräußert Active über Handelspartner im In- und Ausland. "Dabei stimmen wir mit dem Verkäufer ab, wann, wo und über welchen Vertriebskanal die Stücke vertrieben werden", erläutert Kirschbaum. Immer häufiger sei das Internet der bevorzugte Absatzweg. Dann allerdings meist in Form von geschlossenen Einkaufsclubs. "Da ist der Kundenkreis begrenzt und das Umfeld hochwertig", erläutert Kirschbaum.

Unseriöse Geschäftemacher spielen "über Bande"

Überschüssige Ware gegen Dienstleistungen - dieses in den USA unter "Corporate Trading" bekannte Geschäftsmodell gewinnt in Deutschland erst allmählich Anhänger. Wolff und Volz kennen andere Wege, die Altware üblicherweise nimmt. Nach ihrer Beobachtung versuchen viele Hersteller, Überschuss zunächst über einen Werksverkauf, eigene Outlets oder Sonderverkäufe in extra angemieteten Ladenlokalen loszuschlagen. Da behalten sie die Kontrolle über den Vertrieb und können sicher sein, dass kein Schindluder mit ihrer Marke getrieben wird. Das ist anders, wenn sie die Ware professionellen Resteverwertern anbieten.

"Aufkäufer müssen meist zusichern, dass sie die Restposten nur im Ausland absetzen - und zwar in Ländern, in den die Marke nicht vertreten ist. Ein Reimport wird vertraglich ausgeschlossen", erläutert Wolff. Und Volz weiß: "Viele Verwerter bekommen die Ware oft nur unter der Auflage, dass sie vor dem Wiederverkauf die Etiketten entfernen." Wenn trotzdem Fälle wie bei Esprit passieren, dann deshalb, weil in der Branche auch weniger seriöse Geschäftemacher unterwegs sind. Die spielen dann mitunter "über Bande". Das heißt, sie schieben die Ware über mehrere Zwischenhändler in verschiedenen Ländern hin und her. So lange, bis nicht mehr klar ist, wer für was zu haften hat.

Mitunter ist die finanzielle Not bei den Anbietern der Restposten jedoch auch so groß, dass sie jegliche Vorsicht aufgeben. Dann verzichten sie darauf, den Aufkäufern vorzuschreiben, die Labels zu entfernen. Oder sie schließen den Reimport der Ware nach Deutschland nicht aus - vorausgesetzt der Verwerter der Altware bietet einen guten Preis. "Liquidität geht dann vor Rentabilität", sagt Wolff dazu.

Über Preise und Kalkulationen reden die Verwerter nicht gerne. Aber ein Insider macht folgende Rechnung auf: "Wenn ein Pullover im Laden 100 Euro kostet, hat der Händler ihn für 33 Euro eingekauft. Die Produktionskosten betrugen 17 Euro. Diese 17 Euro, also den Selbstkostenpreis, will der Hersteller bei einer Verwertung gerne zurückhaben."

Das gelinge zwar nicht immer. Aber für den Fall, dass ein Resteverwerter tatsächlich 17 Euro bezahlt, versuche er das Stück dann für 25 Euro zu verkaufen. "Der Kunde kann somit einen Artikel für ein Viertel des ursprünglichen Ladenverkaufspreises erwerben", rechnet der Branchenkenner vor. Für Markenartikler ist diese Vorstellung ein Graus.

Volz: "Es klingt absurd. Aber manchmal ist es besser, Ware zu verbrennen, als das Risiko einzugehen, dass die Artikel in die falschen Absatzkanäle geraten." Auch Spenden an soziale Einrichtungen oder auch Gefängnisse sind ein Mittel, Altware loszuwerden. Da ist der Geber sicher, dass es nicht zu einem solchen Desaster wie bei Esprit kommt. Gut fürs Image sind solche Geschenke ohnehin. "Und es gibt eine Spendenquittung - die ist mitunter höher als der Wert der Ware", meint Wolff.

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