Lower Class Magazine:Warum das BayernWlan ein linkes Online-Magazin aussperrte

Lower Class Magazine

Die Webseite des linken Medienkollektivs "Lower Class Magazine" war im BayernWlan tagelang nicht erreichbar.

(Foto: Screenshot / lowerclassmag.com)
  • Die Webseite des linken Lower Class Magazine war im BayernWlan tagelang gesperrt.
  • Das Netz aus mehr als 22 000 offenen Hotspots wird von der bayerischen Staatsregierung betrieben.
  • Politische Differenzen spielten bei der Sperre keine Rolle - schuld war ein automatischer Jugendschutzfilter, der auf das Wort Prostitution reagierte.

Von Simon Hurtz

Das Lower Class Magazine (LCM) ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil des Bayernkuriers. 69 Jahre lang verbreitete das CSU-Zentralorgan von München aus die politische Haltung der bayerischen Staatsregierung, bis im vergangenen November die letzte Ausgabe erschien. Die Redaktion des LCM sitzt in Berlin, das Projekt gibt es nur online, und politisch ist es so weit vom Bayernkurier entfernt wie dessen Gründer Franz Josef Strauß vom Klassenkampf, zu dem das Medienkollektiv regelmäßig aufruft.

Ihre Abneigung gegen die CSU, Markus Söder und Horst Seehofer verhehlen die Autoren nicht. Das ist links, aber selbst in Bayern legal. Doch ausgerechnet im BayernWlan, dem offiziellen Hotspot-Netz des Freistaats, war die Webseite des Magazins tagelang nicht erreichbar. Anfang der Woche machte der Twitter-Account des LCM auf die Sperre aufmerksam und vermutete Zensur.

"Ich habe den Tweet gesehen und mir gedacht: Das ist ja komisch, das wäre ja ziemlich krass", sagt Kerem Schamberger. Der Journalist und Kommunikationswissenschaftler loggte sich ins BayernWlan ein und bestätigte kurz darauf: "Sitze hier in der Universität und kann mich in das Söder-Wlan einloggen. LCM ist gesperrt." Andere linke Webseiten wie Indymedia und die Junge Welt seien dagegen zugänglich gewesen. "Ich frage mich schon, wie solche Sperrlisten zustande kommen", sagt Schamberger.

"BayernWlan ist kostenlos und frei zugänglich", teilt eine Sprecherin des zuständigen bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat mit. "Die Nutzung wird lediglich durch einen Jugendschutzfilter vom Anbieter Vodafone eingeschränkt." Auf diesen Filter nehme das Ministerium grundsätzlich keinen Einfluss. Bayern gibt die Verantwortung also komplett an den Provider ab - im Gegensatz etwa zu den Berliner Verkehrsbetrieben, die sich in einem ähnlichen Fall aktiv dafür einsetzten, dass der Hotspot-Betreiber mehrere LGBTQI-Webseiten entsperrt.

Der Freistaat Bayern lässt die mehr als 22 000 Hotspots von Vodafone betreiben. Der Provider bietet ein "Rundum-sorglos-Paket", wie es das zuständige Landesamt auf seiner Webseite bezeichnet. Vodafone stellt die Technik zu Verfügung, wartet die Anschlüsse und garantiert einen "zentralen Jugendschutzfilter mit regelmäßiger Aktualisierung".

"Ich weiß nicht, woran der Jugendschutzfilter Anstoß genommen hat"

Dieses System hat das LCM aus dem BayernWlan ausgesperrt. "Unsere Software hat auf bestimmte Keywords reagiert und angeschlagen", sagt Vodafone-Sprecher Volker Petendorf. Der fragliche Artikel ist ein Gastbeitrag der Autorin Emily Williams. Unter der Überschrift "Prostitution: Warum Sexkauf keine Wohltat ist" antwortet sie auf einen Text in der taz und fordert, Prostitution in Deutschland zu verbieten.

"Ich kann mir das eigentlich nicht erklären", sagt Peter Schaber vom LCM. "Wir haben keinerlei pornografischen Inhalte." Auch andere Medien verwendeten Wörter wie Prostitution, wenn sie über das Thema berichten. "Ich weiß nicht, woran der Jugendschutzfilter Anstoß genommen hat." Tatsächlich taucht das Wort "Sex" zwar 27 Mal auf, besonders jugendgefährdend wirkt der Text aber nicht.

Vodafone verteidigt seine Software: "Die Sperre war kein Fehler, das war durchaus nachvollziehbar und gerechtfertigt", sagt Petendorf. Nachdem sich das LCM beschwerte, habe die Rechtsabteilung den Fall geprüft. Dort sei dann entschieden worden, die Seite wieder aus dem Filter zu nehmen. Das sei aber ein Grenzfall und keine eindeutige Entscheidung gewesen. "Stellen Sie sich das vor wie beim Videobeweis in der Bundesliga. Da ist in der Zeitlupe auch nicht immer klar, ob das jetzt eine rote Karte war oder nicht."

Auch die SZ könnte gesperrt werden

Vodafone habe dann die Augen zugedrückt und das LCM freigeschaltet. Genau für solche strittigen Fälle sei die manuelle Nachkontrolle gedacht. "Die Sperre hat aber definitiv nichts mit politischer Zensur zu tun", sagt Petendorf. Das könne jedem Medium passieren, das ähnliche Inhalte verbreite. "Wir schauen da auch überhaupt nicht auf die Größe oder die politische Ausrichtung. Wenn die SZ etwa eine Kolumne online stellt, gegen die Jugendschützer protestieren, dann könnte die Webseite genauso gesperrt werden."

Um Kinder und Jugendliche vor pornografischen und gewaltverherrlichenden Inhalten zu schützen, arbeitet Vodafone mit dem Anbieter JusProg zusammen. Der Verein erstellt und pflegt Filterlisten, die Privatpersonen, Schulen und gemeinnützige Organisationen kostenlos verwenden können. Unternehmen wie Vodafone und die Telekom bezahlen dafür.

Auf seiner Webseite erklärt JusProg, dass ein mehrköpfiges Rating-Team die gefilterten Seiten prüfe und bearbeite. Es werde durch Software ("Spider") unterstützt, die Webseiten automatisch scanne und nach Schlagworten durchsuche. "Wenn die Spider Websites als potentiell besonders gefährdend einstufen, werden diese Domains auch technisch vorsorglich mit einer passenden Altersstufe auf die Filterliste gesetzt und anschließend den menschlichen Prüfern nach einem ausgefeilten Prioritätensystem zur Nachkontrolle vorgeschlagen", heißt es.

Das Compact-Magazin ist nicht erreichbar

Wie und warum das LCM auf der Filterliste von JusProg gelandet ist, bleibt unklar. Es ist nicht das erste Mal, dass Vodafones Jugendschutzfilter in den Verdacht gerät, aus politischen Gründen Inhalte zu zensieren. Im November wollte ein AfD-Abgeordneter wissen, warum die Webseite des Rechtsaußen-Magazins Compact im BayernWlan nicht erreichbar sei (PDF). "Hat Ministerpräsident Dr. Markus Söder die Einschränkung veranlasst?", fragte er.

Zu solchen Verschwörungstheorien neigt das LCM nicht. "In der Türkei sind wir wegen unserer pro-kurdischen Berichterstattung per Gerichtsbeschluss seit Jahren gesperrt", sagt Schaber. "Deshalb sind wir da so sensibel und erwarten immer das Schlimmste. Aber am Ende scheint es ja wirklich nur ein völlig übereifriger Jugendfilter gewesen zu sein. Fast ein bisschen schade."

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