Süddeutsche Zeitung

Märklin:Raus aus dem Keller

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Die traditionsreiche Modelleisenbahnmarke galt lange als altbacken und war zwischenzeitlich insolvent. Nun versucht der neue Eigentümer, junge Leute wieder für das Hobby zu begeistern - zum Beispiel über Social Media.

Von Uwe Ritzer, Fürth

Sie mussten die Eröffnung schon mehrfach verschieben - derzeit gehen sie von kommendem Juni aus. Die Handwerker sind schuld. "Gerade ist ein Vitrinenbauer in Verzug", sagt Florian Sieber. 13 Millionen Euro investiert der Unternehmer in ein "Märklineum" in Göppingen, und er verspricht, dass dort nicht nur die Vergangenheit des größten europäischen Modelleisenbahnbauers Märklin gezeigt werde, sondern auch dessen Gegenwart und Zukunft. Gut, ein paar Schätze und Raritäten aus der 161 Jahre alten Firmengeschichte, das bietet sich an. "Aber wir wollen auch Einblicke in unsere Produktion geben, eine große Schauanlage aufbauen und mit dem Publikum multimedial kommunizieren", sagt Sieber. Eine Erlebniswelt auf Schmalspurschienen.

Modelleisenbahnen, ein verstaubtes Relikt aus der Vergangenheit? Ein zum Zeitvertreib älterer Herren mutiertes, noch dazu teures Spielzeug gewissermaßen aus der Steinzeit, lange bevor die Digitalisierung die Kinderzimmer eroberte? Vor ein paar Jahren sah es so aus, als stünden Modellbahnhersteller auf dem Abstellgleis. Einer nach dem anderen stellte angesichts von Umsatzeinbrüchen und Verlusten den Betrieb ein, Tausende Jobs gingen verloren. Auch Märklin erlebte qualvolle Jahre und stellte schließlich einen Insolvenzantrag. Dann kamen die Siebers.

Sechs Jahre ist es her, dass Florian Sieber, 31, und sein Vater Michael, 63, den Markenhersteller aus dem schwäbischen Göppingen mit Ableger im ungarischen Györ übernommen haben. Die Siebers aus dem fränkischen Fürth sind Deutschlands größte Spielwarenunternehmer; ihre Simba-Dickie-Gruppe zählt 3100 Beschäftigte und erwirtschaftete im zurückliegenden Geschäftsjahr 702,3 Millionen Euro Umsatz. Märklin nicht eingerechnet.

"Zwischen beiden Firmen gibt es so gut wie keine Synergien", antwortet Florian Sieber auf die Frage, warum seine Familie Märklin nicht in die Simba-Dickie-Gruppe eingegliedert hat, zu der viele Marken wie Big (Bobby Car), Noris-Spiele oder die Modellautomarke Schuco gehören. Sieber könnte auch sagen: Märklin ist vor allem mein Reich. Er war gerade mit dem Studium fertig, als er 2013 mit seinem Vater einstieg. Von Anfang an führte er die Firma, die im abgelaufenen Geschäftsjahr zum zweiten Mal in Folge wuchs. Um fünf Millionen Euro legte der Umsatz auf 117 Millionen zu, nach einem Plus von vier Millionen im Jahr zuvor. Knapp 1200 Menschen arbeiten derzeit für Märklin.

Märklin ist nicht die einzige Modellbahnmarke, die nach vielen Jahren im dunklen Tunnel allmählich wieder ans Licht steuert. "Der Markt zieht insgesamt spürbar an", sagt Sieber und verweist auch auf andere, allesamt kleinere Hersteller. Und warum? "Wir kommen aus der Kellerecke raus". Spielen mit Modelleisenbahnen gelte wieder "als sympathisch", glaubt Sieber. Zumal es einem Trend folgt, den nicht nur, aber vor allem die Hersteller von Brettspielen schon länger spüren: Gespielt wird gerne generationenübergreifend. Im Zuge dessen kramt auch die Generation 40 plus die Modelleisenbahn aus der Kindheit hervor.

Märklin will sich mit deutlich günstigeren Einsteiger-Sets auf dem Markt etabliert

Darauf allein will sich Märklin allerdings nicht verlassen. Angesichts, verglichen mit anderem Spielzeug, hoher Preise für originalgetreue Züge und Zubehör hat das Unternehmen deutlich günstigere Einsteiger-Sets auf dem Markt etabliert. Damit kehrte, wenn man so will, die Modelleisenbahn als solche aus den Schauvitrinen von Sammlern auch ein Stück weit in die Kinderzimmer zurück. Einher damit gelingt es Märklin immer besser, durch digitale Kommunikation über soziale Netzwerke und Youtube das Modellbahn-Image zu entstauben. Dafür spricht auch die Entwicklung im 50 000 Mitglieder zählenden Märklin-Fanclub. "Wir verzeichnen dort seit zwei Jahren wieder Zuwachs und eine Verjüngung", sagt Florian Sieber.

Neben seinem Job als Märklin-Chef steht er inzwischen gemeinsam mit seinem Vater Michael auch an der Spitze der Simba-Dickie-Gruppe. Anders als in vielen Familienunternehmen verläuft der Generationenübergang in Fürth offenkundig geschmeidig. Die Firmengruppe wuchs zuletzt operativ um ein Prozent, legte dank Zukäufen in den USA und Frankreich beim Umsatz aber insgesamt um 14 Prozent zu. Und man will weiter wachsen. "Unsere Kriegskasse ist gefüllt", sagt Michael Sieber.

Weder vom Brexit noch dem drohenden Handelskrieg zwischen den USA und China will er sich seinen Optimismus nehmen lassen. "Alle reden vom Brexit, wir gehen nach Großbritannien rein", sagt Sieber. Die Insel werde auch in Zukunft für Kontinentaleuropa ein wichtiger Partner bleiben. Ob Mitarbeiter- oder Warenströme - "die Vernunft wird sich durchsetzen, alles andere wäre Schwachsinn".

Geringer wird nach Siebers Erwartung dagegen die Dominanz Chinas, wo etwa drei Viertel aller Spielwaren produziert werden. Vor allem US-Hersteller suchen nach Alternativen; auch Simba-Dickie baut Kapazitäten in anderen Ländern Asiens auf und hat seine China-Quote im Sortiment bereits auf 60 Prozent gedrückt. Die Abhängigkeit vom Produktionsstandort China werde weiter sinken, sagt Michael Sieber. "Allerdings geht das nicht von heute auf morgen."

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Quelle:
SZ vom 25.01.2020
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