Entwicklungspolitik:Wozu braucht man die Weltbank noch?

Entwicklungspolitik: Die Weltbank unterstützt oft Länder, die von Katastrophen betroffen wurden, wie hier etwa Indonesien. Im Bild: Ein Hubschrauber verteilt im Oktober 2018 nach einem Erdbeben Desinfektionsmittel in der Gegend von Palu, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern.

Die Weltbank unterstützt oft Länder, die von Katastrophen betroffen wurden, wie hier etwa Indonesien. Im Bild: Ein Hubschrauber verteilt im Oktober 2018 nach einem Erdbeben Desinfektionsmittel in der Gegend von Palu, um die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern.

(Foto: Muhammad Rifki/AFP)

Für die einen ist die Institution ein Gräuel, für die anderen eine Bastion im Kampf gegen Armut und Umweltzerstörung. Ihr designierter Chef gehört zu den härtesten Kritikern der Weltbank. Vielleicht ist das gut so.

Essay von Nikolaus Piper

Ungefähr ein Jahr vor dem Fall der Mauer, im Oktober 1988, erlebte die Polizei im damaligen Westberlin einen der größten Einsätze der Nachkriegsgeschichte. Tausende Beamte waren nötig, um die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu schützen, die erstmals auf deutschem Boden stattfand.

Nicht nur Kirchen, Dritte-Welt-Gruppen und Jungsozialisten riefen zu Protesten auf gegen die beiden Organisationen, sondern auch gewaltbereite Autonome aus dem gesamten Bundesgebiet. Bisher war die zweimal im Jahr, meist in Washington, stattfindende IWF-Tagung ein Routinetreffen für Banker, Finanz- und Entwicklungspolitiker ohne großes Echo in der Öffentlichkeit. In Berlin dagegen wurde sie zum Auslöser militanter Demonstrationen (Parole: "IWF und Weltbank organisieren die Armut der Völker") und übler Krawalle. Manche Szenen ähneln in der Rückschau den G-20-Krawallen 2017 in Hamburg.

Was die Protestierer seinerzeit in Westberlin wollten, könnte demnächst ein Stück weit Wirklichkeit werden, wenn auch auf spezielle Weise: die Entmachtung, wenn schon nicht des IWF, so doch der Weltbank. Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, so der offizielle Name, braucht einen neuen Präsidenten, weil der bisherige, der in Korea geborene Amerikaner Jim Yong Kim, gekündigt hat und den Posten in diesem Monat aufgibt, drei Jahre vor Ende der regulären Amtszeit.

"Gigantisch wuchernde" internationale Organisation

Kim wechselt zu einer Investmentbank nach New York. Präsident Donald Trump hat schon einen Kandidaten für die Nachfolge benannt: David Malpass, 62, Staatssekretär im amerikanischen Finanzministerium, einst Chefökonom von Bear Stearns (die Investmentbank ging in der Finanzkrise unter) und leidenschaftlicher Kritiker der Weltbank. Das Institut gehöre zu den "gigantisch wuchernden" internationalen Organisationen, die "Schuldenberge anhäufen, ohne Probleme zu lösen", sagte der Ökonom einmal.

Die Weltbank und ihre - neben den USA - 188 Mitglieder sollten sich auf raue Zeiten einstellen. Auch Deutschland als - nach dem Stimmenanteil - viertgrößtes Mitgliedsland dürfte der Wechsel beschäftigen. Multilaterale Organisationen wie die Weltbank spielen eine zentrale Rolle in der deutschen Außenpolitik. Kaum ein Zweifel besteht daran, dass Malpass den Job bekommt - bisher kamen noch alle Präsidenten der Weltbank aus den USA, dem größten Mitgliedsland. Zum Ausgleich benennen die Europäer den Direktor des IWF (derzeit ist es die Französin Christine Lagarde).

Der Proporz verdankt sich einer bizarren Wendung der Geschichte, an die sich heute fast niemand mehr erinnert. Als sich die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges 1946 daranmachten, IWF und Weltbank aufzubauen, gab es für den wichtigsten Posten, den Direktor des IWF, einen gesetzten Kandidaten: Harry Dexter White, führender Beamter im US-Finanzministerium. White gilt als eigentlicher Erfinder des IWF.

