Krieg in der Ukraine:Die russische Luftfahrt zerfällt

Krieg in der Ukraine: Flug gestrichen: Die IT-Dienstleister Sabre und Amadeus, die die Buchungskapazitäten praktisch aller Airlines auf ihren Systemen vertreiben und damit Reisebüros und Online-Portalen zugänglich machen, haben die staatliche Aeroflot aus dem Programm genommen.

Flug gestrichen: Die IT-Dienstleister Sabre und Amadeus, die die Buchungskapazitäten praktisch aller Airlines auf ihren Systemen vertreiben und damit Reisebüros und Online-Portalen zugänglich machen, haben die staatliche Aeroflot aus dem Programm genommen.

(Foto: Mario Tama/AFP)

Bis Ende des Monats wollen ausländische Leasingunternehmen rund 600 Flugzeuge aus Russland abziehen. Auf Dauer werden die russischen Fluggesellschaften ihren Flugbetrieb so nicht aufrechterhalten können.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Am Freitagvormittag geschah Ungewöhnliches im polnischen Luftraum. Um kurz nach zehn Uhr Ortszeit tauchte dort ein Airbus A321 der russischen Fluggesellschaft Aeroflot auf. Bei Warschau drehte das gut vier Jahre alte Flugzeug mit der Registrierung VP-BKJ Richtung Süden ab und begann kurz vor der ungarischen Grenze, aus der Flughöhe von 36 000 Fuß (etwa 12 000 Meter) zu sinken. Um 11.11 Uhr landete der Airbus in Budapest.

Seit dem Sonntag vergangener Woche ist der Luftraum der Europäischen Union für russische Flugzeuge eigentlich gesperrt. Die Maßnahme ist Teil der internationalen Wirtschaftssanktionen, die Druck auf die russische Regierung ausüben sollen, den Krieg in der Ukraine schnellstmöglich zu beenden. Ausgenommen sind nur einige wenige Verbindungen, mit denen Russen in die Heimat geholt werden sollen. Kein Zufall war wohl, dass Aeroflot genau dieses Flugzeug nach Budapest geschickt hat. Es gehört der russischen Sberbank Leasing. Es bestand deswegen keine Gefahr, dass es im Ausland beschlagnahmt werden würde.

Aeroflot ist aus den Systemen der Buchungsdienstleister rausgeflogen

Das kann man für knapp 600 andere Flugzeuge, die die russischen Fluggesellschaften normalerweise einsetzen, nicht behaupten. Leasingverträge für Flugzeuge fallen unter die Sanktionen für westliche Technologie und müssen der EU zufolge umgehend gekündigt werden. Bis zum 28. März, also in gut drei Wochen, sollen alle Maschinen beschlagnahmt oder ausgeflogen worden sein. Damit wären russische Airlines, die traditionell stark auf Leasing setzen, mit einem Schlag einen Großteil ihrer Flotte los. Hinzu kommt: Die IT-Dienstleister Sabre und Amadeus, die die Buchungskapazitäten praktisch aller Airlines auf ihren Systemen vertreiben und damit Reisebüros und Online-Portalen zugänglich machen, haben die staatliche Aeroflot aus dem Programm genommen. Wegen des Ukraine-Krieges zerfällt die russische Zivilluftfahrt, zumindest in der Theorie.

Wie die Praxis aussehen wird, muss sich erst noch zeigen. Die westlichen Leasingfirmen befürchten, dass die nächsten Monate, vielleicht sogar Jahre, sehr unerfreulich sein werden. Es sei denkbar, dass sie in großem Stil Abschreibungen vornehmen müssten, weil sie an die Maschinen de facto nicht herankämen oder die Jets am Ende in so jämmerlichem Zustand seien, dass ihre Reparatur nicht mehr wirtschaftlich sei, schrieb Jamie Baker, Analyst bei der Investmentbank JP Morgan.

Die Befürchtungen beziehen sich auch auf eine Äußerung des russischen Wirtschaftsministeriums. Die Behörde hatte mitgeteilt, sie werde alles versuchen, um die Flugzeuge im Land zu halten, und sie zur Not "verstaatlichen", was auch immer das genau bedeutet. Die russische Regierung könnte, so befürchten westliche Leasing-Firmen, den russischen Airlines schlicht verbieten, die Flugzeuge zurückzugeben.

Alternativen zu Flugzeugen aus dem Westen haben die russischen Fluglinien kaum

Die Liste der nahenden Probleme ist lang. Auf ihr steht unter anderem der Versicherungsschutz, der nach dem denkbaren Bruch der Verträge nicht mehr gültig wäre. Vor allem aber haben alle westlichen Hersteller angekündigt, keine Ersatzteile mehr zu liefern oder Reparaturen anzubieten. Üblicherweise stellen Airlines in einer solchen Lage einen Teil ihrer Maschinen auf den Boden und nutzen sie als Ersatzteillager, zu beobachten ist das seit Jahrzehnten im mit Sanktionen belegten Iran. Damit können die Fluggesellschaften den anderen Teil der Flotte länger fliegen lassen. Allerdings wird es auf jeden Fall unmöglich sein, auch nur die Inlandsflüge im gegenwärtigen Umfang aufrechtzuerhalten.

Alternativen haben die russischen Fluglinien kaum. Der Sukhoi Superjet ist zu klein und wird nur in geringen Stückzahlen gebaut, zudem hat er zahlreiche Komponenten, die von westlichen Lieferanten beigesteuert werden. Eine russifizierte Version soll erst 2023 zugelassen werden. Der russische Airbus A320-Konkurrent MC-21 durchläuft gerade sein Testprogramm mit heimischen Triebwerken und soll erst 2024 erstmals ausgeliefert werden.

Fraport lässt die Aktivitäten in St. Petersburg ruhen

Wie auch in anderen Branchen stellen sich in der Luftfahrt viele Investoren mittlerweile die Frage, wie sie überhaupt jemals wieder in Russland Geschäfte machen können und wie sie das Geld, das sie bis jetzt dort ausgegeben haben, wieder zurückholen können. Der Flughafenbetreiber Fraport etwa ist mit 25 Prozent an dem Konsortium Northern Capital Gateway beteiligt, das den Flughafen Pulkowo von St. Petersburg betreibt. Nun teilte Fraport mit, man lasse "die Geschäftsaktivitäten in St. Petersburg ruhen". "Der Angriff russischer Streitkräfte auf die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen", sagte Vorstandschef Stefan Schulte. "Wir verurteilen diesen Krieg als das, was er ist: ein bewaffneter Angriff auf einen souveränen Staat und dessen Volk, ein klarer Bruch des Völkerrechts, der unsägliches Leid über die Menschen in der Ukraine bringt."

Ähnliche Themen haben auch andere. Boeing etwa betreibt ein großes Trainingszentrum in Moskau, zudem ein Büro für Ingenieursdienstleistungen. Auch Airbus hat kleine Gemeinschaftsunternehmen mit russischen Partnern. Und wie wird die Sky-Team-Allianz, der auch Delta Air Lines und Air France-KLM angehören, künftig mit ihrem Mitglied Aeroflot umgehen?

Der Aeroflot-Airbus ist übrigens dann nach gut zwei Stunden am Boden um 13.27 Uhr Ortszeit in Budapest gestartet und nach knapp zweieinhalb Stunden wieder in Moskau gelandet. Viele solcher Flüge wird er wohl nicht mehr absolvieren können.

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