Luftfahrt:Air Berlin außer Kontrolle

Hunderte Piloten von Air Berlin melden sich plötzlich krank, viele Flüge fallen aus. Das bringt den ganzen Betrieb in Gefahr: Wenn die Mitarbeiter nicht zurückkommen, kann der Verkauf scheitern.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Bankrupt Air Berlin Faces Breakup And Sale

Ein Foto, das ein Andenken werden könnte: Ein Flugzeug von Air Berlin hebt ab. Manche Passagiere saßen am Dienstag schon an Bord, als sich die Piloten krankmeldeten.

(Foto: Adam Berry/Getty Images)

Die Lage der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin gerät weiter außer Kontrolle. Nachdem sich am Dienstag rund 200 Piloten kurzfristig krankgemeldet haben, musste Air Berlin zahlreiche Flüge streichen und warnte eindringlich vor dramatischen Folgen. "Die heutigen Ereignisse gefährden das gesamte Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung massiv", so der Generalbevollmächtigte Frank Kebekus. "Wenn sich die Situation nicht kurzfristig ändert, werden wir den Betrieb und damit jegliche Sanierungsbemühungen einstellen müssen."

Air Berlin hatte Mitte August einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt. Mögliche Käufer haben bis diesen Freitag Zeit, verbindliche Angebote für das Unternehmen oder Teile davon abzugeben. Der Gläubigerausschuss plant derzeit, am 21. September zu entscheiden, wer den Zuschlag bekommt. Nur die Zusage der Bundesregierung, einen Brückenkredit von 150 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, verhinderte, dass Air Berlin bereits Mitte August den Betrieb einstellen musste. Die erste Tranche wurde am vergangenen Freitag ausgezahlt.

"Heute ist ein Tag, der die Existenz der Air Berlin bedroht", schreibt die Airline

Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann machte deutlich, dass die Ausfälle "mehrere Millionen Euro kosten". Das Management führe gerade "finale Gespräche" mit möglichen Investoren. Ein stabiler Flugbetrieb sei "die zwingende Voraussetzung für ein Gelingen dieser Verhandlungen". Unter anderem wollen Sachwalter Lucas Flöther und Kebekus, die das Insolvenzverfahren leiten, unbedingt eine Pleite der Tochtergesellschaften LGW und Niki verhindern, die verkauft werden sollen und deswegen für den Übergang eine zentrale Rolle spielen. Außerdem muss Air Berlin versuchen, die Start- und Landezeiten an den Flughäfen zu erhalten. Diese würden bei einer längeren Betriebseinstellung an den Flughafenkoordinator zurückfallen und damit die Übernahme durch die Investoren unmöglich machen.

Der Zeitdruck, eine Lösung zu finden, ist deswegen enorm - und steigt nun durch die Aktion der Piloten noch. Air Berlin muss deswegen darauf hoffen, dass die Europäische Kommission als wahrscheinlich zuständige Wettbewerbsbehörde dem Übergang zu neuen Anbietern schnell zustimmt und die Auflagen für die Interessenten für diese erträglich bleiben. Dem Vernehmen nach gibt es bereits informelle Kontakte, durch die im Vorfeld möglichst viel geklärt werden soll. SZ-Informationen zufolge kann Lufthansa damit rechnen, einen großen Teil der derzeitigen Air Berlin-Flotte bei der Tochterfirma Eurowings integrieren zu können. Auch Easyjet und Condor bekommen womöglich Zugriff auf Teile, in deren Fall wäre die wettbewerbsrechtliche Bewertung weitgehend unkritisch.

Mit dem wilden Streik am Dienstag tritt nun aber das ein, was die Insolvenzverwaltung unbedingt verhindern wollte - ein nicht mehr kontrollierbarer Zerfall. Erst am Montag sah sich Air Berlin gezwungen, von Ende September an zwei Drittel der Langstreckenflüge zu streichen, nachdem die Leasingfirma Aer-Cap zehn Maschinen des Typs Airbus A 330 nicht mehr zur Verfügung stellen wollte. Aus Kundensicht wird das Angebot von Air Berlin immer schlechter, auch ohne Flugstreichungen: Das Vielfliegerprogramm Topbonus ist bereits de facto abgeschafft. Verbraucherschützer raten mittlerweile, bei Air Berlin kein Gepäck mehr aufzugeben, denn im Schadensfall sei unklar, ob Ansprüche noch beglichen würden. Bei Ausfällen sollten Flüge besser nicht erstattet, sondern umgebucht werden, das Risiko, nicht mehr an sein Geld zu kommen, sei sehr hoch.

Air Berlin musste bereits am Dienstag-morgen für den Tag rund 100 Flüge streichen. Auch viele Eurowings-Verbindungen waren betroffen, denn Air Berlin betreibt 38 Flugzeuge in Auftrag der Lufthansa-Tochter. Dem Vernehmen nach meldeten sich viele Piloten noch auf dem Weg zum Flugzeug krank, teilweise zu einem Zeitpunkt, als die Passagiere schon an Bord waren. "Heute ist ein Tag, der die Existenz der Air Berlin bedroht", schrieb Flottenchef Oliver Iffert. Wie genau es zu dem wilden Streik gekommen ist, ist im Detail von außen kaum zu rekonstruieren. In Pilotenkreisen hieß es, die Krankmeldungen seien eine Reaktion darauf, dass Air Berlin am Montag Verhandlungen über einen Sozialplan abgesagt habe. Diese Darstellung wird auf Unternehmensseite aber bestritten. "Wir können uns darauf überhaupt keinen Reim machen", hieß es. Verhandlungen über einen Sozialplan seien nie vorgesehen gewesen. Allerdings seien für Dienstag informelle Gespräche angesetzt worden, wie der Übergang zu neuen Arbeitgebern organisiert werden könne. Die Piloten von Tuifly hatten in einer ähnlichen Aktion vor knapp einem Jahr den Flugbetrieb lahmgelegt, um gegen die damals geplante Fusion mit der Air-Berlin-Tochter Niki zu protestieren. Lufthansa bietet Air-Berlin-Piloten, die ihren Job verlieren, neue Arbeitsplätze bei ihrer Billigtochter Eurowings zu den dort geltenden Tarifbedingungen an. Sowohl Kapitäne als auch Copiloten werden eingestellt. Eurowings-Piloten verdienen allerdings deutlich weniger. Ein langjähriger Air-Berlin-Kapitän sagte, viele Kollegen seien zu Zugeständnissen bereit, wollen aber die Eurowings-Bedingungen nicht akzeptieren. Eurowings hat nach eigenen Angaben schon zahlreiche Bewerbungen auf offene Stellen erhalten. Lufthansa, Easy-jet und Condor wollen verhindern, dass sie den Air-Berlin-Piloten die gleichen Gehälter wie bisher zahlen müssen. Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) distanzierte sich vom Vorgehen der Piloten. "Wir fordern die Angestellten auf, den Flugbetrieb sicherzustellen", so VC-Vorstand Markus Wahl. "Es ist extrem wichtig, dass der Flugbetrieb weiterläuft." Anderenfalls würden sämtliche Bemühungen, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten, aussichtslos. Aber auch VC machte deutlich, dass ein Sozialplan aus ihrer Sicht der einzige Weg sei, einen fairen Übergang zu organisieren.

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