Süddeutsche Zeitung

Manifest für nachhaltigen Kapitalismus:Al Gore will die Finanzwirtschaft ergrünen

Der Nobelpreisträger und Vorkämpfer für Nachhaltigkeit und Umweltschutz wendet sich einer neuen Aufgabe zu: Er redet der Wall Street ins Gewissen. Der derzeit praktizierte Kapitalismus, sagt Gore, trage seinen Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Planeten "nicht ausreichend Rechnung". Verblüffende Initiativen hat er indes nicht parat.

Moritz Koch

Al Gore, tragische Figur und moralische Instanz, hat schon viele Rollen angenommen, um die Welt zu retten. Der frühere US-Vizepräsident, dessen eigene Präsidentschaftsambitionen im Dezember 2000 vor dem Supreme Court endeten, reiste als Klimadozent umher, baute ein Medienunternehmen auf und verdingte sich als Filmemacher, Bestseller-Autor und Journalistikprofessor. Zuletzt ging Gore unter die Seefahrer und übernahm die Führung einer Expedition in die Antarktis.

Kaum zurück, wendet sich der nobelpreisgekrönte Vorkämpfer für Nachhaltigkeit und Umweltschutz einer neuen Aufgabe zu: Er redet der Wall Street ins Gewissen. Gemeinsam mit David Blood, dem früheren Chef der Vermögensverwaltung der US-Investmentbank Goldman Sachs, hat Gore in New York ein Manifest für einen "nachhaltigen Kapitalismus" vorgelegt. Sein Credo: Wenn die Erde eine Zukunft haben soll, muss die Finanzwirtschaft ergrünen.

Inspiriert von seinem Törn im Eismeer zitiert Gore den Weltkriegsgeneral Omar Bradley: "Es ist an der Zeit, dass wir unseren Kurs nach den Sternen richten und nicht mehr nach den Lichtern eines vorbeifahrenden Schiffes." Gore und Blood wollen den Kapitalismus nicht abschaffen. Sie wollen ihm einen Lektion in langfristigem Denken erteilen und ihn in den Kampf gegen Armut und Klimawandel einspannen.

"Wir sind davon überzeugt, dass der Kapitalismus grundsätzlich jedem anderen Wirtschaftsmodell überlegen ist. Zugleich ist aber klar, dass er, so wie er heute praktiziert wird, seinen Auswirkungen auf die Menschen, die Gesellschaft und den Planeten nicht ausreichend Rechnung trägt", sagt Gore.

Um den Kapitalismus auf Nachhaltigkeit zu trimmen, gilt es, ihn zu entschleunigen. Die Wall Street muss sich in Geduld üben, aber nicht in Verzicht - so lautet der Grundgedanke von Gore und Blood. Neue Wertpapiere, deren Ausschüttung sich nach der Dauer der Geldanlage richten, stehen im Zentrum ihres Manifests. Wer länger investiert, soll auch dafür belohnt werden. Loyalitätsprämien nennen Gore und Blood dieses Konzept, und es richtet sich gegen die Kurzfrist-Wetten von Hedgefonds und Rohstoff-Spekulanten.

Die beiden Vordenker der finanziellen Nachhaltigkeit kennen sich gut. Sie sind Geschäftspartner, zusammen gründeten sie 2004 den Fonds Generation Investment Management, dessen Anlagestrategie sich nach strengen Nachhaltigkeitsprinzipien richtet. Nun wollen sie ihren Fonds zum Vorbild für die gesamte Wall Street machen.

Nicht alles, was Gore und Blood ansprechen, ist neu. Ihr Vorschlag, Quartalsberichte abzuschaffen, ist ein Evergreen in der Nachhaltigkeitsdebatte. Die Idee dahinter ist: Die Pflicht, ständig aktuelle Zahlen vorzulegen, institutionalisiert die Kurzfristorientierung. Häufig verhindert sie, dass sich Manager und Investoren Projekten verschreiben, die zunächst verlustträchtig sind, langfristig aber stabile Renditen versprechen.

Genauso bekannt ist der Vorschlag, dass Unternehmen ihre Aktionäre nicht nur über das wirtschaftliche Abscheiden informieren sollten, sondern auch über die sozialen, ökologischen und politischen Konsequenzen ihres Handelns.

Doch Gore und Blood geht es nicht darum, mit verblüffenden Initiativen zu glänzen. Vielmehr wollen die beiden eine alte Diskussion mit neuem Leben zu erfüllen. Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist von der politischen Agenda verschwunden, seit die Staats- und Regierungschefs der führenden Wirtschaftsmächte von einem Notstandsgipfel zum nächsten hecheln.

Die Krisenmanager haben keine Zeit für visionäre Konzepte. Dabei hat die Finanzkrise, insbesondere der Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, eindrucksvoll gezeigt, wie schädlich die Kurzsichtigkeit des Kapitalismus ist. Die Debatte, die Gore und Blood wiederbeleben wollen, war noch nie so aktuell wie heute.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1287419
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.02.2012/mkoh
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.