Made in Germany:Der Kunde als Job-Patriot

Jeder zweite Deutsche lehnt Nokia-Handys wegen der Werkschließung in Bochum ab. Aber kann man durch gezieltes Einkaufen Arbeitsplätze sichern? Ein Selbstversuch.

Alexander Mühlauer und Hannah Wilhelm

Die Deutschen drohen mit Boykott. Nach einer Forsa-Umfrage will mehr als die Hälfte der Bundesbürger kein Nokia-Handy mehr kaufen, weil die Finnen ihre Produktion von Bochum ins rumänische Cluj verlagern - trotz der Milliardengewinne.

Politiker verschrotten ihr Nokia-Mobiltelefon, und mancher Verbraucher kommt ins Grübeln: Was wird überhaupt noch in Deutschland hergestellt? Wie kann man einkaufen, um deutsche Arbeitsplätze zu sichern? Wer das herausfinden will, braucht Zeit, Geduld und Hartnäckigkeit.

Alternativen fehlen

Eine in Deutschland produzierte Alternative zu Nokia-Handys zum Beispiel gibt es nicht mehr. Genauso wenig werden noch DVD-Player in der Bundesrepublik hergestellt. Bei Fernsehern kann man auf die relativ teuren Loewe-Produkte zurückgreifen, deren Bestandteile zum Großteil hier gefertigt sind. Überwiegend mit deutschen Jobs werden auch Waschmaschinen von Miele produziert.

Ein komplizierter Fall sind Autos. Alle großen deutschen Autobauer haben Fabriken in der Heimat, produzieren aber genauso im Ausland. Schrauben, Dichtungen, Elektronikteile kommen aus allen Kontinenten dieser Erde.

Gerade Porsche schmückt sich gerne mit dem Label "Made in Germany" und begründet unter anderem damit die hohen Preise seiner Fahrzeuge. Dieses Etikett ist jedoch rechtlich nicht geschützt und gibt relativ wenig Aufschluss. Den Geländewagen Cayenne lassen die Stuttgarter teilweise im slowakischen Bratislava fertigen. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn schätzt den Anteil der deutschen Wertschöpfung an dem teuren Spritschlucker deshalb auf nur 38 Prozent.

Knochenarbeit ist die Suche nach einem echten deutschen Schuh. Der Ladenbesitzer lacht herzlich: "Deutsche Schuhe? Ich bin ja schon froh, wenn die italienischen, die ich bestelle, nicht alle aus Asien kommen." Hoffnung macht eine Firma mit dem nicht gerade deutschen Namen Lloyd: Auf dem Ladenschild steht unter dem Firmenlogo das Wort "Germany". Die Verkäuferin ist sich sicher: "Die Schuhe werden komplett in Sulingen bei Bremen hergestellt." Allerdings gibt Lloyd im Internet selbst an, dass zwar ein erheblicher Anteil an den Schuhen in Sulingen gefertigt wird, man aber beispielsweise die Schuhoberteile in Rumänien fertigt.

Echte deutsche Birke

Es bleibt: Birkenstock. Der gelbe Schriftzug auf dem Fußbett verspricht "Made in Germany". Gefragt, ob das wirklich so ist, enttäuscht die Verkäuferin den Kunden: "Versprechen kann ich nicht, dass die wirklich in Deutschland produziert werden. Ich glaube, da trickst jedes Unternehmen."

Bestätigt fühlt sie sich, als auf einer mit bunten Perlen bestickten Sandale Spanien als Herkunftsland erscheint. "Ha, sehen Sie?!". Doch sie tut dem Unternehmen Unrecht. Die Sandalen sind keine Birkenstocks, sondern Papillios. Birkenstock lässt tatsächlich einzig und allein in der Bundesrepublik fertigen.

Der Kunde als Job-Patriot

Das ist bei Schuhen und Kleidung die Ausnahme. Ein klassischer Gewissensberuhiger sind T-Shirts der schwäbischen Marke Trigema. Ist eine Talkshow auf der Suche nach einem Gast, der den deutschen Vorzeige-Unternehmer verkörpert, wird meist Firmenchef Wolfgang Grupp aus Burladingen eingeladen. Der sitzt dann in seinem maßgeschneiderten Dreiteiler inklusive Einstecktuch da und gibt den Patrioten.

