Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Das Fliegen hat seinen Charme verloren

Zum Shopping nach New York, zum Ausspannen auf die Malediven: Fliegen ist längst nichts Elitäres mehr, Tickets sind für fast jeden erschwinglich. Den Preis dafür zahlt jedoch der Passagier.

Kommentar von Caspar Busse

So lange ist es noch gar nicht her, da war Fliegen für viele noch etwas Besonderes. In den Fünfziger- oder Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts machten sich Passagiere noch fein, wenn sie ein Flugzeug bestiegen. Sie hatten genügend Platz und wurden von der Crew umsorgt. Doch dann setzte ein, was manche als die "Demokratisierung des Fliegens" bezeichnen. Reisen mit dem Flugzeug wurde für fast alle erschwinglich, die Welt rückte zusammen, der Luftverkehr nahm einen beispiellosen Aufschwung. Heute gibt es Flüge für 15 Euro innerhalb Europas und für wenige Hundert Euro in die USA oder nach Asien. Nicht selten ist schon die Taxifahrt zum Flughafen teurer als das Flugticket.

Ist das normal? Ist Fliegen zu billig geworden? Umweltschützer würden sagen: durchaus. Der rasant wachsende Luftverkehr produziert enorme Mengen von Treibhausgasen, die Umwelt wird belastet, die Menschen leiden unter dem Lärm. Die günstigen, teilweise subventionierten Ticketpreise tragen noch zu einem weiteren Anstieg des Luftverkehrs bei. Zum Shopping nach New York, zum Ausspannen ein paar Tage auf die Malediven, mal eben nach Manchester - all das ist heute möglich. Aus Sicht vieler Passagiere kann es gar nicht günstig genug sein, wenn sie beispielsweise mit der Familie in den Urlaub fliegen wollen.

Alle leiden unter so niedrigen Preisen - auch die Kunden

Die Luftfahrt ist heute eine Massenveranstaltung geworden und in eine verhängnisvolle und gefährliche Billigfalle geraten, unter der inzwischen alle leiden: die Unternehmen selbst, die Mitarbeiter - und auch die Kunden. Es ist wie in einem Strudel, der alle immer weiter nach unten zieht.

Der Preiswettbewerb ist härter denn je, fast alle Fluggesellschaften versuchen mitzuhalten und verfolgen inzwischen einen gnadenlosen Sparkurs. Unternehmen wie Air Berlin oder Alitalia stehen finanziell kurz vor dem Aus und machen trotzdem irgendwie weiter. Etablierte Anbieter wie Lufthansa oder Air France-KLM suchen neue Geschäftsmodelle und gründen Billig-Töchter. Das spüren auch die Mitarbeiter. Der Druck auf sie wird größer, die Gehälter stagnieren oder sinken sogar, die Tarifauseinandersetzungen nehmen zu. So wollten etwa die Lufthansa-Piloten lange nicht auf ihre (durchaus üppigen) Privilegien verzichten. Billig-Airlines wie Ryanair beschäftigen Piloten derweil schon auf Stundenbasis, ein zweifelhaftes Arbeitsmodell.

Aus dem Traum vom Fliegen ist ein Albtraum geworden

Leidtragende sind aber auch die Passagiere, aus dem Traum vom Fliegen wird nicht selten ein Albtraum. Der Service (sollte es ihn überhaupt noch geben) wird immer schlechter, die Sitzreihen dafür werden immer enger. Die Fluggesellschaften werden gleichzeitig rabiater, zuletzt ging der Fall eines Passagiers von United Airlines um die Welt, der von Sicherheitskräften aus dem Flugzeug gezerrt wurde, weil er in einer überbuchten Maschine Platz machen sollte. Dazu kommen Verspätungen, Flugabsagen, Schlangen auf den überfüllten Flughäfen, genervte Mitarbeiter. Die Maschinen werden um jeden Preis vollgemacht, denn jeder leere Sitzplatz ist ein Verlust.

Den Passagieren wird viel zugemutet. Dazu kommt ein immer unübersichtlicher werdendes Tarifdurcheinander, in dem sich kaum noch jemand zurechtfindet. Die wahren Preise werden verschleiert: Wenn der Passagier Gepäck aufgeben will, muss er inzwischen fast überall extra zahlen, Sitzplatzwünsche kosten meist. Umbuchungen oder Stornierungen sind, wenn überhaupt, nur gegen hohe Gebühren möglich. Es ist ein Dilemma. Denn am Ende wird Billigfliegen dann doch ziemlich teuer - und zwar für alle Beteiligten.

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SZ vom 06.05.2017/vit
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