Süddeutsche Zeitung

Luftverkehr:Fliegen wie vor 30 Jahren

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Die Deutsche Flugsicherung hat 2021 so wenig Flüge wie Anfang der 90er Jahre betreut. Doch trotz Omikron gibt es auch Lichtblicke.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Ein Blick auf die Luftfahrt von Anfang 1992: Der Sektor wird innerhalb der Europäischen Union weiter liberalisiert - jede europäische Airline kann nun innerhalb der EU fliegen wie sie will und nicht nur von ihrem Heimatland aus. Billig-Fluglinien gibt es nicht, Allianzen und Fusionen auch nicht. Die halbstaatliche Lufthansa weist für das Geschäftsjahr 1991 im reinen Flugbetrieb einen Verlust von fast einer Milliarde D-Mark aus. Der 49-jährige Ingenieur Jürgen Weber soll als neuer Vorstandsvorsitzender das Unternehmen sanieren und privatisieren.

Meldungen aus einer anderen Zeit, sollte man meinen. Doch die neueste Statistik der Deutsche Flugsicherung (DFS) für das Jahr 2021 weist direkt auf sie zurück: Ein ähnlich niedriges Verkehrsaufkommen wie im vergangenen Jahr habe es "zuletzt Anfang der 90er Jahre gegeben", so das Unternehmen. 1,67 Millionen Starts, Landungen und Überflüge habe die Flugsicherung betreuen müssen. Das sind immerhin wieder 14 Prozent mehr als im von der Corona-Pandemie stark beeinflussten Jahr 2020, aber immer noch nur ziemlich genau halb so viele wie 2019, dem bisher aufkommensstärksten Jahr der Luftfahrt.

Die Entwicklung zeigt laut DFS-Chef Arndt Schoenemann, "dass wir die Pandemie noch lange nicht überwunden haben." Die Flugsicherung geht nun davon aus, "dass wir das Vorkrisenniveau wohl erst 2025 wieder erreichen." Das ist ein deutlich pessimistischerer Ausblick als die Prognosen vieler anderer Beteiligter, die für den Sektor insgesamt schon 2023 als Jahr der Rückkehr zum alten Niveau vorhergesagt haben. Die DFS-Statistik verdeutlicht auch, wie sehr man hierzulande hinter der Entwicklung in anderen Ländern und Regionen hinterherhinkt: In den USA ist der Inlandsverkehr praktisch jetzt schon wieder auf dem Level von 2019 - mit der Einschränkung, dass derzeit Tausende Flüge gestrichen werden müssen, weil sich Piloten und Flugbegleiter mit der Omikron-Variante des Coronavirus' infiziert haben. In China ist das Inlandsgeschäft auch wieder stark, wobei es allerdings immer wieder wegen lokaler oder regionaler Lockdowns zurückgeworfen wird.

Allerdings ist der Luftverkehr in anderen Teilen Asiens noch viel stärker betroffen als in Deutschland, denn oft sind die Reisebeschränkungen dort noch viel weitreichender.

Immerhin ein positiver Trend

Der Verlauf des Jahres 2021 zeigt immerhin einen positiven Trend: Im Frühjahr fand Luftverkehr nur sehr eingeschränkt statt. Von Juli bis Oktober war die Nachfrage sehr stark, die Fluggesellschaften profitierten von starkem Nachholbedarf und vergleichsweise niedrigen Inzidenzen. Gegen Jahresende lag die Zahl der Flugbewegungen noch etwa ein Viertel unter der des Jahres 2019.

Die europäische Flugsicherungsbehörde Eurocontrol vermeldet für die erste Januarwoche 2022 trotz Omikron weiter Ermutigendes: Die Zahl der Flugbewegungen lag bei 78,5 Prozent des Niveaus von Januar 2020. Damit ist die Erholung zwar etwa seit November nicht mehr wirklich vorangekommen. Allerdings ist, wie Bernstein Research-Analyst Alex Irving feststellt, die Nachfrage auch nicht mehr gravierend eingebrochen. Das war bei den früheren Virus-Wellen noch deutlich anders: Jedes Mal mussten die Fluggesellschaften massive Rückschritte verkraften. Mittlerweile seien die Voraussetzungen aber besser: Die Impfraten seien viel höher, es gebe eingespielte Prozesse, das europäische digitale Impfzertifikat und überall Möglichkeiten, sich auf das Coronavirus testen zu lassen. Dadurch bleibe eine höhere Grundnachfrage im Luftverkehr erhalten.

Irving hat trotz Omikron die Hoffnung auf eine starke Sommersaison noch lange nicht aufgegeben. Diese setze allerdings voraus, dass die europäischen Regierungen nicht überraschende neue Reiserestriktionen beschließen. Ebenso müssten Kunden darauf vertrauen können, auch bei längerfristigen Buchungen ohne Quarantäne von einem Urlaub oder einer Geschäftsreise zurückkehren zu können. Vor allem im innereuropäischen Reiseverkehr sei mit einem starken Nachholbedarf zu rechnen, so Irving.

Das Langstreckengeschäft ist nach wie vor problematischer. Allerdings haben die etablierten Anbieter nun strukturell bessere Bedingungen: Viel Kapazität ist verschwunden und mit ihnen auch unangenehme Konkurrenten wie der Billig-Anbieter Norwegian - sie dürfen also wenigstens mit höheren Preisen rechnen, wenn sie schon mit weniger Passagieren auskommen müssen. Bei Lufthansa muss all dies nun Carsten Spohr regeln, Jürgen Webers ehemaliger Büroleiter und seit 2014 selbst Vorstandschef.

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