Luftverkehr:Wie Italien seine marode Fluggesellschaft loswurde

Lesezeit: 4 Min.

Eine Alitalia-Maschine 1948 kurz nach ihrem ersten Flug von Rom nach London. (Foto: imago stock&people)

Jahrelang hat Giorgia Meloni sich als Beschützerin der dauersiechenden Alitalia aufgeführt. Jetzt reicht ausgerechnet die nationalistische Regierungschefin die Nachfolgerin der Pleite-Airline an die Lufthansa weiter.

Von Ulrike Sauer, Rom

Es gibt tatsächlich diese Momente, in denen Giorgia Meloni der Realität ins Auge blickt. Der glühende Nationalstolz, die patriotische Propaganda, die Zuerst-die-Italiener-Parolen, die Nostalgie nach ihren postfaschistischen Wurzeln, sogar ihr schneidiges Streben nach Macht - alles verflüchtigt sich dann. Für eine stramme Rechte, die ihren Einfluss in Italien und in Europa seit sieben Monaten stetig ausbaut, legt die römische Regierungschefin dann erstaunliche Flexibilität an den Tag. Im Fall der staatlichen italienischen Fluggesellschaft sorgte sie damit nun für eine spektakuläre Zäsur. Man kann sie auch epochal nennen.

Nach 50 Jahren am Tropf der italienischen Steuerzahler wird ITA Airways, die Nachfolgerin des chronischen Pleitefliegers Alitalia, an Lufthansa weitergereicht. Allein die Konkursabwehr hat den Staat seit 2008 unterm Strich 10,3 Milliarden Euro gekostet. Nun versetzte der Einstieg des deutschen Luftfahrtkonzerns in Rom Alessandro Di Nicola in Jubellaune. Strahlend begrüßte der eingefleischte Marktwirtschaftler, Präsident des italienischen Ablegers der Adam Smith Society, vergangene Woche den Käufer aus Frankfurt. "Willkommen und Dankeschön!", sagte Di Nicola auf Deutsch. Endlich sei man Alitalia losgeworden, fügte der Mailänder Wirtschaftsanwalt auf Italienisch hinzu.

Der kostspielige Todeskampf der dauersiechenden Airline ist beendet, jedenfalls aus seiner Sicht.

Auch Carsten Spohr hat sein Ziel erreicht. Vor einer Woche vereinbarte der Lufthansa-Chef mit Melonis Finanzminister Giancarlo Giorgetti die Übernahme von 41 Prozent von ITA für 325 Millionen Euro. Seit seinem ersten Übernahmeangebot an den römischen Alleinaktionär sind 16 Monate vergangen. Von Januar 2022 an hatte der Lufthansa-Chef immer wieder neue Anläufe unternommen und die Verhandlungsfristen mehrmals verlängert. Nun möchte Spohr, sobald Lufthansa das defizitäre Staatsunternehmen aus den roten Zahlen geholt hat, die Beteiligung in zwei weiteren Schritten aufstocken und alle verbleibenden Anteile übernehmen. Der Kaufpreis für die Alitalia-Nachfolgerin erhöht sich damit auf insgesamt 829 Millionen Euro. Mit der Investition sichert sich Lufthansa in Italien die Kontrolle über die nur viertgrößte Airline des Landes. Denn die römische Fluggesellschaft ist kaum mehr als ein Schatten ihrer selbst.

In Italien haben sich längst die Billigflieger breitgemacht

Seit der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs in den Neunzigerjahren fiel der Marktanteil der Ex-Monopolistin nach und nach unter zehn Prozent. Das lukrative Fluggeschäft des großen Industrie- und Urlaubslandes teilen sich inzwischen mehrheitlich die drei ausländischen Billigflieger Ryanair, Easyjet und Wizz Air. Der Absturz ist der Preis, den das Land für die Gängelung der Fluggesellschaft durch Regierungen, Parteien, Gewerkschaften, Korporationen, Klientelen und unfähige Manager bezahlt hat. Man konnte in dem Debakel lange auch einen Inbegriff des Niedergangs Italiens sehen.

Nun also sorgt der Einstieg der Lufthansa für einen Schnitt. Lufthansa-Chef Spohr sprach in Rom von einer "Win-win-Situation". Italien, ITA und die Lufthansa - alle sollen von der Integration in den deutschen Konzern profitieren.

Ausgerechnet die rechtsnationalistische Regierung von Giorgia Meloni hat das Dauerdrama um Alitalia beendet. Ihr glückte, woran Mario Draghi kurz vor seinem Abtritt als Regierungschef gescheitert war. Melonis Vorgänger wollte ITA bereits vor einem Jahr an die Lufthansa verkaufen. Als Draghi im Juli stürzte, war der Verkauf eigentlich ausgemachte Sache. Dann jedoch sortierte das Finanzministerium im August die Offerte des hoch favorisierten Bieters aus und gab der amerikanischen Fondsgesellschaft Certares den Vorzug.

