Süddeutsche Zeitung

Lyft-Aktie:Was für eine Null

Lesezeit: 2 Min.

Die Finanzabteilung des US-Fahrdienstvermittlers Lyft vertut sich um eine Ziffer - und der Aktienwert schießt hoch. Allerdings nicht lange.

Von Harald Freiberger

Eine Null mehr oder weniger ist rein mathematisch betrachtet kein Problem. Drei plus null ergibt immer noch drei, fünf minus null immer noch fünf. Allerdings gilt dieser Grundsatz nur für Additionen und Subtraktionen. Eine Multiplikation mit null verändert die Rechnung entscheidend, denn sie ergibt immer null. Und bei einer Division durch null wird es sehr kompliziert, sie ist im Grunde unmöglich. Auch wenn die Null an eine andere Zahl angehängt wird, verändert sich das Ergebnis entscheidend, genau genommen um den Faktor zehn.

Diese Erfahrung machte vor sechs Jahren schon das norwegische Team bei der Winterolympiade im südkoreanischen Pyeongchang. Ihr Küchenchef vertat sich um eine Null, als er die Zahl der Eier bestellte, die die 121 Athleten während der Spiele benötigen würden. 1500 wollte er schreiben, 15 000 schrieb er aber. Demnach hätte jede und jeder der Olympionikinnen und Olympioniken an den 16 Tagen, die die Spiele dauerten, 124 Eier vertilgen müssen, fast acht pro Tag.

Dass selbst die Finanzabteilung eines großen börsennotierten Unternehmens nicht davor gefeit ist, sich mal um eine Null zu verhauen, zeigte nun der US-amerikanische Fahrdienstvermittler Lyft, ein Konkurrent des noch bekannteren Uber. Am Dienstagmorgen veröffentlichte er die neuen Quartalszahlen. Darin stand die Prognose, dass sich die bereinigte Gewinnmarge im laufenden Jahr um 500 Basispunkte verbessern werde. Das ist Börsenkauderwelsch, doch Experten konnten damit sehr wohl etwas anfangen. Es bedeutete nämlich eine Sensation, selten hat ein Unternehmen seine Profite binnen kurzer Zeit so sehr gesteigert. Innerhalb weniger Minuten stieg der Wert der Aktie von Lyft um mehr als 60 Prozent.

"So etwas habe ich noch nie erlebt."

Die "bereinigte Gewinnmarge" ist der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, bezogen auf die Bruttoeinnahmen. Ein Basispunkt sind 0,01 Prozentpunkte. Demnach würde Lyft seine Marge 2024 also um fünf Prozentpunkte steigern. Im Vorjahr hatte die Marge bei gerade einmal 1,6 Prozent gelegen. Es handelte sich also um eine wahre Gewinnexplosion - wenn Lyft-Finanzchefin Erin Brewer eine halbe Stunde nach Veröffentlichung der Zahlen nicht kleinlaut hätte zugeben müssen, dass man sich um eine Null vertan habe: Der erwartete Anstieg der Gewinnmarge betrage 50 Basispunkte, nicht 500.

Die Korrektur führte dazu, dass der Aktienkurs prompt wieder abstürzte. Allerdings verlor er nicht ganz so viel, wie er zuvor gutgemacht hatte. Am Ende blieb immerhin ein Plus von 16 Prozent, die Folge davon, dass die Zahlen unterm Strich positiv überraschten, wenn auch nicht ganz so positiv wie in der ersten Mitteilung.

Der Ärger der Anleger war dennoch groß. "Lyft hat gerade eine brillante Methode gefunden, um Millionen von Shorts zu vernichten, die ihre besch... Aktien geshortet hatten", kommentiert ein Anleger auf der Plattform X. Das bezieht sich auf sogenannte Leerverkäufer, die auf den Kursrutsch einer Aktie gewettet haben; steigt die Aktie stark an, müssen sie unter großen Verlusten ihre Wette einlösen. Es ist also kein Nullsummenspiel, wenn eine Aktie wegen einer falschen Mitteilung schnell steigt und nach der Korrektur wieder fällt. Gerade einer Finanzabteilung, die im Umgang mit Nullen geübt sein sollte, darf so etwas eigentlich nicht passieren. CNBC-Moderatorin Deirdre Bosa war entsprechend fassungslos: "So etwas habe ich noch nie erlebt."

Andererseits ist Lyft damit in bester Gesellschaft. Sogar US-Präsidenten haben sich schon einmal um eine Null vertan. Im September 2018 twitterte Donald Trump, sonst bekannt für seine Zuverlässigkeit im Umgang mit Zahlen und Fakten, das Wirtschaftswachstum in den USA sei erstmals seit 100 Jahren höher als die Arbeitslosenquote. Sein damaliger Wirtschaftsberater Kevin Hassett korrigierte kurz darauf: "Die korrekte Zahl lautet zehn."

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