Süddeutsche Zeitung

Luxemburg-Leaks:Steueroasen-Hopping mit Ikea

"Entdecke die Möglichkeiten" lautet ein Werbeslogan von Ikea. Der Möbelkonzern nimmt das wörtlich - vor allem bei der Steuer. Wie es Ikea schaffte, bei Milliarden-Gewinnen in einem Jahr nur knapp 50 000 Euro Steuern zu zahlen.

Von Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Titus Plattner und Mario Stäuble

Ikea-Gründer Ingvar Kamprad ist ein Mensch, der Dinge gerne im Griff hat, und immer auch an später denkt. Also schrieb er im Dezember 1976 auf, was die obersten Grundsätze des Unternehmens sind - und auch in Zukunft zu sein haben. "Testament eines Möbelhändlers" nannte er seine Botschaft mit neun goldenen Regeln. Die fünfte Regel lautet: "Einfachheit ist eine Tugend". Soso.

Wer im Datenschatz des Luxemburg-Leaks die Ikea-Dokumente - mehr als hundert Seiten - ansieht, dessen erste Assoziation wird eher nicht die Einfachheit sein.

Neben Jahresabschlüssen und Steuerberechnungen enthalten die Unterlagen auch Firmendiagramme. Sie zeigen, wie ungeheuer verschachtelt das Ikea-Imperium ist. Luxemburg, Cayman Islands, Niederlande, Schweiz, Zypern und und und. Hier wollte jemand wirklich keine Steueroase auslassen. Ein Geflecht, das gewöhnliche Steuerbeamte kaum durchschauen. Auch im Unternehmen selbst sollen angeblich nur etwa ein Dutzend Personen Bescheid wissen, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter.

Die Süddeutsche Zeitung, die Schweizer Sonntagszeitung, der Schweizer Tages-Anzeiger, der NDR und andere Kooperationspartner des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) haben die Dokumente Experten vorgelegt. Deren Urteil: Ikea rechnet mit einem ausgeklügelten System seine Gewinne klein - und vermeidet so Steuern. "Die Konzernstruktur und die Binnenbeziehungen der Konzerngesellschaften sind außerordentlich komplex. Das Unternehmen nutzt offenbar fast jedes Steuerschlupfloch, das sich bietet - und zwar weltweit," sagt der Hamburger Steuerfachanwalt Thomas Wülfing.

Mutmaßlich hält Ikea sich bei seinem Steueroasen-Hopping an die Gesetze.

Aber: Einfachheit ist eine Tugend?

Ikea ist schon seit 1973 nicht mehr schwedisch

Schon als Ingvar Kamprad 1976 diesen Satz aufschrieb, war das schwedische Vorzeigeunternehmen kein schwedisches Unternehmen mehr. Drei Jahre zuvor, 1973, hatte es Kamprad nach Dänemark verlegt. Das Ziel der Aktion: Steuern zu sparen.

Im Lauf der Jahre verfeinerte Ikea seine Methoden. Zum Beispiel die Sache mit den drei Prozent: Jede einzelne der weltweit mehr als 300 Filialen muss vom Verkaufspreis jedes Produkts - ob Billy-Regal oder der Sessel Poäng - drei Prozent an eine holländische Firma namens Inter Ikea Systems überweisen. Diesem Unternehmen gehört die Ikea-Identität. Das Ladenkonzept, die Designs und Pläne aller Möbel im Katalog - sogar das Ikea-Logo.

Drehen Sie Ihren Ikea-Stuhl ruhig mal um, oder schauen Sie auf den Kerzenhalter, die Bettwäsche, irgendwas. Fast immer steht neben dem Ikea-Logo irgendwo auch der Inhaber des Copyrights, jene Inter Ikea Systems. Dieser Firma wurden einst all die Rechte übertragen.

Der Trick mit der "Patentbox"

Seither nutzt Ikea einen Steuertrick, den man "Patentbox" nennt. Der Trick geht so: Da jede Filiale drei Prozent von allem an die Inter Ikea Systems nach Holland überweist, sinkt der Gewinn der Filialen. Und damit die Steuerlast. Auch in Deutschland, Ikeas wichtigstem Absatzmarkt. Nach eigenen Angaben machte Ikea im Jahr 2013 hier 3,99 Milliarden Euro Umsatz. Drei Prozent davon, 119,7 Millionen Euro, gingen nach Holland. Laut Lorenz Jarass, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Rhein-Main und Sachverständiger des Bundestages, entgingen dem deutschen Fiskus so rund 36 Millionen Euro.

Steuern, die der europäischen Gemeinschaft fast gänzlich verloren gehen, weil in Holland auf Lizenzeinkünfte nur fünf Prozent Steuern gezahlt werden. Das sind bei den 119,7 Millionen Euro der deutschen Filialen nicht einmal sechs Millionen Euro. Ikea spart also 30 Millionen Euro. Aber das ehemals dänische Hauptquartier (es wurde wieder verlegt, aktuell ist es in Holland) und die holländische Patentbox sind nur zwei Puzzlestücke. Das große Ganze ist weit komplizierter. Wenn man einem Ex-Vertrauten Ingvar Kamprads glauben darf, ist der Gründer die treibende Kraft dahinter: "Kamprads Philosophie ist es über Jahre gewesen, dass Ikea der Steuer um jeden Preis aus dem Weg gehen soll", erklärt Johan Stenobo, einst Kamprads persönlicher Assistent.

