Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Staat am Steuer

Viele große Airlines sind eigentlich stark genug für die Krise. Weil kleinere Rivalen aber Hilfen bekommen, könnten sie trotzdem Geld fordern. Ein Dilemma für die Regierungen.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es ist ein Beispiel vom anderen Ende der Welt: Die sowieso schon verlustträchtige Fluggesellschaft Virgin Australia will Hilfen in Höhe von 1,4 Milliarden australischen Dollar, umgerechnet rund 770 Millionen Euro, vom Staat, um die Coronavirus-Krise zu überstehen. Der viel größere und bislang sehr profitable Rivale Qantas hat eigentlich ausgerechnet, dass er sehr lange ohne staatliche Hilfen überleben könnte. Aber weil es ja ungerecht wäre, wenn nur die Konkurrenz Geld bekäme, will die Fluggesellschaft nun doch 4,2 Milliarden Dollar zugesprochen bekommen - sie ist ja auch dreimal so groß.

Die Forderungen der beiden australischen Airlines stellen die Regierung in Brisbane vor ein Dilemma, mit dem sich viele Staaten nun auseinandersetzen müssen. Einerseits haben sie durch die allgegenwärtigen Reiserestriktionen dazu beigetragen, dass die Luftverkehrsbranche in der tiefsten Krise ihrer Geschichte steckt - allein der Frankfurter Flughafen meldete gerade für März einen Passagierrückgang von 90 Prozent, die Lufthansa hat ihr Angebot sogar noch stärker gekürzt. Doch je mehr sich die Regierungen finanziell engagieren und durch die Art und Weise wie sie das tun, drohen sie künftig zu entscheiden, welche Fluggesellschaften überleben.

Der Luftfahrtverband IATA prognostiziert für das zweite Quartal bereits branchenweit einen Verlust von 39 Milliarden Dollar, verglichen mit einem Gewinn von sieben Milliarden im zweiten Quartal 2019. Die Airlines werden demnach insgesamt 61 Milliarden Dollar an liquiden Mitteln verbrennen, der Umsatz wird um 68 Prozent sinken. Hoffnung gebe lediglich "die offene Haltung" vieler Regierungen, die allgemeine Wirtschaft anzukurbeln und den Airlines direkt to helfen, sagte IATA-Chef Alexandre de Juniac.

Die US-Regierung hat schon Ende der vergangenen Woche eine eindeutige Antwort gefunden: Alle Airlines des Landes sollen überleben und zwar möglichst in der Größe, die sie vor der Krise hatten. Alleine die Passagierfluggesellschaften bekommen deshalb Zuschüsse in Höhe von 25 Milliarden Dollar. Im Gegenzug dürfen sie bis Ende September keine Mitarbeiter entlassen und müssen garantieren, ihr Streckennetz zumindest minimal zu bedienen. Die bislang zur Kurspflege so beliebten Aktienrückkäufe sind zudem bis Ende 2021 ausgesetzt. Sollte das nicht reichen, werden noch einmal Kreditbürgschaften in Höhe von 25 Milliarden angeboten. Boeing und die Zulieferindustrie wollen zusätzlich 60 Milliarden erhalten.

Die amerikanischen Airlines können angesichts dieser Aussichten ihr Glück kaum fassen und loben die Regierung und den Kongress in höchsten Tönen. Vor der Krise ging es ihnen blendend: Sie haben in den vergangenen fünf Jahren regelmäßig rund die Hälfte des Gewinns der gesamten Branche gemacht, das meiste davon aber in Aktienrückkäufe und Dividenden gesteckt. Das wäre den Konkurrenten in Europa und Asien ja noch einigermaßen egal. Doch Delta hat das Geld auch dazu genutzt, um einen Weltkonzern aufzubauen, mit Beteiligungen unter anderem an Virgin Atlantic, Air France-KLM, China Eastern, Latam Airlines aus Chile und Aeroméxico. Delta ist damit zu einer ernsten Bedrohung selbst für so große Konkurrenten wie Lufthansa geworden. Und nun?

Bekommen die Kleinen etwas, wollen auch die Großen Geld von den Regierungen. Ein Dilemma

Laut einer Analyse von Bernstein Research steht keiner der großen europäischen Anbieter unmittelbar vor dem finanziellen Kollaps. Air France-KLM hat demnach aktuell liquide Mittel für 14 Wochen, Lufthansa für 17 Wochen und die International Airlines Group, Konzernmutter von British Airways, Iberia, Aer Lingus, Vueling und Level, für 31 Wochen. Die großen Billigfluggesellschaften stehen sogar noch besser da: Easyjet hat demnach Geld für 53 Wochen, Ryanair für 106 und Wizz Air gar für 144 Wochen. Darin nicht eingerechnet sind zusätzliche Kredite oder Anleihen, die die Unternehmen verhandeln und platzieren können. Die Lufthansa etwa besitzt den Großteil ihrer 760 Flugzeuge und könnte diese als Sicherheiten verwenden.

Gleichzeitig aber stehen deren Konkurrenten ohne staatliche Hilfen womöglich vor dem Aus. Der Reisekonzern TUI mitsamt TUIfly hat bereits die Zusage für Unterstützung bekommen, Condor hat um weitere Kredite gebeten. Und in England hat Virgin Atlantic staatlich garantierte Darlehen gefordert. Müssten da nicht Lufthansa oder IAG auch Finanzspritzen beantragen - nur, weil die Konkurrenz sie auch bekommt? Auch die drei großen Airlines vom Persischen Golf - Qatar Airways, Etihad und Emirates - dürften frisches Kapital bekommen, die großen chinesischen Staatscarrier sowieso und viele andere auch.

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SZ vom 01.04.2020
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