Luftverkehr:Nur sicher Fliegen ist schöner

Darf denn jeder auf das Rollfeld? Für den reibungslosen Ablauf am Flughafen ist gut ausgebildetes Bodenpersonal wichtig. Doch Brüssel will nun den Wettbewerb zwischen den Anbietern fördern. Ist das Fliegen dann noch sicher?

Von Miriam Staber und Verena Schälter

Der Airbus A319 ist gelandet, die Maschine rollt in die Parkposition am Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen. Jetzt muss es fix gehen: Strom anschließen, Bremsen feststellen, die Treppe heranfahren. Der Zeitdruck bei der Flugzeugabfertigung ist enorm.

Dirk Liebe checkt im Schnelldurchlauf zuerst die Turbinen. In nur einer Stunde muss der Flieger wieder startklar sein. Fehler dürfen nicht passieren. Um diesen Job zügig und verlässlich auszuführen, braucht er viel Erfahrung. Die hat Liebe: Seit neun Jahren arbeitet er am Münchner Flughafen. Er hat über die Jahre hinweg zahlreiche Schulungen absolviert und bei der Handelskammer die offizielle Prüfung zum "Flugzeugabfertiger" abgelegt.

Doch immer weniger Mitarbeiter des Bodenpersonals können mit Liebes Qualifikation mithalten. Sie werden von Leiharbeitsfirmen geschickt. "Deren Mitarbeiter wechseln alle paar Monate", erzählt Liebe. Ihre Ausbildungsdauer beträgt maximal zwei Wochen. Eingesetzt werden die Leiharbeiter in allen Bereichen der sogenannten "sicherheitsrelevanten Bodendienste". Dazu gehört, die Flugzeuge zu be- und entladen, die Passagiere vom Terminal zum Flugzeug zu transportieren sowie das Gepäck und die Fracht abzufertigen.

Mehr Konkurrenz, mehr Kostendruck

In Deutschland übernehmen traditionell die Flughafenbetreiber diese Aufgaben. In den meisten anderen europäischen Ländern fertigen seit langem unabhängige Anbieter die Flugzeuge ab. Diese Praxis soll bald auch in Deutschland zur Regel werden. Skeptiker befürchten, dass damit an der Sicherheit gespart wird. Trotzdem ist die EU-Kommission entschlossen, den Wettbewerb zu stärken.

Vor gut 15 Jahren unternahm die EU schon einmal einen Anlauf, die Bodenverkehrsdienste europaweit mit einer Richtlinie zu harmonisieren. Deutschland sträubte sich aber gegen die Umsetzung. Jetzt will die EU-Kommission nicht länger warten: In dieser Woche wird das Europäische Parlament voraussichtlich über eine neue bindende Verordnung abstimmen. Der Markt der Bodenverkehrsdienste soll weiter geöffnet werden. Das bedeutet: Mehr Konkurrenz, mehr Kostendruck und damit mehr Leiharbeiter bei der Flugzeugabfertigung.

Vor allem die Lufthansa würde als größte deutsche Fluggesellschaft davon profitieren: Kommt die Verordnung, sind nach Angaben eines Unternehmenssprechers "Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich realistisch". Bislang arbeitet die Lufthansa kaum mit anderen Dienstleistern zusammen, obwohl diese billiger sind. Denn nur die flughafeneigenen Anbieter verfügen über genügend Mitarbeiter und Gerätschaften, um alle Lufthansa-Maschinen abzufertigen. Sie sind deshalb so gut wie konkurrenzlos.

Dadurch sind die Kosten für die Bodenverkehrsdienste an deutschen Flughäfen durchschnittlich 20 Prozent teurer als an anderen europäischen Flughäfen. Das soll sich bald ändern.

Die Fluggesellschaften stehen unter einem extremen Kostendruck. Die Lufthansa hat deshalb Interesse daran, die Qualität der externen Anbieter zu steigern. "Um dies sicherzustellen, messen wir kontinuierlich die Qualität der Ausbildung", sagt der Sprecher.

Ralf Krüger, Betriebsrat der flughafeneigenen Firma AeroGround, ist sich sogar sicher, dass die Fluggesellschaft "gezielt in den externen Anbieter Swissport Losch investiert. Für die Lufthansa ist das günstiger, weil die Ausbildung von Losch kürzer ist und die Arbeiter weniger Gehalt bekommen", so Krüger.

"Einzigartiges Entlohnungsmodell"

Das stimmt: Auf ihrer Homepage wirbt Swissport Losch mit einem "einzigartigen Entlohnungsmodell". Laut Arbeitsvertrag, der der Redaktion vorliegt, beträgt der Stundenlohn für Neueinsteiger gerade einmal 7,60 Euro brutto. Solche Niedriglöhne sind bei flughafeninternen Anbietern kaum möglich. Dort gibt es einen Betriebsrat, die meisten Arbeiter werden nach Tarif bezahlt.

Leer hin, voll zurück

Kommt die EU-Verordnung, wird es für flughafeneigene Anbieter wie AeroGround schwer, dieses Lohnniveau zu halten. Denn dann geht der Preiskampf zwischen den Anbietern erst richtig los.

Das scheint auch der EU-Kommission klar zu sein. Eine von ihr in Auftrag gegebene Studie belegt, dass die bisherige Marktöffnung europaweit zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen geführt hat. Der wachsende Preisdruck treibe die Flughäfen zur Auslagerung des Bodenpersonals. Trotzdem will Brüssel den Markt komplett öffnen.

Doch die Chancen für die Gegner des Liberalisierungsvorhabens stehen gut. Momentan sieht es danach aus, dass die Verordnung in der aktuellen Formulierung vom Parlament an den Verkehrsausschuss zurückverwiesen wird.

Das bedeutet, der Vorschlag muss dort komplett überarbeitet werden und zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zur Abstimmung vorgelegt werden. Die zweite Möglichkeit ist, dass das Parlament über alle 243 Änderungsvorschläge einzeln abstimmt. Dies gilt jedoch als eher unwahrscheinlich.

Möglich ist allerdings auch, dass der Vorschlag vollständig abgelehnt wird. EU-Kommissar Siim Kallas hat bereits angekündigt, in diesem Fall das ganze Paket zurückzuziehen. Dann würde alles beim Alten bleiben.

Das wäre Liebe am liebsten. "Die Folgen wären fatal", sagt Flugzeugabfertiger Liebe - nicht nur für das Lohnniveau der Arbeiter, sondern vor allem für die Sicherheit der Passagiere.

Er gibt ein Beispiel: Bei einem Flugzeug, das nach Paris abheben sollte, war im März der Laderaum defekt. Es musste deshalb ohne Gepäck an Bord von München abfliegen. Denn werden Gepäck und Fracht nicht ordnungsgemäß verstaut, ist der Flieger schwierig zu lenken und kann in Schieflage geraten. "Der Witz war, dass der Flieger leer nach Paris gegangen ist, aber voll beladen wiederkam. Obwohl alles kaputt war da drinnen im Laderaum", so Liebe.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: