Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Schlüsselrolle

Der deutsche Luftverkehr ändert sich rasant, bald gibt es nur noch eine große Airline. Und das wird enorme Konsequenzen für alle Beteiligten mit sich bringen.

Von Jens Flottau

Normalerweise sind die Präsidiumssitzungen des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrsindustrie (BDL) ein Anlass, um sich distinguiert zu besprechen und gemeinsame Lobbypläne zu schmieden. Gegen die Luftverkehrssteuer, aus Sicht der Branche allzu rigide Nachtflugverbote und natürlich immer für bessere Infrastruktur. Doch als BDL-Chef Stefan Schulte, Chef der Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport, auftauchte, ging es dem Vernehmen nach hoch her: Condor-Chef Ralf Teckentrup, so heißt es, beschimpfte ihn recht wüst. Zuvor hatte schon der nicht zum Aufbrausen neigende Lufthansa-Chef Carsten Spohr alle Disziplin aufbringen müssen, um nicht öffentlich über den Fraport-Chef herzuziehen.

Schulte hatte es aus Sicht von Teckentrup und Spohr gewagt, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Er hatte die irische Billigfluggesellschaft Ryanair mit so günstigen Gebühren angelockt, dass die Airline alle guten Vorsätze fallen ließ und entgegen aller vorherigen öffentlichen Aussagen nun doch den eigentlich teuren Frankfurt Flughafen anfliegen wird.

Ryanair in Frankfurt, nichts könnte die Umwälzungen in der deutschen Luftverkehrsbranche besser symbolisieren. Über viele Jahrzehnte haben mehr oder weniger die gleichen Anbieter den Markt dominiert und es so geschafft, Gesellschaften wie Ryanair und Easyjet zumindest ein wenig auszubremsen. Doch nun zeigt sich, dass es letztlich alles nichts nützt, der Sektor wird sich nach Jahren der strukturellen Stagnation in den nächsten Jahren voraussichtlich deutlich verändern.

Schuld daran ist auch, aber natürlich nicht nur, Ryanair. Vielmehr haben es die beiden großen deutschen Anbieter Lufthansa und Air Berlin über lange Zeit nicht geschafft, sich umzustellen. Die große Lufthansa hat mit ihren gewaltigen finanziellen Möglichkeiten und den mächtigen Langstreckendrehkreuzen in Frankfurt und München mehr Luft und setzt darauf, mit Eurowings eine effizientere Billigsparte hochzuziehen als die teure Germanwings. Doch mit Air Berlin gibt es ein prominentes Opfer, selbst wenn Teile des Unternehmens auch nach der geplanten Aufspaltung weiterexistieren werden. In Deutschland wird es künftig nur noch eine große Fluggesellschaft geben (Lufthansa und ihr Billigableger Eurowings), daneben Spezialanbieter wie Condor und womöglich die Rest-Air-Berlin, zugleich werden Ryanair und Easyjet immer stärker auf den Markt drängen und sich immer größere Anteile davon sichern.

Juli 2007. Der US-Flugzeughersteller Boeing hatte zum Barbecue geladen auf einer schönen Terrasse, von der aus man die Startbahn des Werksflughafens Everett nördlich von Seattle und die riesigen Montagehallen überblicken konnte. Plötzlich tauchte auf der fröhlichen Party Joachim Hunold auf, der damalige Air-Berlin-Chef. Er strahlte, weil die Überraschung geglückt war - mit ihm hatte hier niemand gerechnet. Doch Hunold feierte nicht nur, er kaufte auch noch ein. 25 Boeing 787 Dreamliner sollten künftig für seine Air Berlin fliegen, um der großen Lufthansa endlich Konkurrenz zu machen. Was für einen besseren Zeitpunkt hätte es geben können, als dies am Vorabend des Rollout des ersten Prototypen zu verkünden?

Hunold war damals, trotz des eher missglückten Börsenganges im Jahr zuvor, beseelt von der Idee, mit den ganz Großen der Branche mithalten zu wollen. Er kaufte neue Langstreckenflugzeuge, übernahm die DBA und LTU und warf das alte Geschäftsmodell über den Haufen. Im Nachhinein betrachtet, war es der Anfang vom Ende. Air Berlin hatte sich auf eine Strategie eingelassen, die sie selbst nicht verstand, weil die eigenen Leute vor allem in der Ferienfliegerei zu Hause waren. LTU und DBA wurden, zum Teil bis heute, nicht gut integriert, und so stiegen die einst günstigen Kosten der Air Berlin sukzessive. Doch Hunold wollte mehr, er trat der Oneworld-Allianz bei, die von ihren Mitgliedern ebenfalls teure Mindeststandards erwartet, begann komplexe Umsteigeprodukte anzubieten. Mit einer einzigen Ausnahme schrieb Air Berlin seither rote Zahlen.

Als es um 2011 schon schlecht stand, wollte Air France-KLM Air Berlin kaufen, doch Hunold wollte nicht die Kontrolle über sein Lebenswerk verlieren. Er verlor sie doch, musste zurücktreten und zusehen, wie Nachfolger Hartmut Mehdorn Etihad Airways an Bord holte. Ein Anteilseigner, der strategisch nicht zu Air Berlin passt und ihr dennoch seither mit Unsummen das Überleben gesichert hat. Doch auch all die Zuschüsse aus Abu Dhabi haben nichts geholfen. Unter dem Anfang 2015 als Retter angetretenen Konzernchef Stefan Pichler sind die Zahlen noch schlechter geworden. Zuletzt musste Air Berlin gar für das dritte Quartal, in dem Fluggesellschaften normalerweise immer Geld verdienen, einen Verlust ausweisen. Nun soll das Unternehmen in drei Teile aufgespalten werden: Ein Teil fliegt bald für Lufthansa/Eurowings, ein weiterer vielleicht mit Tuifly und der Rest unter der alten Marke mit Etihad.

Doch auch im Lufthansa-Konzern hat sich seit Langem angedeutet, dass die bisherige Strategie nicht mehr aufgeht. Zwar ließ Lufthansa ihren ersten Billigableger Germanwings schon von 2002 an fliegen, doch im Laufe der Jahre importierte sie zur großen Verzweiflung des Germanwings-Managements immer mehr Kosten. So wurden etwa die Germanwings-Piloten in den Konzerntarifvertrag aufgenommen, spätestens da war es vorbei mit Low-Cost.

Eurowings, der neue Versuch, ist als Verteidigungsmaßnahme und taktisches Mittel zu verstehen. Wenn es gelingt, unter Eurowings möglichst viel Masse zu verbauen, also Germanwings, Teile von Air Berlin, Sun Express, die alte Regionalfluggesellschaft gleichen Namens, dann ist weniger Raum für Ryanair und Easyjet. Und gleichzeitig ist Eurowings reale Drohkulisse nach innen: Wenn die Lufthansa-Piloten nicht zu Konzessionen bereit sind, dann wird eben Eurowings immer größere Teile des Flugprogramms übernehmen und der alte Lufthansa-Kern weiter schrumpfen, so wie er das schon seit etwa vier Jahren tut.

Die große Gefahr ist, dass auch Eurowings zu komplex ist und zu teuer operiert. Und vielleicht wird ja dann doch noch der Wunsch von Ryanair-Chef Michael O'Leary wahr, die europäischen Zubringerdienste für Lufthansa und andere große Anbieter zu übernehmen. Selbst Lufthansa-Chef Spohr wollte das nicht mehr ausschließen, falls Eurowings ein Misserfolg wird. Spätestens damit wäre die Neuordnung des Sektors vollzogen.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2016
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