Süddeutsche Zeitung

Luftverkehr:Inselhüpfen im Elektroflugzeug

Die Luftfahrtindustrie muss umweltverträglicher werden. Kleine elektrische Regionalflugzeuge könnten in wenigen Jahren zur Verfügung stehen.

Von Jens Flottau

Ein Blick in den Flugplan der norwegischen Regionalfluggesellschaft Wideroe zeigt das Problem und die Chance. Wideroe fliegt zum Beispiel einen Liniendienst von Vardø nach Tromsø über Båtsfjord, Berlevåg und Hammerfest. Die Etappen sind so kurz, dass die Propellermaschinen des Typs De Havilland Dash 8 praktisch alle 50 Kilometer landen müssen. Das Problem: Die Flüge sind nötig, um auch entlegene Gebiete anbinden zu können. Aber die 30-Sitzer sind alt und unwirtschaftlich, oft verlieren sich nur ein paar Passagiere an Bord, und so muss die norwegische Regierung das Streckennetz stark subventionieren, damit sich die Flüge für Wideroe lohnen. Unter Umweltaspekten sind die kurzen Hüpfer nicht vertretbar, doch bei manchen der Inseln und Fjorde gibt es keine gute Alternativen.

Doch die Chance heißt elektrisches Fliegen. Wideroe hat sich mit dem kleinen italienischen Flugzeughersteller Tecnam und dem Motorenbauer Rolls-Royce in einem Projekt zusammengetan, um herauszufinden, ob die alten Dashs von kleinen Elektroflugzeugen wie dem P-Volt ersetzt werden können, den Tecnam gerade entwickelt und der für die Kurzstrecken in Norwegen, aber auch in vielen anderen Ländern, in denen entlegene Ziele angebunden werden müssen, ideal sein könnte.

Die Luftfahrt stand vor der Corona-Pandemie unter enormem politischen Druck, ihre dürftige Umweltbilanz zu verbessern, und nach der Pandemie sind glaubwürdige Investitionen in nachhaltig wirksame Technologien die Lizenz zum Wachstum. Die Branche steht am Anfang eines Transformationsprozesses, der sich über Jahrzehnte erstrecken und viele unterschiedliche Ansätze beinhalten wird. Elektrisch betrieben werden können wegen der begrenzten Energiedichte der Batterien auf lange Zeit hin nur kleinere Maschinen, die kürzere Strecken bedienen - und sie decken nur einen winzigen Teil des Bedarfs ab. Hybridantriebe sind bei größeren Regionalflugzeugen mit 50 bis 100 Sitzen denkbar.

Airbus will Wasserstoffantriebe einsetzen

Für die traditionellen Kurz- und Mittelstrecken setzt Airbus von 2035 an auf Wasserstoff und Boeing auf synthetisch hergestellten Treibstoff, der wie das Kerosin mit den herkömmlichen Motoren eingesetzt werden kann. Die sogenannten Sustainable Aviation Fuels (SAF) sind zudem für die Langstrecken, bei denen der Großteil der Emissionen verursacht wird, bis auf Weiteres der einzige realistische Weg - auch wenn die Industrie noch weit davon entfernt ist, die Treibstoffe in den nötigen Mengen zu produzieren.

Elektrisches Fliegen mit kleinen Flugzeugen auf Kurzstrecken aber könnte ein Anfang sein. "75 Prozent unserer Strecken sind kürzer als 300 Kilometer", sagt Wideroe-Strategiechef Andreas Aks. "Viele sind noch kürzer. Die Dash 8 ist viel zu groß, wir fliegen oft nur mit fünf bis zehn Passagieren." Die norwegische Regierung erwartet, dass der erste Elektro-Linienflug 2025 stattfindet und dass alle Kurzstrecken bis 2040 auf Batterie-Flugzeuge umgestellt sind. Da Norwegen jede Menge dezentrale Wasserkraftwerke hat, ist der Strom dann auch wirklich grün. "Wir haben genügend Elektrizität für diese Art von Flugzeugen", sagt Aks.

Der Neun-Sitzer P-Volt könnte wohl die kurzen Strecken abdecken. Die Batterien, die in einem Fach unter dem Rumpf untergebracht sind, könnten bei den Zwischenlandungen schnell aufgeladen werden oder, wenn Schnellladungen nicht möglich sind, einfach komplett ausgetauscht werden, um dann in Ruhe langsam geladen zu werden. Tecnam arbeitet noch an den Spezifikationen und will diese im Laufe des Jahres veröffentlichen.

Es gibt aber noch andere Projekte. In Schweden haben einige ehemalige Saab-Mitarbeiter das Start-up Heart Aerospace gegründet. Sie wollen die komplett elektrisch angetriebene ES-19 entwickeln, die wie die P-Volt, entgegen der Erwartungen Norwegens, erst im Jahr 2026 erstmals ausgeliefert werden soll. Die ES-19 ist mit 19 Sitzen mehr als doppelt so groß wie das Tecnam-Flugzeug. Der Hochdecker hat vier Elektromotoren, die Batterien sind direkt hinter diesen und unter dem Flügel angebracht. Sie können also nicht ohne Weiteres ausgetauscht werden, sondern müssen nach dem Flug aufgeladen werden. Heart Aerospace zufolge kommt die ES-19 auf eine Reichweite von 400 Kilometern. Wideroe schaut sich auch dieses Projekt an. In Spanien arbeiten die Fluggesellschaften Volotea und Air Nostrum mit Dante Aeronautical zusammen, einem neu gegründeten Unternehmen, das herkömmliche Propellerflugzeuge des Typs Cessna Caravan elektrifizieren will. Der spanische Staat soll die Forschungsarbeiten fördern.

Investoren interessieren sich eher für Flugtaxis

So realistisch die Projekte auf der Basis der auf absehbare Zeit zur Verfügung stehenden Batterietechnologie auch sein mögen - die Investoren mit dem großen Geld scheinen sie derzeit noch nicht anzuziehen. Milliarden Kapital fließt derzeit in technologisch oft weit riskantere, aber offenbar attraktive Flugtaxi-Projekte. Diese kommen für die breite Masse der Passagiere aber eher nicht in Frage, denn sie werden zu teuer sein, und es wird schlicht nicht genügend davon geben können, um sie zum Transportmittel für jeden zu machen. Die Flugtaxis sollen zwar auch einen Elektroantrieb bekommen, aber ihre Energiebilanz ist ungünstiger, denn sie verbrauchen beim Senkrechtstarten und Landen enorm viel Strom, während die Regionalflugzeuge viel effizienter auf Startbahnen beschleunigen, weil sie den Auftrieb der Flügel nutzen. Wenn anders als in Norwegen nicht genug Ökostrom für alle Transportmittel vorhanden ist, stellt sich angesichts der Energiewende bald die Frage, wie die knappe Ressource am sinnvollsten verteilt wird. Sollen Flugtaxis wirklich Priorität haben, wenn elektrische Autos oder Flugzeuge mit viel weniger Energie auskommen?

Gerade erst hat der neue Chef der International Air Transport Association (IATA), Willie Walsh, klargestellt, dass die Branche trotz der Pandemie zu ihren Umweltzielen steht. Doch in der Krise ist die Schuldenlast massiv gestiegen, gleiches gilt für die etablierten Hersteller. Es wird einige Zeit dauern, bis sie sich Investitionen im großen Stil leisten können.

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