Einen Monat später gewann Meloni die Wahlen. In der Opposition hatte sich die Rechtspopulistin stets zur Beschützerin des maroden Staatsunternehmens aufgeschwungen und geschworen, dass sie keine ausländischen Firmenkäufer ins Land lassen werde. Erst recht keine Deutschen, gegen die sie erklärtermaßen eine besonders starke Abneigung hegt. "Die Linke hat beschlossen, einen strategischen nationalen Vermögenswert zu plündern, um Alitalia vielleicht schon morgen an die Deutschen von Lufthansa zu verkaufen", polterte sie am 14. Oktober 2021. Nun hat sich Meloni zusammen mit Finanzminister Giorgetti von der Lega höchst pragmatisch von der fliegenden Geldvernichtungsmaschine befreit.

Ihr Vertrauensmann Antonino ("Nino") Turicchi, den sie im vergangenen November als Präsident bei ITA installiert hat, lobt die Einigung mit Lufthansa in höchsten Tönen. Man habe einen industriellen Partner gefunden, der an das Projekt glaube und bereit sei, viel zu investieren. "Das hat es in der Geschichte der nationalen Fluggesellschaft noch nicht gegeben", sagte Turicchi nun in einem Interview mit der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera. Ob ITA nicht verscherbelt worden sei? Keinesfalls, antwortet der Staatsmanager. Schließlich könne man von Lufthansa nicht verlangen, dass sie die Verluste ausgleicht, die seit der Gründung von ITA im Herbst 2021 angefallen sind. "Vor meiner Tür gab es keine Schlange von Leuten, die 325 Millionen Euro angeboten haben", sagte er.

Auch unter dem neuen Namen ITA blieb die Airline ein Verlustbringer

Carsten Spohr klang auf der Pressekonferenz in Rom ausgesprochen optimistisch. ITA habe sich durch eine tiefgreifende Umstrukturierung weit von der alten, angeschlagenen Alitalia entfernt und sei "zu einem wettbewerbsfähigen Unternehmen mit der richtigen Größe" geworden. Ganz so rosig ist die Lage aber heute noch nicht. Die Airline blieb auch unter neuem Namen ein Verlustbringer. Nach dem Start am 15. Oktober 2021 hat ITA in den folgenden fünf Quartalen knapp 650 Millionen Euro Verluste gemacht. Hinzu kommt ein negatives Betriebsergebnis von 151 Millionen Euro in den ersten drei Monaten dieses Jahres. Gestoppt ist der Aderlass nach 14,5 Milliarden Euro Verlusten, die bei der alten Alitalia seit 1974 angefallen waren, noch nicht. "Lufthansa wird also noch Einiges zu tun haben", sagt Di Nicola.

Andererseits: Das Potenzial, nun mit einem starken Partner im Rücken verlorenen Umsatz zurückzuerobern und so zum ersten Mal in diesem Jahrhundert Profite zu machen, sollte vorhanden sein. Kein nationaler Anbieter in Europa hat im eigenen Land einen so geringen Marktanteil wie ITA, sagte Spohr in Rom. Sie verkaufte im ersten Quartal 27 Prozent der Tickets auf Inlandsflügen und nur 4,9 Prozent auf den Mittel- und Langstrecken. Darum sieht man der raschen Integration in den Lufthansa-Konzern auf römischer Seite plötzlich freudig entgegen. "Es wird uns gelingen, enorme Synergien auf kommerzieller, operativer und strategischer Ebene zu erzielen", frohlockt Turicchi. "Mit ihrer Investition in Italien wird Lufthansa wesentlich bessere Ergebnisse erzielen als mit ihren vorherigen Übernahmen", sagt der ITA-Präsident.

Auch die Fluggäste sollen etwas von der deutsch-italienischen Fusion haben, der nun noch die EU-Kommission zustimmen muss. "Durch die Stärkung von ITA entsteht endlich ein echter Wettbewerb auf dem italienischen Markt", warb Spohr in Rom für den Deal. In der Tat wäre das zu begrüßen. Die Low-Cost-Anbieter haben dort teilweise eine Monopolstellung eingenommen. So überließen ITA und Lufthansa die Verbindung zwischen Rom und Berlin völlig den Billigfliegern. Wie wäre es da mit einer Alternative zu den ausgebuchten und zudem teuren Ryanair-Flügen zwischen den beiden Hauptstädten?

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMenschenrechte
:Das EU-Lieferkettengesetz steht auf der Kippe

Im EU-Parlament gibt es heftigen Streit über die Regeln für saubere Lieferketten. Vom ehrgeizigen Plan ist wenig geblieben - und es könnte noch schlimmer kommen.

Von Caspar Dohmen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: