Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Albträume in Le Bourget

Der Zollstreit zwischen den USA und Europa überschattet die Luftfahrtmesse, während der Konflikt um illegale Staatshilfen für Boeing weiter schwelt. Airbus hofft derweil auf einen Eurofighter-Nachfolger.

Von Jens Flottau, Paris

Dirk Hoke, Vorstand für Verteidigung und Raumfahrt bei Airbus, wollte nicht zu viel verraten. Nur so viel: in der kommenden Woche werde es bei der Paris Air Show gute Neuigkeiten geben, sagte er bei einem Empfang. Und die könnten so aussehen: Am Montag verkünden die deutsche und die französische Regierung, dass sie sich beim geplanten gemeinsamen Kampfflugzeugsystem FCAS auf den nächsten Entwicklungsschritt geeinigt haben und die Industrie damit in konkretere Planungen einsteigen kann. FCAS soll einmal Maschinen wie den Eurofighter ersetzen, es ist das Multi-Milliardenprojekt, auf dem ein großer Teil der Wachstumsfantasien der europäischen Verteidigungsindustrie beruht.

Die Frage ist nur, wie sehr der schöne Schein, der von der Messe am Flughafen Le Bourget vermittelt wird, trügt. Denn es besteht die sehr reale Gefahr, dass das Projekt durch politische Konflikte zumindest verzögert, wenn nicht gar verhindert wird. Wie überhaupt die wichtigste Messe der Luftfahrtbranche überschattet ist von politischem Streit, der nicht nur die Verteidigungssparten erfasst: Im Zivilgeschäft droht ein Handelskonflikt mit den USA, den Airbus-Chef Guillaume Faury als "Desaster für alle" bezeichnet, wenn er sich nicht doch noch verhindern lässt. Und die Branche schaut gebannt auf die Entscheidung, wer der nächste Premierminister Großbritanniens wird und ob dieser einen harten Brexit verfolgt, der die integrierte Struktur der europäischen Flugzeugindustrie zersetzen könnte.

FCAS steht für Future Combat Air System und soll aus einem neuen Kampfflugzeug, Drohnen und für die Integration nötige Infrastruktur bestehen. Der Grundgedanke ist, dass Deutschland und Frankreich dieses Mal zusammenarbeiten und nicht wieder konkurrierende Maschinen wie den Eurofighter und die Rafale (Dassault) entwickeln. Das Projekt weiterzuverfolgen setzt auch voraus, dass sich die beiden Länder auf gemeinsame Exportrichtlinien einigen. Hier liegt aber derzeit ein großer Konfliktherd: Anders als Frankreich verweigert Deutschland Exporte nach Saudi-Arabien, wegen der mutmaßlichen Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi. Es geht vor allem um ein von Airbus entwickeltes Grenzsicherungssystem.

"Wenn dies nicht gelöst wird, wird keines der französisch-deutschen Projekte umgesetzt werden", befürchtet Hoke. Dies werde "drastische Folgen" für die europäische Industrie haben. Hoke glaubt, dass die Fragen "bis Mitte nächsten Jahres geklärt" werden müssen. Doch die aktuelle Bundesregierung ist in dem Punkt uneinig, und es ist fraglich, ob sie Mitte nächsten Jahres überhaupt noch im Amt ist.

Im Zivilgeschäft droht der große Konflikt schon früher. Seit 2004 streiten die Europäische Union und die USA über angeblich illegale Staatshilfen in zwei separaten Verfahren vor der Welthandelsorganisation (WTO). 15 Jahre später nähern diese sich ihrem Abschluss - die WTO hat auf beiden Seiten mehr oder weniger gravierende Verstöße gegen die Regeln gefunden. Das Verfahren gegen die EU und Airbus ist etwa neun Monate weiter fortgeschritten - die USA könnten auf dessen Basis Strafzölle gegen Airbus-Importe verhängen. "Wir beginnen, dies als ernste Bedrohung wahrzunehmen, glauben aber, dass sie sich noch verhindern lassen", so Faury in einem Interview.

