Mafia:„Solange kein Blut fließt, lässt man die Leute gewähren“

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Eine europaweite Razzia gegen Organisierte Kriminalität in Nordrhein-Westfalen, hier in einer Eisdiele in der Duisburger Innenstadt. (Foto: Christoph Reichwein/picture alliance/dpa)

Mafia-Paten genießen in Hollywoodfilmen Heldenstatus. Doch die Organisierte Kriminalität unterwandere nahezu ungehindert Deutschlands Wirtschaft, warnt Mafia-Experte Sandro Mattioli.

Interview von Meike Schreiber, Markus Zydra, Frankfurt

Sandro Mattioli, 48, beschäftigt sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit der italienischen Mafia in Deutschland. Er hat viele Kronzeugen, Staatsanwälte, Ermittler und Angehörige von Mafia-Opfern gesprochen. Der Deutsch-Italiener ist Vorstand des Vereins „Mafianeindanke“. Jetzt hat der Journalist das Buch „Germafia“ geschrieben. Darin beschreibt er, wie stark die wohl mächtigste italienische Mafiaorganisation namens ’Ndrangheta in der deutschen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verankert ist.

SZ: Herr Mattioli, viele Menschen in Deutschland haben womöglich mehr Angst vor arabischen Clans als vor der italienischen Mafia. Schätzen die Leute das richtig ein?

Sandro Mattioli: Beides ist bedrohlich. Die arabischen Clans agieren sehr öffentlichkeitswirksam. Wenn sie hundert Kilogramm Gold aus einem gut gesicherten Museum stehlen, dann kriegt das jeder mit. Die italienische Mafia agiert eher im Verborgenen. Man sollte sie aber nicht weniger ernst nehmen.

Warum?

Die italienische Mafia breitet sich in Deutschland aus und nistet sich nach meinen Recherchen auch in Bereichen ein, wo sie wirklich nicht sein sollte. Beispielsweise im Finanzwesen. Seit 2017 gibt es offizielle Angaben zur Zahl der Mitglieder der italienischen Mafia in Deutschland. 2022, das ist die neueste Zahl, waren es 1003 Mitglieder. Das dürften doppelt so viele sein wie vor zehn Jahren.

Viele Menschen haben ein romantisches Bild von der italienischen Mafia. Liegt das an den Filmen? 

Ja, die italienische Mafia fasziniert viele Leute. Aber: Die Mafia ist eine ultrabrutale Organisation, die viele Morde zu verantworten hat. Italien ist in Deutschland beliebt, Dolce Vita, das tolle Essen. Die Mafia wird mit einem positiven Italien-Bild assoziiert, davon profitiert sie.

„Deutschland ist vor allem deshalb sehr attraktiv, weil die Mafia hier nur unzureichend verfolgt wird“, sagt Sandro Mattioli. (Foto: Lorenzo Maccota)

Hat es die ’Ndrangheta in Deutschland besonders leicht?

Kronzeugen und italienische Staatsanwälte haben immer wieder gesagt: Deutschland ist nach Italien das wichtigste Land für die ’Ndrangheta. Ihre Strategie ist, in legale Wirtschaftsbereiche einzudringen und stark auf Netzwerke zu setzen. In Deutschland fällt das auf fruchtbaren Boden, auch weil hier seit den 1960er-Jahren viele sogenannte Gastarbeiter leben. Zugleich haben wir einen starken Mittelstand mit geschäftlichen Interessen, die auch für die Mafia dienlich sein können. Es ist für beide Seiten eine Win-win-Situation.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie die ’Ndrangheta bereits 1969 beschlossen hat, auch unternehmerisch zu wirken.

Ja, schon damals, als Globalisierung noch ein theoretisches Konzept war, als es in Europa noch Grenzen mit Zöllen gab, hat die ’Ndrangheta entschieden, dass man auch in die legale Wirtschaft expandiert. Das war bei einer Vollversammlung in einem Wald in Kalabrien. Man hat sich dann am Bau des Hafens in Gioia Tauro oder der Autobahn von Reggio Calabria nach Salerno beteiligt. Wir denken bei der ’Ndrangheta immer an Clans, die ein Restaurant betreiben. Dabei geht sie organisatorisch längst darüber hinaus.

Welches Ziel hat die Organisation?

Es geht nach wie vor darum, territorial den Einfluss auszuweiten, an Macht zu gewinnen und ihre Milliarden zu waschen. In Europa sind die Clans in mindestens 17 Mitgliedstaaten der EU aktiv, weltweit auf allen fünf relevanten Kontinenten.

