Luxemburg-Leaks:Steueroasen geraten unter Druck

European Parliament Session in Strasbourg

Auftritt im EU-Parlament: Jean-Claude Juncker gilt als ein Architekt der Steueroase Luxemburg

(Foto: dpa)
  • Europas Regierungen wollen stärker gegen die Steuerflucht von Konzernen vorgehen. Die EU-Finanzminister verschärfen ein Gesetz, das Nichtbesteuerung verhindern soll. Die Niederlande und Luxemburg gehen auf ihre Kritiker zu.
  • Allerdings bleiben Steuerschlupflöcher bestehen. Ferrari beispielsweise könnte Italien aus steuerlichen Gründen verlassen.
  • Eine umfassende Lösung für das Problem steht noch aus. Ein seit Jahren angedachtes EU-Gesetz für eine harmonisierte Körperschaftsteuer wird weiter nicht kommen, heißt es aus der EU-Kommission.

Von Bastian Brinkmann, Cerstin Gammelin und Ulrike Sauer

Am Tag der zweiten Enthüllungswelle über Steuertrickserien in Luxemburg ging die Europäische Kommission auf Klassenfahrt ins Großherzogtum. In einem europablau eingefärbten Bus, auf dem mit riesigen Lettern geschrieben stand: "No sweat, no glory". Ohne Schweiß kein Ruhm. Die gesamte Kommission fuhr zum Europäischen Gerichtshof, wo sie ihren Eid ablegte.

Auf der Fahrt hatten sie ausgiebig Zeit, in diversen Sprachen in verschiedenen europäischen Zeitungen, darunter der SZ, das Ausmaß der Steuervermeidungspraktiken nachzulesen - und über die Aufgaben für die nächsten fünf Arbeitsjahre nachzudenken. Eine der größten Aufgaben wird sein, dem ruinösen Steuerwettbewerb innerhalb der Europäischen Union ein Ende zu setzen und endlich ein Mindestmaß an Steuergesetzen zu verabschieden.

Eine Aufgabe, die auch Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident vorantreiben muss. Der ehemalige Premierminister und Finanzminister von Luxemburg äußerte sich am Mittwoch nur mit wenigen Worten zu den neuen Enthüllungen - und auch nicht zur Sache: Die ersten Veröffentlichungen habe es direkt nach seinem Amtsantritt gegeben, kritisierte Juncker. "Die zweite Welle wird losgeschickt, wenn ich mich durch den Gerichtshof vereidigen lasse. Das ist kein wirklicher Zufall."

Nach den ersten Luxemburg-Leaks-Berichten Anfang November hatte die öffentliche Reaktion die Politiker in ganz Europa aufgeschreckt. Den Enthüllungen folgten in den vergangenen Tagen viele Ankündigungen: Steuerabsprachen sollen transparent gemacht, minimale Grundregeln eingeführt und Konzerne angehalten werden, Steuern am Ort der Wertschöpfung zu zahlen. Die Regeln sind für 2015 angekündigt.

Doch schöne Worte gab es schon früher. Seit Ende der 1990er Jahre überlegen Politiker, die Steuerpraktiken in der Europäischen Union und weltweit zu harmonisieren. Allerdings gab es bisher keine Fortschritte - im Gegenteil. Mehr und mehr Konzerne gründeten Gesellschaften in Irland, Luxemburg oder den Niederlanden. Die meisten Politiker in Europa störte es nicht, dass normale Bürger Steuern zahlten, Konzerne dagegen kaum.

Das änderte sich mit der Finanzkrise. Sie kostete Milliarden Euro und Millionen Jobs. Die Regierungen brauchen ihre Steuereinnahmen seither dringlicher denn je. Dazu kommt der öffentliche Druck, auch durch die Luxemburg-Leaks. Die bislang geheimen Dokumente zeigen, wie Steuerberatungsfirmen internationalen Konzernen dabei helfen, Steuern in Milliardenhöhe zu vermeiden. Mittlerweile stehen Hunderte Absprachen zwischen Beamten und Firmen im Internet (www.sz.de/Luxleaks).

Was die Politik schon getan hat - und was nicht

Nun geraten die Dinge in Bewegung. Luxemburg hat alle EU-Länder eingeladen, sich diese bisher nicht öffentlichen Steuerdaten anzusehen. Die Niederlande bieten das Gleiche an. Die europäischen Steuerparadiese versuchen, ihren Ruf als Beschützer der Konzerne loszuwerden.

Selbst Irland hat vor Kurzem angekündigt, Steuerschlupflöcher zu schließen. Es soll keine Geisterfirmen mehr geben, die nirgendwo auf der Welt steuerlich erfasst werden. Das erlaubte bisher ein Gesetz; der Computerhersteller Apple und andere internationale Unternehmen nutzten es. Außerdem will Dublin den "doppelten Iren" abschaffen, eine bei Internetkonzernen beliebte Sparkonstruktion. Der Double Irish soll aber erst bis 2020 verschwinden. Die Regierung versprach im Gegenzug andere Vergünstigungen: Wenn Konzerne Patente halten, können sie den Steuersatz auch künftig drücken.

Wenige Stunden vor den neuen Veröffentlichungen trafen sich die EU-Finanzminister in Brüssel. Sie wussten, dass neue Berichte erscheinen würden - und beschlossen vorher schnell, die sogenannte Mutter-Tochter-Richtlinie zu verschärfen (PDF). Sie soll verhindern, dass Konzerne intern über Ländergrenzen hinweg Kredite an sich selbst vergeben, um Gewinne steuerfrei zu kassieren. Darauf hatten sich die europäischen Regierungen schon im Juni geeinigt (PDF). Doch damals strichen die Minister eine entscheidende Formulierung, die die EU-Kommission und das EU-Parlament im Gesetz vorgesehen hatten; sie sollte jede "missbräuchliche" Nutzung von Tochterfirmen verbieten. Im Sommer hatte dies bei den Regierungen noch keine Zustimmung gefunden. Jetzt steht die Klausel im Gesetz.

Die Ankündigungen sind nicht mehr als ein Anfang. Seit Jahren liegt zum Beispiel ein Vorschlag vor, die Körperschaftsteuer in Europa zu harmonisieren. Aber es ist zweifelhaft, ob er jemals umgesetzt wird. Eine Umfrage unter den 28 Ländern habe absehbar keine Mehrheit ergeben, heißt es in der EU-Kommission.

Noch haben die Konzerne also viele Freiheiten, die sie auch nutzen. Wie groß die Steuerschlupflöcher innerhalb von Europa sind, erleben zum Beispiel gerade die Italiener. Denn der Sportwagenhersteller Ferrari erwägt laut der Nachrichtenagentur Bloomberg, seinen Steuersitz nach London zu verlegen. Auch hier locken Steuervorteile. Ferrari würde seiner Konzernmutter Fiat Chrysler Automobiles folgen, die ihren Sitz bereits aus dem italienischen Turin in die britische Hauptstadt verlegt hat.

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