Süddeutsche Zeitung

Marco Bülow:"Gewaltiges Ungleichgewicht"

Der Bundestagsabgeordnete der SPD über den wachsenden Einfluss von Lobbyisten.

Interview von Markus Balser und Uwe Ritzer

SZ: Herr Bülow, wie erleben Sie als Abgeordneter den Lobbyismus?

Marco Bülow: Ältere Kollegen, die schon zu Bonner Zeiten im Bundestag saßen, sagen, dass er in Berlin förmlich explodiert ist. Ich bin seit 13 Jahren Abgeordneter, und in der Zeit hat nicht nur die Zahl der Lobbyisten und ihrer Beeinflussungsversuche gewaltig zugenommen. Früher waren Gewerkschaften, Wirtschafts- oder Wohlfahrtsverbände aktiv. Da war immer klar, mit wem man gerade redet. Heute lobbyieren Anwaltskanzleien, PR-Agenten und andere, von denen man oft nicht weiß, für wen sie unterwegs sind. Sie geben uneigennützige Ziele vor und vertreten in Wahrheit knallhart Interessen ihrer Auftraggeber.

Dass Interessenverbände und Organisationen ihre Anliegen vorbringen, gehört zur Demokratie.

Zweifellos. Aber in den letzten Jahren ist ein gewaltiges Ungleichgewicht entstanden. Konzerne können sich viele Lobbyisten leisten, während Nichtregierungsorganisationen, kleine Unternehmer oder Mittelständler kaum noch durchkommen. Die haben weder die Mittel noch die Ressourcen für effektiven Lobbyismus.

Wo ist die Grenze zwischen legitimer demokratischer Teilhabe und verwerflicher Einflussnahme?

Sie ist schwierig zu ziehen. Aber das Ungleichgewicht wird immer erkennbarer. Die Starken mit den entsprechenden Ressourcen setzen ihre Interessen durch, die anderen bleiben auf der Strecke. Wir müssen endlich für Waffengleichheit sorgen. Wir brauchen längere Karenzzeiten für den Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft. Ein Jahr ist zu wenig. Ich bin auch dafür, gesetzgeberische Fußnoten zu markieren: Wer hat an welchem Gesetzentwurf wann mitgearbeitet - das muss klar erkennbar gemacht werden.

Halten die Abgeordneten generell zu wenig Distanz?

Die Frage muss jeder für sich selbstkritisch beantworten. Ich lasse mich von Lobbyisten nicht einmal zum Essen einladen. Kein Abgeordneter lässt sich mit einem Essen bestechen, aber es soll damit eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen werden. Ich möchte mich aber nicht wohlfühlen, sondern neutral sein. Schlimm finde ich, dass es Kollegen gibt, die auf Seminaren Lobbyisten erzählen, wie sie bei Politikern am besten lobbyieren. Eigentlich Wahnsinn.

Regieren Lobbyisten mit?

Die Großen mit ihren finanzstarken Auftraggebern auf jeden Fall. Wobei sie ihre Aktivitäten verlagern. Sie setzen immer öfter direkt in Ministerien an und bearbeiten dort die Leute, die Gesetzentwürfe vorbereiten und ausarbeiten. Lobbyisten wollen früh Einfluss nehmen und das gelingt ihnen immer öfter. Wir Abgeordnete werden oft erst angegangen, wenn wir gegen die Interessen der Lobbyisten aufbegehren. Dann versucht man uns einzufangen.

Wie oft haben Sie Kontakt zu Lobbyisten?

Rechnet man alles zusammen, also auch Mails, Briefe oder Anrufe, dann sind es etwa 200 Lobbyingversuche wöchentlich. Das ist deutlich weniger als früher, weil sich meine kritische Haltung herumgesprochen hat. Es hat aber auch viel mit unserem freiwilligen Kodex zu tun. Wir sind mehr als 40 Abgeordnete, die sich daran halten. Wir veröffentlichen jedes Treffen mit Lobbyisten und geben an, mit wem wir geredet haben und worüber. Diese Transparenz schreckt manche von vornherein ab.

Das Problem wird seit Jahren beklagt. Warum tun die Parteien nichts? Auch nicht die SPD.

In die SPD ist Bewegung geraten. Aber nehmen Sie die letzte schwarz-gelbe Regierung. Bis auf die Staatssekretäre und Minister, die noch in ihren Ämtern sind, wurden alle hoch bezahlte Lobbyisten. Nicht dank ihres Sachverstandes, sondern wegen ihrer guten Kontakte. Viele einflussreiche Politiker spekulieren darauf, nach ihrer Karriere viel Geld als Lobbyisten zu verdienen. Also haben sie kein Interesse daran, vorher die Regeln zu verschärfen. Andere Abgeordnete haben sich einfach damit abgefunden. So seien eben die Spielregeln, sagen sie.

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Quelle:
SZ vom 29.02.2016
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