Was macht Deutschland attraktiv für die ’Ndrangheta?

Deutschland ist vor allem deshalb sehr attraktiv, weil die Mafia hier nur unzureichend verfolgt wird. Es interessiert im Grunde kaum jemanden, dass sie so einen Zuwachs hat. Man muss sich aber vergegenwärtigen: Das ist eine kriminelle Organisation, die Mitgliedschaft ist auch hierzulande eine Straftat. Die Bundesregierung kennt die Zahlen. Dennoch werden diese Leute völlig unzureichend verfolgt, so nach dem Motto: Solange kein Blut fließt, lässt man die Leute gewähren.

Wie läuft die unternehmerische Unterwanderung durch die Mafia ab?

Ich erzähle in meinem Buch, wie Freunde und Geschäftspartner von italienischen Gastronomen plötzlich in irgendwelche wirtschaftlichen Projekte in deren Heimat investieren, etwa in erneuerbare Energien oder im Gemüseanbau. Anderseits investieren Italiener hierzulande: Es gab den Fall eines wegen Korruption verurteilten Geschäftsmanns, der anbot, 300 Millionen Euro in Cash für ein Grundstück in Baden-Württemberg zu bezahlen, ohne dass hier in Deutschland jemand wirklich geprüft hätte, woher das Geld kommt. Es deutet viel darauf hin, dass auch deutsche Unternehmer im Umfeld von mutmaßlichen Mafiosi profitieren.

Wer ist der Leidtragende solcher Geschäfte?

Alle, die ihr Geschäft nicht mit Geld aus Straftaten subventionieren können, die überteuerte Immobilien kaufen oder mieten müssen. Darüber hinaus kauft die Mafia Betriebe mit illegalem Geld. Oder sie verdrängt Konkurrenten, auch mit Gewalt und Einschüchterung. Das passiert längst auch in Deutschland. Ich habe schon mehrfach gehört, dass Leuten gesagt wurde: Du machst hier kein italienisches Restaurant auf, sonst gibt es Ärger. Dazu verlangen die Clans heute das berühmte Schutzgeld in einer Form, die maximal mit geringen Strafen geahnt werden kann, nämlich indem sie den Betroffenen Waren „verkaufen“.

In Thüringen haben Linke und Grüne gerade einen Untersuchungsausschuss zu den Geschäften der Mafia nach der Wende 1989/1990 durchgesetzt; Auslöser waren jahrelange journalistische Recherchen. Was kam heraus?

Der Abschlussbericht steht noch aus. Ein Mitglied des Ausschusses, Katharina König-Preuss von den Linken, sagte aber bei einer öffentlichen Veranstaltung: Es gebe kaum Restaurants in Thüringen mit italienischer Küche, die keine Verbindungen zur ’Ndrangheta hätten. Von diesem Ausschuss müsste eigentlich eine dringende Mahnung ausgehen, das Thema ernst zu nehmen. Leider sind aber die Protokolle des Ausschusses nicht zugänglich, und zudem waren viele Befragungen nicht öffentlich.

Nicht öffentlich? Wie kann das sein?

Beim Thema Mafia will man offenbar vieles lieber geheim halten. Es war zu vernehmen, dass sogar Akten, die dem Ausschuss schon vorlagen, im Nachhinein als geheim eingestuft werden sollten, und dass das Gremium generell wenig Unterstützung erfuhr. Der Ausschuss untersuchte auch Kontakte von Politikern zu Richtern und Rechtsanwälten, es ging um Immobilienkäufe und Gaststättenkäufe. Ein sehr weites Feld.

Hat die Mafia die Politik in Deutschland unterwandert?

Das würde ich nicht sagen, es klingt mir zu verschwörerisch. Aber die Mafia ist gut im Netzwerken. Es gibt das bekannte Beispiel der Freundschaft zwischen dem CDU-Politiker Günther Oettinger und dem Gastwirt Mario Lavorato aus Stuttgart. Lavorato wurde just vor wenigen Wochen in Italien rechtskräftig verurteilt zu acht Jahren und acht Monaten Gefängnis, unter anderem wegen Mitgliedschaft in der ’Ndrangheta. Er war in den 1990er-Jahren befreundet mit Oettinger, dem späteren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, der sich inzwischen von Lavorato distanziert hat.