Für David Malpass ist "Multilateralismus viel zu weit" gegangen"

Er hatte sein Konzept 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods durchgesetzt, zusammen mit dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes. Kurz vor der Nominierung jedoch verdächtigte das FBI White, ein sowjetischer Spion zu sein (der Verdacht hat sich später bestätigt). In dieser Situation beschloss Präsident Harry Truman, gar nicht erst nach einem unbelasteten Mann zweiter Wahl zu suchen, sondern stattdessen die Spitze der Weltbank für die USA zu beanspruchen. Deren erster Präsident wurde dann der damalige Verleger der Washington Post, Eugene Meyer.

Wechsel an der Spitze hat weitreichende Konsequenzen

Heute ist der Proporz ein Anachronismus. Trotzdem hat noch niemand ernsthaft versucht, ihn aufzubrechen. Der bisher letzte Amtsinhaber, Jim Yong Kim, hatte immerhin erstmals eine Gegenkandidatin, die nigerianische Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala. Seine Wahl war jedoch nie gefährdet.

Mitglieder und Mitarbeiter der Weltbank sollten sich also auf vier Jahre David Malpass einstellen. Man kann es negativ sehen: Angesichts eines neuen Präsidenten, für den "Multilateralismus viel zu weit" gegangen ist, sind Sorgen um die Zukunft berechtigt. Man kann es aber auch positiv sehen: Der Wechsel an der Spitze zwingt die bürokratische Institution mit ihren mehr als 10 000 Mitarbeitern auf der ganzen Welt, sich selbst infrage zu stellen. Über den Prozess kann der Präsident nicht alleine gebieten. Er ist abhängig von den Mitgliedsstaaten, die in Gestalt von 25 Exekutivdirektoren - einer Art von Aufsichtsräten - allen Grundsatzentscheidungen zustimmen müssen. Dabei kommt es auch auf mittlere Länder wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien an.

Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung war, wie der Name noch erkennen lässt, gegründet worden, um den Wiederaufbau des kriegszerstörten Europa zu finanzieren. (Die Bundesrepublik Deutschland wurde 1952 Mitglied.) Diese Aufgabe war spätestens in den 1960er-Jahre abgeschlossen. Jetzt konzentrierte sich die Bank auf Projekte in den Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Diese bekamen auf dem freien Markt entweder gar keinen Kredit oder wenn doch, dann nur zu horrenden Zinsen. Die Weltbank konnte ihnen beispringen, weil an ihrer Bonität kein Zweifel bestand, schließlich standen ja die Steuerzahler der reichsten Länder hinter dem Institut. Die Organisation hatte außerdem die Fachleute, um die Rentabilität von Investitionen beurteilen zu können, so hoffte man jedenfalls.

Nun ist das mit der Rentabilität so eine Sache. Die meisten Empfängerländer der Hilfe waren und sind nicht unbedingt demokratisch oder rechtsstaatlich verfasst. Das ist einer der Gründe dafür, dass es bei der Umsetzung der Weltbank-Politik immer wieder zur Verletzung von Menschenrechten, zu schweren Umweltschäden und zu Korruption kommt. Die klassischen Beispiele für problematische Projekte sind Staudämme, die zwar grüne Energie liefern, bei denen aber Flusssysteme zerstört, Fischer ihrer Existenzgrundlagen beraubt und Menschen auf brutale Weise umgesiedelt werden, ohne eine angemessene Entschädigung zu bekommen. Wegen dieser und anderer Missstände ist die Kritik an der Weltbank immer lauter geworden, bis hin zu den Krawallen von Westberlin 1988.

