Lufthansa-Hauptversammlung:"Der Schock sitzt sehr tief"

Fünf Wochen nach dem Absturz von Flug 4U9525 treffen sich in Hamburg die Lufthansa-Aktionäre. Die Fluggesellschaft ist schwer angeschlagen - wirtschaftlich, aber vor allem emotional.

Von Angelika Slavik, Hamburg

Es gibt Situationen, in denen jeder Geste etwas Hilfloses anhaftet. Weil es einfach keine passende, ausreichend würdige Geste geben kann. Mit welchem Zeichen kann man einer Katastrophe gedenken, wie sie vor fünf Wochen in den französischen Alpen passiert ist?

Die Lufthansa hat an diesem Mittwoch ihre Aktionäre zur Hauptversammlung nach Hamburg geladen. Vor etwas mehr als einem Monat stürzte ein Flugzeug vom Typ A320 der Lufthansa-Tochter Germanwings auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf ab. 150 Menschen verloren ihr Leben.

"Wir werden diesen 24. März 2015 niemals vergessen", sagt Lufthansa-Chef Carsten Spohr, 48. Er steht hinter dem Rednerpult in der nüchternen Kulisse des Veranstaltungszentrums CCH, hinter ihm sitzen die Vorstandskollegen und Aufsichtsräte, nahezu alle tragen Schwarz oder Dunkelgrau. Spohr sagt: "Unser Versprechen steht." Man werde den Angehörigen der Opfer "beistehen und helfen", auf jede erdenkliche Art und Weise.

Im Foyer des Veranstaltungszentrums steht eine große schwarze Wand, 4U 9525 steht darauf, die Flugnummer des Unglücksfliegers. 150 Lichter flackern davor. Bevor Spohr mit seiner Rede begonnen hat, gab es bereits eine Schweigeminute. Und dann?

Hauptversammlungen sind im Normalfall sehr lange Veranstaltungen, bei denen erst der Vorstand etwas über den Zustand des Unternehmens sagt und dann Aktionäre, seien es Fondsvertreter oder Privatanleger, mitteilen, was sie gerade so zu kritisieren haben. Das geschieht in der Regel mit einer ordentlichen Portion Polemik und manchmal mit einer quälenden Liebe zum Detail - wenn also zum Beispiel jemand sehr ausführlich hinterfragt, warum es denn Papierservietten gibt an Bord und ob nicht Stoffservietten viel schicker wären. Die Detailfragen werden auch diesmal kommen, aber der Tonfall wird deutlich gedämpfter sein. Vor allem aber werden auch sehr kritische Aktionäre Worte des Lobes finden für Carsten Spohr, den Mann, der sich nicht versteckt hat in dieser Krise. Dem man die Betroffenheit angesehen hat und der sein Möglichstes getan hat, den richtigen Tonfall zu finden, wenn es darum ging, diese Betroffenheit auszudrücken.

Hauptversammlung Deutsche Lufthansa AG

Der schwierige Umgang mit dem Unaussprechlichen: Schweigeminute bei der Hauptversammlung für die Opfer des Absturzes von Flug 4U 9592.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Jeden Tag vertrauen 300 000 Menschen diesem Unternehmen ihr Leben an

Jetzt ist wieder so ein Moment. Spohr sagt, dass sehr, sehr viele Menschen jeden Tag mit Fliegern der Lufthansa-Gruppe fliegen: "300 000 Menschen vertrauen uns ihr Leben an." Wenn das Vertrauen an dieser empfindlichen Stelle beschädigt werde, erschüttere das bis ins Mark, zitiert Spohr, was Bundespräsident Joachim Gauck bei der Trauerfeier im Kölner Dom gesagt hat. Und ja: "Wir sind bis ins Mark erschüttert."

Spohr spricht mit sehr fester, sehr lauter Stimme. Ein bisschen zu laut, vielleicht, ein bisschen zu schnell. Er sieht aus wie jemand, der sich sehr anstrengt, die Fassung zu wahren, und es gelingt ihm fast perfekt. "Der Schock sitzt noch sehr tief", sagt er. "Auch deshalb, weil Passagiere und Crew von Flug 4U 9525 offenbar mit Absicht in den Tod gerissen wurden." Es ist der einzige Moment, in dem seine Stimme bricht, ganz kurz bloß, dann geht es weiter. Die Welle der Solidarität von allen Seiten hätte den Konzern und die Mitarbeiter durch die schwierigen vergangenen Wochen getragen, sagt er. Und dass alle "eng zusammengerückt" seien und dass man doch sehe, was man erreichen könne, wenn alle zusammenhelfen.

Das ist die Botschaft an die widerspenstige Belegschaft, vor allem an die Vereinigung Cockpit, deren streikfreudige Piloten die Lufthansa allein im Jahr 2014 rund 230 Millionen Euro gekostet und die Passagiere zur Verzweiflung getrieben haben. Im ersten Halbjahr 2015 sollen noch einmal 100 Millionen Euro dazukommen, wegen weiterer Flugausfälle und wegen der Buchungsrückgänge, die es immer gebe nach Streiks. Am Morgen vor der Hauptversammlung hat Lufthansa den Piloten eine Gesamtschlichtung über alle strittigen Punkte angeboten - etwas, das der Konzern bis dahin immer abgelehnt hatte. Es könnte jetzt Bewegung in den Konflikt kommen, das wäre doch mal ein Neuanfang. Spohr präsentiert jetzt die Zahlen. Die Zahlen sind schlecht.

Das Unternehmen vermeldet für das abgelaufene Jahr zwar einen Passagierrekord, 106 Millionen Fluggäste sind mit der Lufthansa-Gruppe, zu der auch Swiss, Austrian oder Brussels gehören, geflogen. Der Umsatz war bei 30 Milliarden Euro konstant, trotzdem blieb der operative Gewinn unter einer Milliarde Euro, inklusive Einmaleffekte lag das Konzernergebnis gar nur bei 55 Millionen Euro. Der Aktienkurs hat 2014 erneut zehn Prozent eingebüßt, es gibt keine Dividende für die Anleger. Man ist zurück in der nüchternen wirtschaftlichen Realität.

Spohr ist erst seit einem Jahr Vorstandschef. Er hatte den härtest denkbaren Start, wirtschaftlich und emotional. Aber, sagt Spohr, selbst wenn man das Bedürfnis danach habe, könne man eine Airline nun mal nicht anhalten, "nicht für Tage, nicht für Wochen. Nicht einmal für Stunden."

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