M.M. Warburg:Ein geheimes Protokoll

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M.M. Warburg in Hamburg: Hat die Bank genug für mögliche Steuernachzahlungen zurückgelegt? (Foto: Kay Nietfeld/picture-alliance/dpa)

Die Privatbank M.M. Warburg soll in dubiose Aktiendeals verwickelt sein. Nun zeigt ein Prüfbericht: Die merkwürdigen Geschäfte könnten für das Institut teuer werden.

Von Klaus Ott, Hamburg

Vor einigen Jahren hat M.M. Warburg, eine der ältesten und bedeutendsten Privatbanken in Deutschland, merkwürdige Geschäfte gemacht. Geschäfte, zu denen es sehr merkwürdig klingende Mails, Vermerke und Gesprächsprotokolle gibt. Das gilt vor allem für ein Telefonat zweier Aktienhändler, einer von Warburg und einer von der Norddeutschen Landesbank (NordLB) vom 9. November 2011. Der Warburg-Mann schilderte dem Kollegen, wie bestimmte Aktiendeals funktionierten. Die Bank und deren Kunde machten Gewinn, der Staat Verlust. Ob das noch legal sei, fragte der Händler der NordLB. Das sei doch "glatter Steuerbetrug"? So genau wollte das der Warburg-Mann gar nicht hören. Er sagte, er habe da nur "gefährliches Halbwissen".

Das Protokoll des sehr, sehr merkwürdigen Telefonats ist in einem mehr als 400-seitigen, geheimen Prüfbericht enthalten, den die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR einsehen konnten und der für Warburg verheerend ausfällt. Die Privatbank soll sich kräftig aus der Staatskasse bedient haben. Bis zu 146,3 Millionen Euro soll Warburg abgegriffen haben. Das hat die Wirtschaftsprüfgesellschaft Deloitte ermittelt. Deloitte hat im Auftrag der deutschen Bankenaufsichtsbehörde Bafin das Hamburger Geldhaus durchleuchtet und ist zu dem Zwischenergebnis gekommen, die Privatbank habe von 2007 bis 2011 in großem Stil anstößige Aktiengeschäfte gemacht. Warburg habe sich vom Fiskus hohe Steuersummen erstatten lassen, obwohl die Bank dazu gar nicht berechtigt gewesen sei.

Ende 2017 schickte der Hamburger Fiskus einen Steuerbescheid an Warburg

Inklusive Zinsen drohten Warburg bis zu 190,6 Millionen Euro Steuerrückforderungen, schreibt Deloitte. In diesem Szenario seien etwaige Bußgelder und Gewinnabschöpfungen durch Ermittlungsbehörden noch nicht berücksichtigt. Für die Bank und ihre Inhaber hieße das, sie müssten schlimmstenfalls noch mehr Geld bereitstellen, als das bislang vorsorglich geschehen sei, wie Deloitte notierte. Vorbehaltlich weiterer Maßnahmen und Erkenntnisse sei zusätzlich eine Rückstellung in Höhe von 54,3 Millionen Euro zu bilden. Das wäre viel Geld für eine Bank dieser Größenordnung. Der geheime Prüfbericht datiert vom 23. Dezember 2016 und ging offenbar im ersten Quartal 2017 bei der Bafin ein, die sich dazu nicht äußert. Ende 2017 schickte der Hamburger Fiskus einen Steuerbescheid an Warburg. Wie hoch der ausfiel, ist nicht bekannt. Die Finanzbehörden schweigen, wegen des Steuergeheimnisses. Die Privatbank sagt, die Vorwürfe seien falsch und finanziell habe man alles im Griff. Das klingt so, als betrachte die Bank den Deloitte-Bericht als überholt.

Ausgerechnet M.M. Warburg. Das hanseatische Geldhaus will mehr sein als nur eine Bank. Das traditionsreiche Institut versteht sich als Teil der Gesellschaft. Als eine Bank, die nicht nur gut verdient, sondern auch kräftig gibt. Einer aus der Familie Warburg, die das Unternehmen bis heute prägt, Max M. Warburg, hat vor gut 100 Jahren die "Hamburgische Gesellschaft" gegründet. Einen Verein, der heute "Hamburgische Brücke" heißt und sich um Bedürftige kümmert. Auf Max M. Warburgs Credo, "wir Hamburger lassen keinen von uns über Bord gehen", ist das hoch angesehene Geldhaus bis heute stolz. Die Bank fördert in der Hansestadt viele und vieles, darunter die Elbphilharmonie, die Staatsoper und das Thalia Theater.

Und nun? Warburg auf Abwegen? Warburg in Bedrängnis? Das wäre ein Schock für die Hansestadt, in der die Bank eine Institution ist, eine der Stützen der Wirtschaft. Warburg verwaltet Vermögen wohlhabender Kunden in Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro. Warburg dementiert und beruhigt. Man habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Und man treffe finanziell "stets die erforderliche Vorsorge".

Waren Topmanager der Bank in die merkwürdigen Geschäfte eingebunden?

M.M. Warburg, das ist einer der krassesten Verdachtsfälle beim größten Steuerraubzug, der in Deutschland stattgefunden haben soll. Staatsanwälte bezichtigen Banken und Börsenhändler, den Fiskus systematisch um viele Milliarden Euro betrogen zu haben. Geschehen sei das beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende. Die Cum-Ex-Akteure hätten sich eine nur einmal an den Fiskus gezahlte Kapitalertragsteuer auf die Dividendenerlöse mehrmals erstatten lassen.

