Madrid geht unter den Euro-Rettungsschirm:Ist Spanien das nächste Griechenland?

Mit Spanien ist nun der viertgrößte Euro-Staat unter dem Rettungsschirm. Wird das Land europäischer Dauerpatient, so wie Griechenland, dann platzt der Euro. Doch Madrid steht besser da als Athen.

Alexander Hagelüken, Claus Hulverscheidt und Sebastian Schoepp

Nun also Spanien. Noch nie ist eine so große Nation unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpft. Spaniens Volkswirtschaft ist fast doppelt so groß wie die ökonomische Leistung von Griechenland, Portugal und Irland zusammen, den drei anderen Staaten unter dem Schirm. Damit stellt sich die Frage, ob Spanien wie Griechenland zum Dauerpatienten wird - was angesichts der Größe des Landes die Währungsunion sprengen dürfte.

Spanish Tourism On The Costas

Hochhäuser am Strand in Barcelona: Die Immobilienblase ist geplatzt, die Banken brauchen Kapital.

(Foto: Bloomberg)

"Die Dinge in Spanien sind ganz anders als in Griechenland: Die Wirtschaft ist viel stabiler, die Staatsverschuldung ist traditionell eher gering", sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Markus Kerber, der SZ. Doch auch Kerber weiß: "Das Bankenproblem hängt dem Land wie ein Mühlstein um den Hals." Dass das Thema so lange nicht angegangen worden sei, habe die Finanzmärkte stark belastet. Wird Spanien doch das nächste Griechenland? Ein Überblick.

Passable Wirtschaftskraft

Spaniens Wirtschaft leidet darunter, dass der Bausektor jahrelang Wirtschaftsmotor war, nun aber durch die Immobilienkrise kollabierte. Hunderte Firmen gingen pleite. Der technologische Bereich ist in Spanien traditionell eher schwach. Die sozialistische Regierung versuchte, den Solarsektor durch hohe Subventionen auszubauen, nach deren Wegfall durch den Sparzwang lahmt diese Sparte. Trotzdem ist Spaniens Wirtschaft weit moderner als die Griechenlands, das kaum industrielle Exportprodukte hat. Fachmann Kerber glaubt auch nicht, dass Spanien inzwischen ein Stigma trägt, das ausländische Firmen von Investitionen abhält. Weshalb die Chancen viel besser stehen, dass Spanien seine Probleme überwindet und die Kredite an die Euro-Partner zurückzahlt.

Energieversorger wie der baskische Gigant Iberdrola, der im Amerikageschäft stark ist, gehören zu den Aktiva der Wirtschaft. Der Konzern zählt zum guten Dutzend global erfolgreicher Konzerne, die Spanien in den vergangenen Jahren hervorbrachte. Telefonica, die Versicherung Mapfre oder die Großbanken profitieren vom Lateinamerika-Boom. Die Autozulieferindustrie Spaniens ist die zweitgrößte Europas. Inditex (Zara) führt die Tradition der spanischen Textilindustrie fort. Im Baskenland und in Katalonien sind Nano- und Medizintechnik stark. Wegen der Konsumflaute und des geringen Imports hat Spanien sogar einen Handelsüberschuss.

Den Export leichter Industrie- und Konsumgüter vor allem in Schwellenländer halten Fachleute für die große Chance des Landes. Sorgen macht Ökonomen aber die niedrigere Produktivität spanischer Arbeitnehmer, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit bremst. Sie halten es für unumgänglich, dass die Arbeitskosten und damit die Löhne eher sinken müssen.

Schwache Banken

Während die Industrie ganz gut dasteht, ist ein anderer Sektor das große Problem: Die Finanzbranche. Während des Immobilienbooms bliesen gerade kleine Institute die Spekulationsblase auf, in dem sie Habenichtsen Kredite von 120 Prozent und mehr der Bau- oder Kaufkosten der Häuser gaben. Spekulation wurde Volkssport. Als die Pyramide zusammenbrach, blieben viele Kleinspekulanten auf unverkäuflichen Wohnungen sitzen - die dann bei den Banken landeten. Geplatzte Kredite und Wertverluste der Immobilien trüben ihre Bilanzen.

