Made in Germany:Gefährliches Gütesiegel

Design, Forschung, Tüftlergeist - mit diesen Tugenden wurde Deutschland zum Ausstatter der Globalisierung. Noch heute vertrauen die Kunden darauf, deutsche Wertarbeit einzukaufen. Aber was haben die Beschäftigten hierzulande davon, wenn Konzerne neue Fabriken immer öfter im Ausland ansiedeln? Bald nicht mehr viel.

Björn Finke

Dreiste Kopien heimischer Waren, nur billiger und schlecht verarbeitet: Die Industriebosse sind empört und fordern von der Regierung ein hartes Vorgehen gegen die Plagiateure aus dem aufstrebenden Staat.

Das klingt nach einer der vielen Handelsstreitigkeiten, die sich an Produkten aus China entzünden. Tatsächlich war aber in diesem Fall Deutschland der Missetäter, genauer: das Deutsche Reich. Die wegweisende Episode spielt 1887, und die gereizten Industriebosse saßen in Großbritannien.

Ihre Intervention in London stand am Anfang einer beispiellosen Erfolgsgeschichte, sie schuf eines der wertvollsten Markenzeichen der Welt: Made in Germany. Um die Bevölkerung vor minderwertigen Einfuhren aus dem Reich der Hunnen zu warnen, vergatterte die britische Regierung vor 125 Jahren, am 23. August 1887, deutsche Hersteller dazu, ihre Waren mit jenem Kennzeichen zu markieren: Hergestellt in Deutschland.

Von der Anti-Werbung zum Qualitätssiegel

Was als Anti-Werbung gedacht war, entwickelte sich schnell zum Qualitätssiegel, weil die Deutschen rasch dazulernten. Heute steht Made in Germany für die Stärke der Industrie und für Exportrekorde. Doch ist das Jubiläum kein Grund für grenzenlosen Jubel: In den Tagen der Schuldenkrise wird deutlicher denn je, dass die Exporterfolge teuer erkauft sind. Und es ist längst nicht ausgemacht, dass es vor allem Deutschland und die deutschen Arbeitnehmer sind, die vom Mythos Made in Germany profitieren.

Wo Made in Germany draufsteht, stecken deutsche Arbeitsstunden drin - so einfach ist das nicht mehr. Das Siegel erteilt keine staatliche Stelle, die Firmen pappen es selbst auf ihre Waren. Stammt der Großteil des Produkts aus dem Ausland, kann der Hersteller Ärger vor Gericht bekommen, aber klare Regeln gibt es nicht.

Ob Henkel oder Adidas, Volkswagen oder Siemens: Viele deutsche Konzerne beschäftigen inzwischen den Großteil ihrer Mitarbeiter in Fabriken im Ausland, dort ordern sie die meisten Produkte bei Zulieferern, von dort stammen die meisten Umsätze. Trotzdem treten sie als deutsche Firmen auf. Die Kunden vertrauen darauf, deutsche Wertarbeit einzukaufen. Gerade in Schwellenländern wie China genießen Autos und Maschinen aus der Bundesrepublik einen Spitzenruf.

Deutschland als Ausstatter der Globalisierung

Doch das originär Deutsche an derartigen Produkten ist eben nicht, dass sie hierzulande von Facharbeitern zusammengeschraubt wurden. Es geht vielmehr um das Design und die Forschung, die dahintersteckt und oft noch in Deutschland angesiedelt ist. Und um den typisch deutschen Tüftlergeist, also darum, mit Produkten Probleme für den Kunden zu lösen, die er für nicht lösbar gehalten hat. Dank dieser Tugenden wurde Deutschland zum Ausstatter der Globalisierung; deswegen treiben Maschinen hiesiger Firmen die Aufholjagd Chinas an.

Aber was haben Deutschlands Beschäftigte davon? Wenn sie keine Akademiker oder topausgebildeten Facharbeiter sind, wenn sie nicht für den Geist made in Germany, sondern den Schweiß made in Germany stehen, bald nicht mehr viel. Denn neue Fabriken siedeln Konzerne immer öfter im Ausland an: nah beim Abnehmer, geschützt gegen Handelsbarrieren und mit günstigen Löhnen. Selbst einzelne Entwicklungs- und Designabteilungen wandern inzwischen ab.

Deutschland profitiert also nur dann weiter vom Erfolg der Konzerne, wenn der Standort attraktiv für Investitionen bleibt. Eine Stärke sind etwa die vielen Hochschulen, die den Unternehmen gute Absolventen und Forschungsergebnisse liefern. Doch die Klagen der Firmen über Fachkräftemangel nehmen in dem Maße zu, wie die Zahl der Absolventen wegen der Alterung der Gesellschaft abnimmt. Ohne höhere Ausgaben für Bildung und eine Einwanderungspolitik, die kluge Köpfe weltweit anlockt, fällt Deutschland im Standortwettbewerb zurück.

Mythos Made in Germany

Und so schön der Mythos Made in Germany ist: Das Land muss die Fixierung auf die Exportwirtschaft aufgeben. Kehrseite der Exportüberschüsse sind Schuldenberge in den Abnehmerstaaten, etwa in Südeuropa. Diese Ungleichgewichte führen zu Krisen - wie derzeit. Bricht dann in Spanien und Italien die Konjunktur ein, leidet Deutschland ganz besonders, weil die Bundesrepublik so sehr von Exporten abhängt.

Die Regierung sollte allerdings nicht die Industrie schwächen: Das wäre Blödsinn. Aber sie sollte heimische Dienstleistungsbranchen stärken, wie den Gesundheitssektor. Mehr Jobs in Bereichen, die nichts mit Exporten zu tun haben, wären gut für Deutschland und gut für die Welt. Damit Made in Germany nicht vom Segen zum Fluch wird.

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