Frankreich:Macron hat sich vor allem Zeit gekauft

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Ein Marktstand mit Obst und Gemüse im Stadtzentrum von Nantes. Studien zeigen, dass die französische Mittelschicht ihren Lebensstandard unter Macron steigern konnte. (Foto: imago images)

Die Amtszeit des französischen Präsidenten neigt sich dem Ende zu. Pünktlich zur Wahl schnurrt die französische Wirtschaft. Aber die großen ökonomischen und sozialen Probleme des Landes hat auch Macron nicht gelöst.

Von Maximilian von Klenze

Bruno Le Maire hat gerade oft gute Laune. Sein Job macht ihm Spaß, das merkt man dem französischen Wirtschaftsminister an. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass Le Maire lächelnd einer Fernsehkamera zugewandt vorrechnet, wie glänzend es der französischen Wirtschaft gehe. Drei Monate vor der Wahl will Le Maire Bilanz ziehen und zeigen, dass sein Chef, Emmanuel Macron, den Franzosen trotz Pandemie geliefert habe, was er ihnen 2017 versprochen hat: die französische Wirtschaft auf Erfolgskurs zu bringen. Das sieht Macrons Regierung als ihren zentralen Trumpf im Wahlkampf an. Denn Umfragen zeigen, dass materielle Themen wie Kaufkraft und Ungleichheit ganz oben stehen auf der Liste der Prioritäten der Wählerinnen und Wähler. Le Maire sagt: "Wen die Leute wählen, hängt davon ab, was sie auf dem Teller haben. Und unsere Wirtschaftsbilanz ist astrein."

Doch nicht alle Menschen in Frankreich glauben diese Geschichte. Viele halten Macron für einen abgehobenen Ex-Banker, der Steuern senke und sich lieber um Start-ups kümmere als um Familien. Das Etikett "Präsident der Reichen" wird Macron nicht mehr los. Zu sehr steckt in den Köpfen, wie er einmal einen arbeitslosen Gärtner bei einer öffentlichen Veranstaltung aufforderte, er müsse doch "nur die Straße überqueren", um einen Job zu finden. Oder wie er bei der Einweihung eines Firmen-Campus redete von "Menschen, die Erfolg haben, und Menschen, die nichts sind".

Macron konnte viele seiner Versprechen nicht halten

Angetreten war Macron mit dem Versprechen, eine Politik zu machen, die nicht links, nicht rechts sei; einen Mittelweg zu finden, Frankreichs Staat und Wirtschaft zu reformieren, aber die Franzosen nicht in die Armut zu treiben. Fünf Jahre später steht fest: Seine wichtigsten Pläne konnte er nicht umsetzen, viele Probleme haben sich unter ihm weiter verschärft. Viele von Macrons zentralen Reformen scheiterten auch deswegen am Widerstand des Volkes, weil er Reiche nicht entsprechend an den Kosten des Wandels beteiligte.

Dabei hat Macron in der Pandemie nicht geknausert. Er hat mehr als 240 Milliarden Euro ausgegeben für Kurzarbeitergeld und weitere Zuschüsse. Die Hilfen für Arbeitnehmer fielen in Frankreich viel üppiger aus als in Deutschland. Studien zeigen, dass die französische Mittelschicht ihren Lebensstandard unter Macron steigern konnte, trotz der schlimmsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Zudem hat Macron ein wichtiges Wahlversprechen eingelöst: Er hat Milliarden aus Brüssel mitgebracht. "Vor allem Macron ist es zu verdanken, dass die EU in der Krise solidarisch reagiert hat. Denn er hat Merkel überzeugt von der Idee des europäischen Wiederaufbauplans", sagt der Ökonom Moritz Schularick, der in Bonn und Paris forscht. EU-Gelder machen etwa 40 Prozent des französischen Konjunkturpakets im Volumen von 100 Milliarden Euro aus.

Heute wächst die französische Wirtschaft dank dieser Investitionen mit sieben Prozent deutlich schneller als andere Volkswirtschaften in der EU, und es finden so viele Menschen Arbeit wie zuletzt vor 14 Jahren. Auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit sank unter Macron, wenngleich immer noch jeder Fünfte zwischen 15 und 24 keinen Job hat.

Mit seinen großzügigen Hilfen für Arbeitnehmer und dem Konjunkturpaket konnte Macron die Verteilungskonflikte in der Krise zwar kurzfristig befrieden. Diese Milliardenausgaben sind aber vor allem aus Schulden finanziert: 2020 lag das Defizit bei neun Prozent, im vergangenen Jahr bei sieben Prozent der Wirtschaftsleistung. Macron hat sich so Zeit gekauft.