Lavorato besaß eine Ferienanlage in seinem Heimatort, dort machten immer wieder Leute aus dem Ländle Urlaub. Und die Gruppe um Lavorato organisierte auch Reisen nach Kalabrien für Politiker, Wirtschaftsleute und Politiker. Allerdings gibt es keinen Beleg dafür, dass Oettinger an einer solchen Reise teilnahm, andere dagegen schon. Wenn die Teilnehmer dafür gezahlt haben, dann ist das erst mal nicht strafbar, aber so vernetzt sich die Organisation.

In Deutschland sind Staatsanwaltschaften – anders als in Italien – politisch weisungsgebunden. Bedeutet also: Sie ermitteln unabhängig, unterstehen aber letztlich dem Justizministerium. Ist das gut oder schlecht?

Das hängt vom politischen Willen ab, gegen solche Strukturen vorzugehen. Fehlt es am Willen, ist es gefährlich, dass Staatsanwaltschaften weisungsgebunden sind. In verschiedenen Gebieten in Deutschland funktioniert die Bekämpfung der italienischen organisierten Kriminalität kaum. Wir brauchen motivierte unabhängige Schwerpunktstaatsanwaltschaften für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität.

Etwa in Ihrer Heimat Baden-Württemberg?

Ja, da gab es viele merkwürdige Dinge. Etwa im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die ’Ndrangehta und dem früheren Oettinger-Freund Lavorato. Quellen haben mir berichtet, dass baden-württembergische Behörden versucht haben, Lavorato bei einer der wichtigsten Polizeiaktionen gegen die ’Ndrangheta 2018 aus dem Kreis der Beschuldigten herauszuhalten. Es gab einen sehr engagierten Ermittler, der kaltgestellt worden ist in dem Zusammenhang.

Schon zuvor wollte ein Berater für das Drucken von Falschgeld seine Informationen mit dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg teilen. Der Mann berichtete, er sei von Lavorato engagiert worden, habe aber wenig Gehör gefunden. Er sagte, er sei zunächst von einem sehr engagierten Beamten vernommen worden. Der hätte aber wohl Druck bekommen und ihn dann an einen Kollegen abgeschoben. Dann sei auch nichts unternommen worden. Manche Staatsanwälte in Italien schlagen über die Verhältnisse die Hände über dem Kopf zusammen. Solchen Dingen muss auf den Grund gegangen werden.

Sie recherchieren seit 15 Jahren zur Mafia. Leben Sie gefährlich?

Ich bin ein bisschen vorsichtiger geworden. Ich schaue mich immer um, wenn ich aus dem Haus gehe. Und natürlich weiß ich, wen ich da als Gegner habe. Das Unangenehmste für mich ist aber, dass ich als freier Journalist und relativ ungeschützter Bürger dem deutschen Staat sagen muss: Macht da mehr. Ich habe kein großes Medienimperium hinter mir. Ich habe nur meinen Verein und meine journalistische Arbeit. Und kenne die Akten.

Dann muss man Institutionen wie der Staatsanwaltschaft Stuttgart oder einem Landeskriminalamt sagen: Ihr ignoriert Hinweise auf Verbrechen, ihr klärt Netzwerke nicht auf, ihr macht eure Arbeit nicht. Ich muss der Bundesrepublik Deutschland sagen, ihr schaut zu, wie sich Mafia-Mitglieder hier ausbreiten. Dabei will ich nur, dass Deutschland und damit wir alle vor der Mafia geschützt werden. Die Mafia gefährdet die Demokratie. 

Sind Sie schon bedroht worden?

Ja, das passiert. Auf einer Veranstaltung hat mir jemand deutlich gemacht, dass nur alt wird, wer rechtzeitig aufhört, damit bezog sich der Mann auf meine Arbeit. Später erfuhr ich, dass er ein Mitglied der ’Ndrangheta war.

Was muss sich ändern in Deutschland? 

Vieles. Man müsste den Paragraf 129 anpassen, der eigentlich die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt, aber so gut wie nie für die Verurteilung von Mafiosi angewendet wird. Die Mitgliedschaft in einer Mafiaorganisation wird nur sichtbar, wenn sie juristisch verfolgt wird. Insgesamt braucht es mehr Druck auf politischer Ebene. Vor allem muss kriminell erworbenes Vermögen von Gangstern künftig stärker aufgespürt und beschlagnahmt werden. Da passiert einfach nichts. In Italien haben die Ermittler viel bessere Karten im Kampf gegen die Mafia.

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