Luftverkehr in Brasilien:Schrumpfkur

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Flugzeuge am Flughafen in São Paulo müssen öfter am Boden bleiben. Seit Ausbruch der Krise im Land kaufen die Brasilianer weniger Tickets. (Foto: Yasuyoshi Chiba/afp)

Der Aufwärtstrend ist gebrochen. Fluggesellschaften haben es schwer in Braslien. Sie bekommen die Rezession des Landes zu spüren.

Von JENS FLOTTAU, Sao Paulo

José Efromovich steht vor seinem neu lackierten Airbus A320 und erweckt den Eindruck, als verstehe er die Zweifel nicht. "Warum sollten wir unsere Wachstumspläne ändern?", sagt er. Efromovich und seinem Bruder German gehört die brasilianische Fluggesellschaft Avianca Brasil, die gerade in das Lufthansa-Bündnis Star Alliance aufgenommen worden ist. Im vergangenen Jahr ist die Airline um 35 Prozent gewachsen, in diesem Jahr werden es wohl wieder 17 Prozent werden, Efromovich hat im Juni gerade 62 neue Flugzeuge bestellt und überlegt, Langstreckenflüge einzuführen.

Was die Efromovichs in Brasilien vorhaben, das erinnert stark an die Zeiten, als das Land noch zu den jungen Schwellenländern zählte und zum Inbegriff von Hoffnung und wirtschaftlicher Entwicklung wurde. Inzwischen ist die Aufbruchstimmung jedoch verflogen. Seit gut einem Jahr geht es abwärts mit Brasilien: Die Inflation liegt bei zehn Prozent, die Währung, der Real, hat stark an Wert verloren und die Arbeitslosigkeit steigt - alles Anzeichen einer Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt der mit weitem Abstand größten lateinamerikanischen Volkswirtschaft wird im laufenden Jahr vermutlich um fast zwei Prozent zurückgehen. Paulo Cesar, der beim brasilianischen Flugzeughersteller und Exportweltmeister Embraer das zivile Geschäft leitet, geht davon aus, dass erste Zeichen der Entspannung "nicht vor Mitte 2016" zu sehen sein werden.

Wie gut das Geschäft für die Fluggesellschaften läuft, hängt immer von der allgemeinen Wirtschaftslage ab. Es gilt die Faustformel: Der Luftverkehr wächst in guten Zeiten etwa 1,5 bis zweimal so schnell wie die Wirtschaft, leider gilt die Korrelation aber auch umgekehrt in schlechten Zeiten. Dem Mechanismus können sich auch die brasilianischen Fluggesellschaften nicht entziehen. Vier Airlines teilen den Markt unter sich auf: TAM, Teil des LATAM-Konzerns, kommt derzeit ebenso wie der Billiganbieter Gol auf einen Anteil von etwa 36 Prozent. Um den Rest streiten sich Azul und Avianca.

Die Rezession im Land bekommen nun auch die Fluganbieter zu spüren

Die bislang schärfsten Konsequenzen hat TAM gezogen, die im vergangenen Jahr die Star Alliance verlassen und sich Konkurrent Oneworld angeschlossen hat. TAM will bis zum Ende des Jahres die Kapazität auf den brasilianischen Inlandsstrecken um acht bis zehn Prozent reduzieren und vor allem in der Verwaltung Stellen streichen. Die chilenische LAN Airlines hatte im Juni 2012 mit TAM die LATAM Airlines-Gruppe gegründet, um sich den damals lukrativ erscheinenden brasilianischen Markt zu erschließen, in dem LAN nicht präsent war. Nun ist noch mehr Geduld gefragt, bis sich die Investitionen auszahlen.

Aber auch David Neeleman, der einst in New York JetBlue Airways und später in Brasilien Azul gegründet hat, erwischt die große Krise zur Unzeit. Azul war bislang ein großer Nischenanbieter, der sich vor allem auf Regionalstrecken innerhalb Brasiliens konzentriert hat und mit dem Konzept ziemlich erfolgreich war. Doch dann kam Neeleman auf die Idee, auch Langstrecken aufzunehmen und Flüge in die USA zu beginnen. Wie sich nun herausstellt, war das Timing äußerst ungünstig, denn er muss die neuen Flüge nun mitten in der Rezession einführen. Bislang aber hält er an den internationalen Expansionsplänen fest. Auch für die Star Alliance ist er deswegen neben Avianca zu einem zweiten möglichen Partner in Brasilien geworden, denn der Abschied von TAM 2014 hat ein großes Loch gerissen. Der Weg scheint vorgezeichnet, denn zuletzt erwarb Star-Gründungsmitglied United Airlines einen Minderheitsanteil an Azul - Geld, das Neeleman für seine neuen Pläne gut gebrauchen kann. In diesen Plänen spielt TAP Portugal eine wichtige Rolle, Neeleman hat zusammen mit einer Investorengruppe die staatliche portugiesische Fluggesellschaft übernommen und will künftig Azul und TAP eng zusammenarbeiten lassen.

Auch Gol, die als Billiganbieter gestartet war und sich seither mehr in Richtung klassischer Anbieter orientiert, ist mittlerweile fest ins internationale System integriert, denn die Skyteam-Mitglieder Delta (2011) und Air France-KLM (2014) haben ebenfalls kleine Anteile an Gol gekauft. Doch bevor die brasilianische Airline wirklich bei Skyteam mitmachen kann, muss sie erst einmal die Krise in ihrer Heimat überwinden, vorher sind für strategische Projekte kaum Kräfte übrig. Gol hat bereits eine erste Rosskur hinter sich und war zwischen 2011 und 2013 um mehr als zehn Prozent geschrumpft, ähnlich wie jetzt TAM. 2014 hatte die Airline wieder zu wachsen begonnen, doch angesichts der wirtschaftlichen Lage ist es mehr als ungewiss, ob sie dies nun durchhalten kann.

Der einzige, der sich ganz offensichtlich durch nichts irritieren lässt, ist José Efromovich. Er und sein Bruder haben in der Ölindustrie ein Vermögen verdient und können es sich leisten, mit Avianca Brasil auch die schlechten Jahre durchzuhalten und weitere Marktanteile hinzuzugewinnen. Kasse machen wollen sie aber irgendwann trotzdem: Ein Börsengang ist angedacht, aber erst nach der Krise.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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