Wer im Geschäft nach heimatlicher Ware fragt, schaut in nicht gerade überraschte Gesichter. Die Verkäufer sind die Frage gewohnt, gerade bei Haushaltswaren. Ein Geschäft in der Münchner Innenstadt stillt die Sehnsucht nach deutscher Wertarbeit mit einem Kochtopf von Silit. Auf dem Regal thront er, in den Farben Schwarz-Rot-Gold. "Made in Germany" steht darauf. Die Verkäuferinnen preisen die Produkte mit diesem vermeintlichen Gütesiegel an.

Eine von ihnen erzählt stolz, dass sie schon einmal in der Produktion der Firma WMF in Geislingen zuschauen durfte. Sie ist überzeugt: "WMF ist eine deutsche Firma und stellt ihre Produkte nur hierzulande her." Ein Anruf bei WMF ernüchtert etwas: "Wir haben eine Besteckfertigung in Südchina", heißt es dort. Die Mehrheit der Wertschöpfung finde aber nach wie vor in Deutschland statt. Schön, wenn Firmen Produktionsstätten im Ausland ohne Umschweife angeben. Mehrt sich doch beim Einkaufsbummel der Eindruck, dass der Verbraucher oft der leeren Phrase "Made in Germany" ausgeliefert ist und vielerorts bewusst uninformiert bleibt.

Schwer durchschaubares Angebot

Pech hat, wer für die Besorgungen in der Drogerie nicht genügend Zeit eingeplant hat und deutsche Produkte kaufen will. Wo Wattepads, Duschgels oder Zahnpasta wirklich hergestellt werden, kann mit einem kurzen Blick kaum überprüft werden. Mag sein, dass Brancheninsider aus den aufgeprägten Zahlenkolonnen schlau werden, normale Kunden jedoch bleiben ratlos. Hilflos. Verwirrt.

Da aber zu Hause die Seife knapp wird, muss eine Entscheidung her. Hilfe versprechen die Telefonnummern auf den Verpackungen, über die man sich bisher nur gewundert hat - wer will schon mit L'Oréal telefonieren? Heute will man - und erhält interessante Antworten. "L'Oréal produziert die Pflegeprodukte fast ausschließlich in Deutschland, in Karlsruhe.

Die eine oder andere Verpackung kommt aber zum Beispiel aus Israel", erklärt ein Mann mit geschulter Vertreterstimme am anderen Ende der Leitung. Aus lauter Erleichterung wandert auch noch ein Rouge des Herstellers in den Einkaufskorb. Ein Fehler. "Made in Italy" verrät die Rückseite. Spätestens da wird klar: So einfach ist das Einkaufen deutscher Produkte nicht.

Jetzt ein Cappuccino für die müden Testkäufer und dazu ein Keks. Aber welcher? Leibniz-Butterkekse bieten sich an. Sie werden - das verrät die Verpackung - in Hannover hergestellt, mit Ausnahme der Verpackung, darüber gibt es auf die Schnelle keine verlässliche Auskunft beim Hersteller.

Bei anderen Lebensmitteln ist der Herkunftsnachweis einfacher, vor allem beim unverpackten Obst und Gemüse. Nur: Wer deutsche Paprika kaufen will, muss mehr bezahlen als für Paprika aus Holland. Im Kühlregal verspricht die Milch, aus den nahen Alpen zu kommen. Gedanken über die Verpackung schiebt man lieber beiseite.

Am Ende des patriotisch gesinnten Einkaufsbummels steht ein gemischtes Fazit: Der Vorsatz, nur noch ausschließlich oder zum Großteil in Deutschland hergestellte Produkte zu kaufen, ist ziemlich schwer umzusetzen. Manche Produkte gibt es schlicht nicht aus heimischen Landen. Es ist viel leichter, mal schnell sein Votum für "Made in Germany" abzugeben, in Umfragen zum Thema oder am Kneipentisch.

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