Die spanische Notenbank schätzt, dass sich die faulen Kredite auf 180 Milliarden Euro summieren, andere gehen von bis zu 350 Milliarden Euro aus. Die Immobilienpreise sind bereits um 30 Prozent gefallen, gelten aber immer noch als zu hoch. Die Banken brauchen schnell viel Geld, um die Löcher in ihren Bilanzen zu stopfen und endlich all die Risiken in ihren Büchern offenzulegen - sonst werden die Finanzmärkte ihnen und dem ganzen Land weiter misstrauen.

Zitterprämie von sechs bis sieben Prozent

In der Klemme stecken weniger die Großbanken Santander und BBVA als die Ex-Sparkassen, die zu Geschäftsbanken umgebaut wurden und bereits staatliche Hilfe erhielten. Werden ihre Probleme nicht rasch gelöst, droht Spanien ein Japan-Erlebnis: Nach dem Platzen seiner Finanzblase verzögerte die Regierung die Sanierung der Banken - was einer der Gründe für die lange Stagnation des Landes war. Wenn die iberischen Banken mithilfe des Rettungsschirms rasch saniert werden, wird Spanien nicht das nächste Griechenland.

Maßvolle Schulden, gefährlich hohe Zinsen

Als die Griechenland-Krise ausbrach, waren die spanischen Staatsschulden weit niedriger als etwa die deutschen. Die Wirtschaftskrise und hohe Zinsen dürften die Verbindlichkeiten 2012 auf 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts treiben - deutsches Niveau, aber immer noch halb so hoch wie Griechenland. Das Problem sind also weniger die Schulden als die Zitterprämie von sechs bis sieben Prozent, die Investoren momentan verlangen, wenn die Regierung in Madrid alte Kredite durch neue ersetzen will.

Entscheidend ist, ob die Euro-Hilfe diese Zinsen reduziert, wie es schon mal Anfang des Jahres nach der großen Geldspritze der Europäischen Zentralbank EZB geschah - und die Regierung so aus ihrer Finanzklemme befreit. Dann hat Spanien viel bessere Perspektiven als Griechenland.

Viele Arbeitslose, schlechtes Bildungssystem

Der Zusammenbruch des Bausektors ließ die Zahl der Arbeitslosen explodieren - von 1,7 Millionen zu Boomzeiten 2004 bis auf 5,6 Millionen - 25 Prozent der Arbeitsfähigen, Europas Spitzensatz. Unter den Arbeitslosen sind viele Immigranten, die allmählich abwandern. Dass Spanien angesichts so hoher Arbeitslosigkeit überhaupt funktioniert, liegt an der Schwarzarbeit - etwa zwanzig Prozent der Wirtschaftsleistung. Das hält die Menschen am Leben - aber dem Staat fehlen dringend benötigte Steuerund Sozialeinnahmen.

Deutsche Firmen, die in Spanien investieren, loben im allgemeinen die Arbeitsmoral und den Fleiß der Einwohner. Jedoch bemängeln sie die praxisferne Ausbildung. Die Sozialisten betrieben in den 80er Jahren eine starke Akademisierung des Bildungsbereichs. Auch reine Fachberufsausbildungen, für die man in Deutschland eine Lehre macht, wurden an die Universität verlagert. Außerdem sind traditionell saubere, aber wenige produktive Berufe wie Anwalt sehr populär, vielfach ist es verpönt, sich an eine Maschine zu stellen.

Spanien ist gerade erst dabei, die Defizite im Bildungs- und Arbeitsmarktbereich zu verbessern. Ökonomen halten weitere Reformen in diesem Bereich für unverzichtbar, damit das Land insgesamt wirtschaftlich auf die Beine kommt - und nicht zum nächsten Griechenland wird.

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