Diesen Eindruck bestätigen die Dokumente des Luxemburg-Leaks. Dort sieht man etwa, dass die niederländische Patentbox - die Inter Ikea Systems - einer luxemburgischen Gesellschaft gehört: Der Inter Ikea Holding. Im Großherzogtum sind Holding-Gesellschaften unter gewissen Bedingungen weitgehend von Steuern befreit.

Was das im Fall Ikea heißen kann, belegt ein Schreiben vom 23. Januar 2012. Es ist ein Begleitbrief der Unternehmensberater von Pricewaterhouse-Coopers (PWC) zur Steuererklärung 2010. Die Berater erklären, wie viel Steuern die Inter Ikea Holding in jenem Jahr zu zahlen hat: 48 000 Euro. Damals lag der Nettogewinn der Inter Ikea Holding bei sagenhaften 2 572 436 000 Euro. Man kann sich den Spaß machen und den Steuersatz berechnen, es sind 0,001865935 Prozent.

Auch wenn die Steuerquote in anderen Jahren laut Firmenangaben bei 14 Prozent lag: Wie ist das möglich?

Was ist das Geheimnis dieser Zahlen? Man würde diese Fragen gerne am betreffenden Ort stellen, also stattet man der Milliardenfirma in Luxemburg einen Besuch ab. Ein zentral gelegenes, gediegenes Bürogebäude. Die Eingangstüren sind offen, das Treppenhaus ebenso, und so steht man schnell im dritten Stock. Hier residieren neben der Inter Ikea Holding noch fünf andere Firmen aus dem Ikea-Kosmos. Die Büroräume sind erstaunlich leer dafür, dass hier Milliarden verwaltet werden. Man klingelt und fragt - und eine Angestellte verweist an einen Pressesprecher in Belgien. Der wiederum bittet um eine E-Mail mit den Fragen.

Man schreibt die Mail, allerdings nicht in der Hoffnung auf Antworten. Konsequente Intransparenz gehört zur Hauspolitik des Konzerns. Was man über die Inter Ikea Holding weiß, ist: Sie gehört am Ende einer Stiftung namens Interogo, mit Sitz in Liechtenstein.

Die nächste Steueroase. Die Antwort-Mail des Sprechers: "Unsere Gruppe zahlt Steuern in Übereinstimmung mit Gesetzen und Vorschriften, wo immer wir tätig sind." So etwas hatte man vermutet. Bleibt die Frage, warum es in den Statuten der Interogo-Stiftung zumindest zeitweise hieß, diese dürften "einer ausländischen Behörde nicht zur Kenntnis gebracht werden". Eine Geheimstiftung also, verborgen vor den Blicken der Steuerbehörden, aufgedeckt erst durch Recherchen des schwedischen Fernsehsenders SVT. Dort wurde auch berichtet, wer die Stiftung kontrolliert: Ein Rat, in dem die Familie Ingvar Kamprads das Sagen hat.

Ikea geht es ums perfekte Steuersystem

Zurück nach Luxemburg: Neben der Inter Ikea Holding sitzt dort auch eine gewisse Inter Ikea Finance, die offenbar konzernintern Geld verleiht. Viele Unternehmen in Luxemburg halten das ebenso. Der Vorteil: Die Darlehensempfänger in anderen Ländern können die Zinsen meist vom Gewinn abziehen - während die Zinsen in Luxemburg kaum besteuert werden. Konzerne profitieren also von Steuervorteilen, obwohl ihr Geld den Konzern nie verlässt.

In diesem speziellen Fall wird das interne Bankgeschäft aber nicht von jener Inter Ikea Finance gesteuert, sondern aus einem Ableger in Genf. Der Steuersatz in Genf ist für Gesellschaften im internationalen Vergleich zwar niedrig, aber für Ikea offenbar immer noch nicht niedrig genug. Deshalb die Konstruktion, die in den Dokumenten erklärt wird: Die Schweizer Ikea-Bank leiht Geld an andere Ikea-Unternehmensteile, gehört aber selbst zur Luxemburger Ikea-Bank. Die wiederum wird offenbar von einer Ikea-Gesellschaft auf den Niederländischen Antillen finanziert. Der Lohn dieser Struktur, die sich über drei Steueroasen erstreckt: 2011 machte die interne Bank einen Gewinn von 35 Millionen Euro. Hätte sie ihren Sitz allein in Genf, hätte die Inter Ikea Finance Steuern in Höhe von mindestens 3,5 Millionen Euro zahlen müssen. Dank der schweizerisch-luxemburgischen Doppelkonstruktion sparte Ikea sich 2011 etwa anderthalb Millionen Euro.

Ins Verhältnis gesetzt zu den Milliardenumsätzen ist das wenig. Aber es zeigt, worum es bei Ikea geht: Um das perfekte Steuersystem. Kein Euro zu viel für den Staat.

Ein berühmter Ikea-Werbesatz heißt "Entdecke die Möglichkeiten". Das machen die Steuerexperten des Möbelhändlers. Und zwar alle Möglichkeiten.

Mitarbeit: Lutz Ackermann, Anna Orth, Michael Risel, Kristopher Sell

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Quelle:
SZ vom 11.11.2014/sry
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