Doch im gleichen Atemzug hat er ohne ökologische oder soziale Gegenleistungen Unternehmen entlastet, die Steuern um 20 Milliarden Euro gesenkt. Bereits zu Beginn seiner Präsidentschaft hatte er die Vermögensteuer abgeschafft und beschlossen, Einkommen aus Kapitalbesitz nur noch pauschal zu besteuern. Um diese Schritte zu rechtfertigen, bemüht Macron gern die Metapher des französischen Wohlfahrtsstaates als Seilschaft am steilen Hang. Damit Frankreich den Hang erklimmen könne, müsse man den Zugpferden vorne möglichst viel Gewicht abnehmen. Die zögen dann die ganze Seilschaft mit.

Doch die Erzählung von der Seilschaft stimmt nicht. Ökonomen vom Pariser Institut des Politiques Publiques haben jüngst widerlegt, dass die Abschaffung der Vermögensteuer und die Pauschalbesteuerung von Dividenden zu mehr Investitionen geführt und das Wachstum gefördert hätten. Macron hat schuldenfinanzierte Geschenke an Reiche verteilt.

Monatelang protestierten die Gelbwesten gegen Macrons Reformen

Vor seinem Amtsantritt hatten viele Franzosen Sorge, er würde wie Gerhard Schröder einen Niedriglohnsektor schaffen. Um linken Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatte sich Macron bei seinen Arbeitsmarktreformen zu Beginn seiner Präsidentschaft daher am skandinavischen "Flexicurity"-Modell orientiert: Er lockerte erst den Kündigungsschutz und baute später die Arbeitslosenversicherung so um, dass auch kündigende Arbeitnehmer Versicherungsansprüche haben. Dann allerdings verließ er den Mittelweg und erhöhte Ende 2018 die Ökosteuer für Sprit - ohne die Maßnahme sozial abzufedern.

Da reichte es den Franzosen mit Macrons Reformeifer. Die Gelbwesten-Proteste legten das Land über Monate lahm - Macrons politisches Kapital war verspielt. Er musste die Erhöhung der Ökosteuer zurücknehmen und schaffte es danach nicht mehr, genügend Rückhalt im Volk für eine Reform des Rentensystems zu organisieren.

Damit steht Frankreich weiter vor dem Problem eines zu großen und ineffizienten Staates, wie ein OECD-Report zeigt. Das Verhältnis der Staatsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist höher als in jedem anderen Industrieland. Allein für das Rentensystem zahlt der französische Staat jährlich etwa 14 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts. Der Fiskus verteilt um mit dem großen Löffel; doch beseitigt er dabei nicht nur Ungerechtigkeiten, er schafft auch neue: Während Eisenbahner, Beamte oder Mitarbeiter von Staatsfirmen teilweise mit Mitte fünfzig zu guten Bezügen in Rente gehen, benachteiligt das System Selbständige oder Menschen mit einem Schlenker im Lebenslauf.

Ohne Reformen und ohne Steuererhöhungen bleibt auch die Frage ungeklärt, mit wessen Geld das Land seine Wirtschaft ökologisch umbauen soll. Das Jacques-Delors-Institut hat ausgerechnet, dass von 2024 an jeweils 17 Milliarden Euro jährlich fehlen, um das französische Klimaziel von 40 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 zu erreichen. Einen Plan, um die europäischen Klimaziele von 55 Prozent Reduktion zu erreichen, hat Frankreich noch gar nicht.

Grüne und Linke wollen eine Klima-Vermögensteuer einführen, Macron sagt nicht, woher er das Geld nehmen möchte. In der Krise sind die Staatsschulden von 98 Prozent auf 116 Prozent des BIPs in die Höhe geschnellt, in absoluten Zahlen: 2,8 Billionen Euro. Frankreich hat mehr Staatsschulden als Italien. Solange die Wachstumsraten über den niedrigen Zinsen liegen, könne das Land aus den Schulden herauswachsen, sagt Ökonom Schularick. Doch sollten die Zinsen in den nächsten Jahren steigen, geht diese Rechnung nicht auf. Ein weiteres Mal mit Schulden Zeit zu kaufen, um den Verteilungskonflikten im Land auszuweichen, könnte für Macron und Frankreich also eines Tages teuer werden. An unbequemen Veränderungen führt langfristig kein Weg vorbei - fragt sich nur, ob der "Präsident der Reichen" noch einmal das Vertrauen der Menschen erhält, um Frankreich durch diesen Wandel zu führen.

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