Um Warburg kümmert sich die Staatsanwaltschaft Köln. Sie unterstellt Mitgliedern der Leitungsebene von Warburg, in Gespräche beziehungsweise Planungen zu den Cum-Ex-Geschäften eingebunden gewesen zu sein. Und darüber informiert gewesen zu sein, dass die mehrmalige Erstattung einmal gezahlter Kapitalertragsteuer beabsichtigt gewesen sei. So steht es in einem Durchsuchungsbeschluss für eine Razzia vor zwei Jahren bei Warburg. Die Privatbank zählt zu den Top-Adressen in Hamburg.

Warburg wird von Joachim Olearius geleitet, dessen Vater Christian Gottfried Olearius das Geldhaus rund drei Jahrzehnte geführt hatte und dort eine Legende ist. Olearius Senior steht nun dem Aufsichtsrat vor; sein Vize ist Max Warburg. Dieser entstammt jener Familie, deren Namen die 1798 von den Brüdern Moses Marcus und Gerson Warburg gegründete Privatbank bis heute trägt. Die Familien Olearius und Warburg halten laut jüngstem Geschäftsbericht mehr als 80 Prozent der Anteile der Bank, die ihr 200-jähriges Bestehen im Rathaus feiern durfte. Später, im Mai 2012, hielt Bürgermeister Olaf Scholz eine der Festreden zum 70. Geburtstag von Olearius Senior.

Seither ist vieles anders. Die drohende Steuerrückforderungen drücken die Bank schon länger, wie Deloitte beschreibt: Bereits vorher sei eine andere Prüfgesellschaft bei einem turnusgemäßen Testat zu dem Ergebnis gekommen, grundsätzlich wäre eine Rückstellung in Höhe von 91,1 Millionen Euro erforderlich gewesen. Solch eine Rückstellung, die öffentlich sichtbar geworden wäre, erübrigte sich dann allerdings. Weil Olearius Senior und Max Warburg sich am 22. April 2016 nach Angaben von Deloitte bereit erklärten, gewissermaßen zu bürgen. "Interner Schuldbeitritt" lautet das etwas umständlich im Juristendeutsch.

Eine ungewöhnliche Maßnahme, und nicht die einzige Maßnahme. 2016 erfolgte bei Warburg eine Kapitalerhöhung um 53 Millionen Euro, an der sich auch Gesellschaften von Olearius Senior und Max Warburg beteiligten. Zudem verkaufte die Bank Immobilien in Hamburg, Hannover und Frankfurt, löste stille Reserven auf und änderte Rechtsform sowie Struktur der Unternehmensgruppe. Alles mit dem Ziel, mögliche Steuerrückforderungen zu verkraften, wie der Prüfbericht von Deloitte nahelegt. Darin steht, im schlimmsten Fall für Warburg unterschreite das Geldhaus die Mindestanforderungen an die für Banken vorgeschriebene Kernkapitalquote. Daher sei die Rückstellung zu bilden.

Warburg gibt sich ganz gelassen. Im Mai 2017, als der Deloitte-Prüfbericht bereits der Bafin vorlag, meldete die Bankgruppe stolze Zahlen. Man erfülle "alle aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen". Die Verdächtigungen seien falsch. "Die Warburg Bank und ihre Tochterinstitute waren nicht an Transaktionen beteiligt, die eine mehrfache oder unrechtmäßige Anrechnung oder Erstattung von Kapitalertragssteuern beinhalteten. Die Vorwürfe sind daher unberechtigt." Daran hält die Bank bis heute fest. Es gebe "keine Grundlage für Forderungen oder andere Maßnahmen gegenüber Warburg", heißt es in einer aktuellen Stellungnahme auf Anfrage von SZ, NDR und WDR. Man habe das eigene Kapital "über die vergangenen Jahre durch eine Reihe von Maßnahmen nachhaltig verbessert". Die bisherigen Untersuchungen und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln hätten "keine belastenden Ergebnisse" erbracht. Warburg ist sich sicher, dass die Behörden und gegebenenfalls "letztlich die Gerichte" der eigenen Rechtsauffassung folgen würden.

Keine belastenden Ergebnisse? In dem Deloitte-Bericht werden merkwürdige Begebenheiten geschildert. Etwa eine interne Notiz vom 20. April 2009. Darin wird die Gefahr beschrieben, dass bei den Aktiengeschäften ein Verlust entstehe, sofern keine Steuergutschrift erfolge. Mit anderen Worten: Für den Profit sollte der Staat sorgen. Solche Vorgänge sollten der Bankenaufsicht Bafin offenbar vorenthalten werden. Am 8. April 2010 warnte ein Rechtsanwalt, der Warburg bei Cum-Ex beriet, die Bank angesichts eines bevorstehenden Besuchs der Bafin: das Thema Steuern unter keinen Umständen erwähnen. Nur antworten, wenn danach gefragt wird. Warburg versprach dem Anwalt, das Thema Steuer würde man überhaupt nicht "stressen" und noch nicht mal erwähnen.

In einer weiteren internen Notiz vom 13. September 2010 wird das Risiko beschrieben, dass der Fiskus bei den betreffenden Aktiengeschäften nicht zahle und die Rechnung für die Bank und deren Cum-Ex-Geschäftspartner daher nicht aufgehe. Das passt zum Prüfergebnis von Deloitte: Ohne das Steuergeld hätten sich diese Aktiendeals gar nicht gerechnet. Warburg will aber dem Fiskus nichts zahlen, sondern lieber streiten. Die Bank streitet alles ab.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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