Chance für heikle Fragen

Fast alle Präsidenten der Weltbank haben seither versucht, auf die Kritiker zuzugehen. Der ausgeschiedene Jim Yong Kim, berufen von Barack Obama, rief sogar eine regelrechte "Kulturrevolution" aus. Die Mitarbeiter der Bank sollten risiko- und verantwortungsbewusster werden, verlangte der gelernte Arzt, der in jungen Jahren selbst gegen die Weltbank demonstriert hatte. Es gab viel Kritik aus den Reihen der Mitarbeiter an Kims Reformen, aber insgesamt ist seine Bilanz nicht schlecht. So gelang es ihm, das Weltbank-Geschäft auf den Kampf gegen die Armut und für Umweltschutz zu konzentrieren. Kim schaffte es auch, widerstrebende Mitglieder dazu zu bringen, dass sie mehr Mittel für Hilfe an die Ärmsten bereitstellten. Er baute die Kooperation mit privaten Investoren von der Wall Street aus. Die deutsche Bundesregierung jedenfalls unterstützte Kim während seinen anderthalb Amtszeiten ohne Einschränkung.

Und jetzt zieht also der Weltbank-Kritiker David Malpass in das Hauptquartier der Bank in der H Street ein, nur wenige Schritte vom Weißen Haus entfernt. Die Frage ist: Liegt in der von Trump diktierten Personalie vielleicht sogar eine Chance? Die Chance, einige unbequeme Fragen zu stellen, vor allem die eine: Wozu braucht man die Weltbank eigentlich noch? Anders als bei deren Gründung 1946 gibt es heute Kapital in Hülle und Fülle. Was immer irgendwann rentabel zu werden verspricht, wird auch finanziert. Und wenn dem nicht so ist, weil ein Land zum Beispiel nicht kreditwürdig ist, dann fällt es der Weltbank immer wieder schwer, einzuspringen, ohne eigene ethische Standards ("safeguards") zu verletzen. Irgendwo hier läuft die Kritik von links und von rechts zusammen.

Gelöst werden muss auch die Frage, wie es die Bank künftig mit der Volksrepublik China hält. Einerseits ist das Land der drittgrößte Anteilseigner der Weltbank und tritt zunehmend fordernd auf, andererseits gehört es zu den wichtigsten Empfängern von Projekten der Bank. Nicht nur Leute aus der Trump-Regierung halten das für überholt. Noch im vergangenen Dezember genehmigte die Bank ein Programm für klimafreundliche Investitionen in den Güterverkehr über knapp 14 Millionen Dollar. Das Projekt ist durchaus sinnvoll, nur könnten die Chinesen es natürlich leicht selbst finanzieren. Schließlich hat die Regierung in Peking Geld genug, um eine eigene Internationale Bank für Infrastruktur-Investitionen (AIIB) zu gründen, in der Absicht, Amerika und der Weltbank Paroli zu bieten.

Ein bemerkenswerter Rat an den neuen Präsidenten der Weltbank kommt von Paul Romer, Professor an der New York University, er bekam 2018 den Wirtschaftsnobelpreis. Romer war einmal Chefvolkswirt der Weltbank; er trat nach nur 15 Monaten im Amt zurück, nachdem er öffentlich Experten der Bank beschuldigt hatte, vorurteilsbeladen eine Statistik über Geschäftsbedingungen in verschiedenen Länder verfasst zu haben. Daraus zog Romer nun die Konsequenzen und empfahl Malpass in einem Beitrag für die Financial Times, die Experten der Bank organisatorisch von jenen zu trennen, die Projektentscheidungen treffen: "Diplomatie und Wissenschaft können nicht unter dem selben Dach gedeihen", schreibt Romer. Die Weltbank wäre danach ein Thinktank, dem eine Bank angeschlossen ist.

Wobei die Diplomatie weiter eine zentrale Rolle spielen muss. China und Amerika mögen in der Welt antagonistisch auftreten, bei der Weltbank müssen sie sich als Anteilseigner gemeinsam um den Kampf gegen die Armut bemühen. Romer sieht die "Schönheit der Weltbank" gerade darin, dass ihre diplomatische Mission sie in die Lage versetzt, globale Probleme anzupacken.

Vielleicht wird die Ära Malpass wirklich keine Katastrophe für die Bank, wenn nur die anderen Mitglieder, besonders Deutschland, um diese Mission wissen.

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