Süddeutsche Zeitung

Fluggesellschaft:Lufthansa will Piloten zu Einsparungen drängen

Die Airline erwägt, einen neuen Billig-Ableger zu gründen, wenn die Piloten sich nicht auf niedrigere Kosten einlassen. Es geht um Einsparungen von 20 bis 30 Prozent.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Ende der vergangenen Woche gab es für die Pilotinnen und Piloten der Lufthansa nach langer Zeit einmal wieder gute Nachrichten. Die Fluggesellschaft nahm, trotz des enormen Einbruchs des Luftverkehrs durch die Corona-Pandemie, die Drohung vom Tisch Piloten zu entlassen. Denn mehr als erwartet, hatten sich für freiwillige Abfindungen entschieden. Zudem entwickeln sich die Buchungen für den Sommer erfreulicher als angenommen, ab Mai drohen den Besatzungen auf der Kurzstrecke sogar wieder regelmäßig Überstunden, heißt es intern.

Aber es ist gut möglich, dass dies für eine Weile die einzigen guten Nachrichten waren. Denn nach SZ-Informationen erwägt der Konzern ernsthaft, eine neue Fluggesellschaft zu gründen, die von deutlich niedrigeren Personalkosten profitieren würde. Diese Airline würde wie die aktuelle unter der Marke Lufthansa fliegen und die innerdeutschen und europäischen Strecken von Frankfurt und München aus bedienen. In dieser Woche sitzen die Verhandlungskommissionen von Lufthansa und der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit beisammen, um noch einen Kompromiss zu finden. Doch die Forderungen der Airline sind dem Vernehmen nach hoch: 20 bis 30 Prozent billiger sollen die Piloten der Kernmarke künftig fliegen, um die Neugründung doch noch zu verhindern. Der Konzern äußert sich auf Anfrage zu den Plänen nicht.

Lufthansa-Piloten gehören zu den bestbezahlten Besatzungen, auch ihre Arbeitsbedingungen sind vergleichsweise komfortabel. Vor allem auf den Kurz- und Mittelstrecken ist das seit vielen Jahren ein immer größer werdender Nachteil. Denn die stark wachsenden Billigfluggesellschaften können mit deutlich niedrigeren Personalkosten planen und sich auf Strecken etablieren, auf denen Lufthansa kein Geld mehr verdient. Lufthansa hat deswegen den sogenannten dezentralen Verkehr - also alle Strecken, die nicht die beiden Drehkreuze in Frankfurt und München berühren - schon länger an die Konzerntochter Eurowings ausgelagert.

Eurowings reicht zwar nicht an die Kosten der allergünstigsten Airlines wie Ryanair and Wizzair heran, aber mit EasyJet vergleicht sich Eurowings mittlerweile. Zudem ist die Marke Lufthansa außerhalb ihrer Hauptstationen und der Zubringerdienste immer weiter in den Hintergrund gerückt. Das geschah auch, weil der bis 2018 geltende sogenannte Konzerntarifvertrag es ausdrücklich ausschloss, dass Flüge unter der Marke Lufthansa von Piloten durchgeführt werden, die anderswo angestellt sind - etwa bei Eurowings.

Die Vereinbarung wurde 2004 geschlossen, Sun Express aber viel später gegründet

Mittlerweile hat sich allerdings Einiges getan: So urteilte im Oktober 2016 das Landesarbeitsgericht Köln in einem Verfahren rund um die damalige Konzerntochter Sun Express Deutschland, dass Bestimmungen aus dem Konzerntarifvertrag nur für Airlines gelten, die zum Zeitpunkt der Vereinbarung schon existierten. Die Vereinbarung wurde 2004 geschlossen, Sun Express aber viel später gegründet. Lufthansa argumentierte, eine neue Airline im Verbund könne daher auch unbegrenzt unter der Marke Lufthansa fliegen. Für die Passagiere wäre kein Unterschied zu sehen, bei den Kosten aber wäre die Differenz erheblich.

2018 ersetzten das Unternehmen und die Gewerkschaft zwar den Konzerntarifvertrag durch die sogenannte Perspektivvereinbarung, die den Piloten eine Flotte von mindestens 325 Maschinen und der Lufthansa 15 Prozent niedrigere Kosten im Cockpit garantierte. Doch Ende 2021 kündigte die Airline das Abkommen, weil sie die Zahl der Maschinen wegen der Corona-Krise auf längere Sicht nicht mehr erreichen werde. Damit fällt der Tarifrahmen nach einer Übergangsphase wieder auf den alten Konzerntarifvertrag zurück, allerdings nun ohne die stark einschränkende Fremdbereederungsklausel und nach Lufthansa-Lesart auch ohne die Verpflichtung, das um 15 Prozent niedrigere Kostenniveau aufzugeben.

Das Urteil von 2016 gibt der Lufthansa nun also unverhofft ein Druckmittel in die Hand - und dem Vernehmen nach ist sie dieses Mal auch bereit, es zu nutzen. Allerdings gibt es intern auch Stimmen, die damit zwar niedrigere Kosten durchsetzen, letztlich aber doch keine neue Airline gründen wollen. Denn es kann locker ein Jahr dauern, um ein neues sogenanntes Air Operator Certificate (AOC), also die Zulassung. Zudem würde noch eine neue Tochtergesellschaft den sowieso schon komplexen Konzern noch verworrener machen.

Auch auf Pilotenseite sind noch nicht alle Fragen geklärt: Denn der Verzicht auf Entlassungen gilt bislang nur für die Kernmarke Lufthansa. Ungeklärt ist, was mit den meisten der knapp 400 ehemaligen Germanwings-Mitarbeitern passiert, die nach dem Aus für ihren Flugbetrieb im Jahr 2020 einen neuen Job suchen. 80 von ihnen werden künftig für Lufthansa in München fliegen können. Lufthansa spricht davon, für sie würden Perspektiven in einem anderen bestehenden "oder neu zu gründenden Flugbetrieb" gesucht.

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