Faurys Albtraum wäre, dass die USA in den nächsten Monaten Zölle einführen würden, die amerikanische Fluggesellschaften bezahlen müssten, wenn sie Airbus-Jets übernehmen. Europa könnte erst im Jahr 2020 reagieren, wenn das von der EU angestoßene Verfahren gegen die USA und die Boeing-Hilfen abgeschlossen ist. "Es ist ein Spiel, in dem es kurzfristig auf der einen oder anderen Seite Gewinner gäbe, aber am Ende wäre es für alle ein Desaster. Europa würde zurückschlagen, kein Beteiligter würde es akzeptieren, mit Zöllen bestraft zu werden, ohne das Gleiche zu tun und die Sache weiter zu eskalieren", sagt er. Doch ein Blick auf die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump, bei der die Drohung mit Strafzöllen eine wichtige Rolle spielt, lässt aus Sicht von Airbus nichts Gutes erahnen.

Die Unsicherheit in der Luftfahrt erstreckt sich mittlerweile aber nicht nur auf das politische Umfeld. Sowohl Boeing als auch Airbus haben seit Jahresbeginn mehr Stornierungen als neue Aufträge bekommen. Boeing leidet unter zwei Sonderfaktoren: Der Konzern musste eine Großbestellung der indischen Jet Airways für mehr als 100 Flugzeuge aus dem Bestand nehmen - Jet hat den Flugbetrieb aus Geldmangel eingestellt. Vor allem aber überschattet bei Boeing weiterhin das Flugverbot für die 737 Max alles andere. Der Konzern hat der Aufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) immer noch nicht die endgültige Software-Version des Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) vorgelegt. MCAS hat mutmaßlich die zentrale Rolle bei zwei Max-Abstürzen gespielt, bei denen 346 Menschen ums Leben gekommen sind. Es gibt zwar Indizien, dass die FAA das Flugverbot im Juli aufheben könnte. Doch andere Behörden wie die European Aviation Safety Agency (EASA) haben sich vorbehalten, das System selbst eingehend zu prüfen. Und selbst die großen amerikanischen Fluggesellschaften planen nun bis September ohne ihre Max-Flotten.

Auch bei Airbus herrscht derzeit Auftragsflaute - Verkaufsvorstand Christian Scherer zufolge wird sich das allerdings beim Aerosalon im Laufe der Woche ändern. Insbesondere Aufträge für die Kurz- und Mittelstreckenmaschine A220 (ehemals Bombardier C-Series) und den Langstreckenjet A330neo werden erwartet. Vor allem aber wird Airbus wohl noch eine neue Variante der äußerst erfolgreichen A320neo-Familie starten. Die A321XLR soll eine Reichweite von bis zu 4600 nautischen Meilen haben. Das entspricht rund 8500 Kilometern oder zehn Stunden Flugzeit und reicht für Verbindungen von Europa bis in den Mittleren Westen der USA. Airbus glaubt, mit dem Flugzeug den Transatlantikmarkt revolutionieren zu können, weil mit dem relativ kleinen Jet (rund 200 Sitze in der Konfiguration für Langstrecken) Strecken möglich werden, die für Großraumflugzeuge ein zu geringes Passagieraufkommen haben. Es wäre ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr sich die Strategie für das Segment geändert hat. Erst im Februar hat Airbus beschlossen, den unrentablen Riesen-Jet A380 einzustellen.

2023 oder 2024 könnte die XLR fertig entwickelt sein. Damit stünde das Flugzeug mehrere Jahre vor dem geplanten New Mid-Market Airplane (NMA) zur Verfügung, das Boeing derzeit vorbereitet und das mit der XLR konkurriert. Ursprünglich galt es als denkbar, dass Boeing den offiziellen Programmstart in Le Bourget verkünden würde. Doch das war vor der Max-Krise. Jetzt droht sich NMA zu verzögern, immer mehr Experten glauben, der ursprüngliche Termin 2025 lasse sich nicht mehr halten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4488414
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.