Süddeutsche Zeitung

Luftverkehr:Lufthansa bietet erneut für ITA Airways

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Eine Übernahme der früheren Alitalia wäre ein weiterer Versuch, auf dem attraktiven italienischen Markt Fuß zu fassen. Doch der Zusammenschluss hätte nicht nur Vorteile.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es haben unzählige Verhandlungsrunden stattgefunden und zwischendurch sah es danach aus, als seien alle Bemühungen aus Sicht der Lufthansa umsonst gewesen. Doch nun wird es offenbar doch konkret: Nach Informationen aus Branchenkreisen wird der Konzern an diesem Mittwoch ein Übernahme-Angebot für die neue italienische Fluggesellschaft ITA Airways vorlegen. Ein Konkurrent ist derzeit nicht in Sicht.

Dem Vernehmen nach wird Lufthansa zunächst einen Minderheitsanteil an der Fluglinie kaufen, hat aber die Möglichkeit, ITA zu einem späteren Zeitpunkt vollständig zu übernehmen. Im Raum steht zunächst ein Kaufpreis von rund 300 Millionen Euro für einen Anteil von etwa 40 Prozent, Zahlen die allerdings weder Lufthansa noch die italienische Regierung kommentieren. Nachdem das Angebot eingegangen ist, haben beide Seiten dem Vernehmen nach sechs Wochen Zeit, um einen endgültigen Kaufvertrag zu unterschreiben.

Lufthansa hatte in den vergangenen 15 Jahren mehrere Fluggesellschaften in der Europäischen Union übernommen. Zum Konzern gehören unter anderem Austrian Airlines, Swiss und Brussels Airlines. Die Airlines durften ihre eigenen Marken und lokales Management behalten, bestimmte Funktionen wie etwa der Flugzeug-Einkauf sind aber in der Gruppe stark zentralisiert. Nach dem gleichen Muster soll nun ITA Airways integriert werden.

Italien ist für Lufthansa nach den USA der zweitwichtigste Markt außerhalb Deutschlands. Ein Versuch, mit Lufthansa Italia einen eigenen Ableger zu gründen, scheiterte vor Jahren krachend. Derzeit gehört die Regionalfluggesellschaft Air Dolomiti, die italienische Städte an die Drehkreuze in Frankfurt und München anbindet zum Konzern. "Der italienische Markt ist selbstverständlich attraktiv", sagt Accenture-Luftverkehrsexperte Andreas Jahnke. Für Lufthansa stellt sich laut Jahnke auch die Frage, wo sie noch wachsen kann, wenn das Potential für starke Expansion im Heimatmarkt Deutschland ausgeschöpft zu sein scheint.

Es zeigte sich, dass ITA nur als Teil eines Konzerns eine Überlebenschance haben würde

ITA ist die inoffizielle Nachfolgegesellschaft der ehemaligen italienischen Staatslinie Alitalia, die berüchtigt war für jahrzehntelange hohe Verluste, die nur durch milliardenschwere Subventionen ausgeglichen werden konnten. Lufthansa stand unter dem ehemaligen Konzernchef Wolfgang Mayrhuber einst kurz davor, trotz allem Alitalia zu übernehmen, nur ein Veto des eigenen Aufsichtsrats verhinderte das Geschäft. Die Corona-Pandemie bedeutete dann das endgültige Aus für Alitalia, doch der italienische Staat gründete ITA - ohne die Altschulden des Vorgängers und erneut mit von der Europäischen Kommission genehmigten Starthilfen von 1,35 Milliarden Euro. ITA nahm Ende 2020 den Linienverkehr auf, bestellte fast 60 Flugzeuge bei Airbus und Leasingunternehmen und schreibt seither hohe Anfangsverluste. Es zeichnete sich schon bald ab, dass ITA nur als Teil eines Konzerns eine Überlebenschance haben würde.

Die Vorgängerregierung unter Ministerpräsident Mario Draghi hatte im Sommer 2022 einem Konsortium unter Führung des amerikanischen Finanzinvestors Certares und mit Air France-KLM den Vorzug vor Lufthansa gegeben. Doch die Gruppe ließ eine Deadline für exklusive Verhandlungen ohne Ergebnis verstreichen und hat bislang kein neues Angebot abgegeben. Lufthansa war wieder im Rennen.

Dass sich seither die wirtschaftliche Lage der ITA weiter verschlechtert hat, spielt Lufthansa in die Karten. Der Kaufpreis ist dem Vernehmen nach weiter gesunken. Zudem hat Lufthansa von Anfang an darauf bestanden, unabhängig von der Größe des Anteils unternehmerisch das Sagen zu haben. Darauf scheint sich nun sogar die neue, äußerst rechtsgerichtete Regierung unter Ministerpräsidentin Georgia Meloni einzulassen. Details der Vereinbarung sind noch nicht nach außen gedrungen. "Es wird aus guten Gründen lange verhandelt", sagt Accenture-Berater Jahnke.

Für den Lufthansa-Konzern bedeutet die Integration zwar Wachstum, aber auch mehr Komplexität und Unsicherheit. Schon jetzt muss die Gruppe Flugzeuge und andere Ressourcen auf fünf Drehkreuze (Frankfurt, München, Wien, Zürich und Brüssel) verteilen und ein sinnvolles Streckennetz für die fünf Standorte zusammenstellen. Sollte die ITA-Übernahme wirklich klappen, dürften mit Rom und Mailand zwei weitere Standorte hinzukommen, an denen Langstreckenflugzeuge stationiert werden müssen. Im Europaverkehr konkurriert ITA vor allem mit Ryanair, die mittlerweile in Italien auf einen Marktanteil von etwa 40 Prozent kommt. Damit ist fraglich, wie ITA, die auf Strukturen der alten Alitalia zurückgreift, auf den Kurz- und Mittelstrecken Geld verdienen kann.

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