Lufthansa:18000 Ausfälle, so viele wie nie

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Flughafen Frankfurt: "So viele Verspätungen wie dieses Jahr habe ich noch nie erlebt", sagt Lufthansa-Vorstand Harry Hohmeister. (Foto: mauritius images)

Der Konzern fordert wegen der hohen Zahl der annullierten Flüge Entschädigungen von Flughäfen und der Flugsicherung. Dabei sind viele Probleme hausgemacht.

Von Jens Flottau, Berlin

Um für gute Stimmung zu sorgen, hatte der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) sogar einen Zauberer organisiert. Der demonstrierte auf der Bühne, wie man aus einem Tablet Bier zapfen kann - was Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zu seinem augenscheinlichen Leidwesen anschließend probieren musste. Er hoffe, so Scheuers kleine Rache gegenüber den Organisatoren, dass 2019 ein weniger chaotisches Jahr werden wird als 2018. Das sei geprägt gewesen von vielen Flugausfällen und Verspätungen. Man sollte es schnell wieder vergessen. Viele Schritte seien schon beschlossen. Vielleicht aber könne ja auch der BDL-Zauberer helfen.

Der "Abend der Luftfahrt" sollte also versöhnend wirken. Doch spätestens am nächsten Morgen war es um den Versuch schon wieder geschehen. Lufthansa-Vorstand Harry Hohmeister teilte per Interview im Hamburger Abendblatt mit, der Konzern habe in diesem Jahr bereits 18 000 Flüge streichen müssen. Das seien rechnerisch 60 pro Tag, was " einer zweiwöchigen Schließung unseres größten Drehkreuzes in Frankfurt" entspreche, so Hohmeister. "Das Schwierige ist, dass ein Großteil der Ursachen nicht bei den Airlines, sondern an anderer Stelle liegt, zum Beispiel der Flugsicherung, den Sicherheitskontrollen oder der Gepäckbeförderung." Und Hohmeister will die anderen nun deswegen zur Kasse bitten.

Tausende haben wegen langer Sicherheitskontrollen ihren Flug oder Anschluss verpasst

Die Mitglieder des BDL - Fluggesellschaften, Flughäfen und Flugsicherung - hatten sich eigentlich vorgenommen, sich gegenseitig öffentlich keine Vorhaltungen mehr zu machen, sondern die Sache lieber gemeinsam anzugehen. Wie genau, das haben sie beim Luftfahrt-Gipfel vor gut einer Woche in 24 Punkten festgelegt - die meisten davon waren allerdings entweder schon vorher umgesetzt und daher bekannt oder so langfristig, dass man sie gefahrlos auflisten konnte.

Daten des Central Office for Delay Analysis (CODA) der europäischen Flugsicherheitsbehörde widersprechen der Darstellung Hohmeisters, dass die Airlines für die Probleme des Sommers 2018 kaum verantwortlich zu machen sind. Rund die Hälfte aller Verspätungen (gestrichene Flüge werden in dieser Statistik nicht berücksichtigt) sind demnach standekommen, weil bereits der vorherige Flug nicht rechtzeitig gelandet war und sich der Effekt dann für das betroffene Flugzeug durch den ganzen Tag zieht. Die Ursachen für Verspätungen, die den Dominoeffekt eigentlich ausgelöst haben, teilen sich derzeit ziemlich genau gleich auf Fluggesellschaften und Flugsicherung auf. Allerdings haben die Probleme bei den Flugsicherungen zuletzt drastisch zugenommen. Im August etwa hatten die Kontrollzentralen in Marseille, Brest, Reims, Maastricht, Budapest, Karlsruhe, Langen und Wien zeitweise nicht genügend Lotsen. Die Flughäfen selbst, also Engpässe beim Gepäck oder den Sicherheitskontrollen, spielen bei den Verspätungen eine geringere Rolle, wenn die Mängel auch für Passagiere äußerst ärgerlich waren. Schließlich habe n Abertausende alleine wegen der langen Sicherheitskontrollen ihre Flüge verpasst, ob pünktlich oder nicht.

Insgesamt waren in Europa im August 56 Prozent aller Abflüge und 47 Prozent aller Landungen verspätet, beide Werte haben sich um sechs Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr verschlechtert. Ein durchschnittlicher Flug in Europa hat derzeit rund 33 Minuten Verspätung.

Die 18 000 gestrichenen Flüge bei Lufthansa kommen noch oben drauf und sind eine sehr große Zahl, betroffen dürften rund drei Millionen Passagiere gewesen sein. Allerdings bezieht sich die Zahl Hohmeisters auf alle Airlines, die zum Konzern gehören, also Lufthansa selbst, aber auch Eurowings, Swiss, Austrian und Brussels Airlines. Insgesamt führt die Gruppe pro Tag etwa 4400 Flüge durch, es sind also "nur" knapp 1,5 Prozent aller Verbindungen betroffen. Innerhalb der Gruppe hat vor allem Eurowings einen chaotischen Sommer hinter sich, denn das Unternehmen war überfordert vom starken Wachstum nach dem Ende des Air Berlin-Flugbetriebs vor fast genau einem Jahr. Als im Frühjahr dann auch noch Partner Laudamotion abhanden kam, weil Rivale Ryanair als Anteilseigner einstieg, fehlten plötzlich mehr als zehn Flugzeuge, die fest eingeplant waren. Ein Schlag, von dem sich Eurowings in den Folgemonaten nicht mehr erholen konnte.

Größere Puffer im Flugplan und Reserveflieger sollen helfen, Verspätungen zu vermeiden

Für den Kontext ist allerdings auch wichtig, dass Lufthansa nicht die einzige Airline ist, die ihren Kunden zuletzt eigentlich Unzumutbares zugemutet hat. Ryanair-Chef Michael O'Leary etwa macht sich normalerweise gerne über die Fehler der Konkurrenz lustig, doch wegen eines Fehlers bei der Ferienplanung der Piloten musste er zwischen November 2017 und März 2018 ebenfalls 18 000 Flüge streichen und 25 Maschinen vorübergehend stillegen. Zuletzt sorgten immer wieder Streiks der Piloten und Flugbegleiter für Ausfälle, und es sieht nicht danach aus, als würden sich beide Seiten bald einigen und weitere Ausstände vermeiden. EasyJet musste alleine im Mai 1000 Flüge wegen Fluglotsenstreiks in Frankreich streichen, viele andere Airlines waren auch betroffen, unter anderem Lufthansa.

"So viele Verspätungen und Schwierigkeiten wie dieses Jahr habe ich noch nie erlebt", findet auch Hohmeister. Intern tue Lufthansa, was sie könne - größere Puffer im Flugplan und mehr Reserveflugzeuge werden eingeführt. Im Übrigen dürfte die anstehende Wintersaison, in der traditionell deutlich weniger geflogen wird, für Entspannung sorgen.

Keineswegs entspannen dürfte sich das Verhältnis zu den Lieferanten. "Wir werden auch mit unseren Systempartnern, wie Flughäfen und Flugsicherungen, über die Gebühren sprechen. Im Moment zahlen wir den vollen Preis, auch wenn die Qualität nicht zu 100 Prozent erbracht wird", so der Lufthansa-Vorstand. Dies sei "nicht in Ordnung, denn am Ende werden wir vom Kunden für Verspätungen verantwortlich gemacht, auch wenn wir nichts dafür können".

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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