London:Dabei sein ist alles

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Im Londoner Olympiapark sollen künftig innovative Höchstleistungen aufstrebender Start-ups für Furore sorgen. (Foto: Paul Hackett/Reuters)

Londons Olympiapark beherbergt nun ein riesiges Gründerzentrum: Die Start-up-Szene boomt damit auch außerhalb des Stadtzentrums.

Von Björn Finke, London

Eine junge Frau sitzt vor Computerbildschirmen an einem Tisch. Daneben stehen Kameras. Die sind auf eine Ecke des Saales gerichtet, Lampen an der Decken leuchten diesen hell aus. Der Hintergrund ist bunt, auf dem Boden liegen Hanteln: Hier nehmen Fitnesstrainer ihre Übungen auf. Die Filmchen können sich Abonnenten von Fiit anschauen, einem Londoner Start-up, das über sein Handyprogramm Videos von Fitnesskursen anbietet. Die Firma hat gerade 6,5 Millionen Pfund von Investoren eingesammelt, nach einer Startfinanzierung von 2,4 Millionen Pfund vor anderthalb Jahren. Mehr als 100 000 Nutzer in Großbritannien und Irland haben die Anwendung installiert.

Das Filmstudio und die Büros des Betriebs mit seinen 42 Beschäftigten sind in einem großen Komplex im Olympiapark der Hauptstadt untergebracht - "passend für eine Fitnessfirma", sagt Mitgründer und Chef Daniel Shellard. Und Fiit ist nicht das einzige junge Unternehmen dort. Das frühere Presse- und TV-Zentrum, in dem Journalisten 2012 über die Olympischen Spiele berichteten, haben Immobilienentwickler für gut 150 Millionen Pfund zu einem Campus für Start-ups und etablierte Medien- und Technologiekonzerne umgebaut. "Here East" heißen die Gebäude nun; die Riegel inmitten des hübschen Parks östlich der Innenstadt bieten mehr als elf Hektar Bürofläche. Das entspricht immerhin fast 16 Fußballfeldern: es ist also eine riesige Anlage.

London ist die Start-up-Hauptstadt Europas, daran hat das Hin und Her beim Brexit bisher nichts ändern können. Während der zwei Jahre nach dem EU-Referendum im Sommer 2016 zogen junge Technologieunternehmen an der Themse 4,5 Milliarden Euro Investorengeld an - doppelt so viel wie Berlin und Paris zusammen. Früher siedelten sich Londons Internetfirmen meist in Shoreditch an, einem einst heruntergekommenen Lagerhausviertel nördlich der City, des alten Bankendistrikts. Fintechs, also Finanztechnologie-Betriebe, gehen gern nach Canary Wharf, ins neuere Bankenviertel am Flussufer.

Auch in anderen Teilen der Metropole sind bereits Gründerszenen entstanden

Doch der Boom der vergangenen Jahre hat auch in vielen anderen Teilen der Metropole mit ihren 8,8 Millionen Einwohnern Gründerszenen entstehen lassen. Manche junge Firmen beziehen Büros im Zentrum, etwa im Ausgehviertel Soho oder in der Nähe des Bahnhofs King's Cross, wo der Google-Konzern Alphabet gerade ein gigantisches Gebäude hochzieht. Oder die Gründer suchen weiter außerhalb ihr Glück, allein schon wegen der geringeren Mieten. Zum Beispiel in Croydon ganz im Süden der Stadt. Oder eben im Olympiapark, der sich in einer lange vernachlässigten Gegend Ost-Londons befindet.

Fiit-Chef Shellard sagt, er habe sich anfangs Gedanken gemacht, ob die Randlage talentierte Bewerber für Jobs abschrecken könnte. "Aber das ist kein Problem", sagt der 36-Jährige. Die Bus- und Bahnverbindungen seien gut, und zahlreiche Angestellte seien froh, auf einem Campus in einem schönen Park zu arbeiten anstatt in der Innenstadt. Bisher ist Fiit in Plexal untergebracht. So heißt das 6500 Quadratmeter umfassende Gründerzentrum von Here East, in dem Start-ups einzelne Schreibtische oder kleine Büros mieten können. Die mehr als 150 Betriebe dort haben 1000 Beschäftigte. Die Fitnessfirma zieht allerdings jetzt von Plexal in größere Räume in Here East um. Am Gründerzentrum schätzt Shellard vor allem die vielen Vorträge und Veranstaltungen sowie den Austausch mit anderen Start-ups. "Das ist wirklich hilfreich", sagt der ehemalige Google-Manager.

Neben den jungen Unternehmen in Plexal beherbergt Here East auch Abteilungen von Universitäten, das Studio des bekannten Choreografen Wayne McGregor, die Studios des britischen Fernsehsenders BT Sport sowie Niederlassungen internationaler Konzerne. So hat der Autohersteller Ford hier ein Forscherteam zur Zukunft der Mobilität in Städten angesiedelt. Der Spieleentwickler Sports Interactive und der Online-Modehändler Matchesfashion.com bezogen ebenfalls Räume.

Insgesamt sind gut zwei Drittel der Bürofläche vermietet. "Ich bin zuversichtlich, dass wir in zwei bis drei Jahren komplett voll sind", sagt Gavin Poole, der Chef von Here East. Dann würden mehr als 7000 Menschen in dem Komplex arbeiten oder als Studenten zu Seminaren gehen. Poole sagt, er wolle erreichen, dass es in Here East zu möglichst viel fruchtbarem Austausch kommt - zwischen globalen Konzernen und Start-ups, zwischen einzelnen Gründern, mit Hochschulen. Bei Anfragen von potenziellen Mietern überlege er immer, was diese Firma dem Mix hinzufüge und ob sich die Angestellten wohl einbringen würden, erläutert der Manager: "Wir sagen auch ,Nein' zu Interessenten."

Manche Firmen bekommen eine Absage, weil sie nicht in die Mischung passen

Der anstehende Brexit hat Pooles Geschäfte nicht belastet. "Den Großteil der Bürofläche haben wir sogar erst nach dem EU-Referendum vermietet", sagt er. Fiit-Mitgründer Shellard sagt, der Austritt beunruhige ihn, denn seine Mitarbeiter stammten aus ganz Europa. Doch an seinen Wachstumsplänen ändere das nichts.

Ob es der Brexit schwieriger machen wird, Talente aus Europa anzuheuern, ist eine der größten Sorgen in der Londoner Start-up-Szene. Manche Gründer klagen bereits, es gebe weniger Bewerbungen vom Festland; einige Betriebe haben Abteilungen in andere EU-Staaten verlagert. Aber die meisten Beobachter gehen davon aus, dass die Stadt nach dem Austritt ein Magnet für junge Technologiefirmen bleiben wird - und für etablierte. So investieren die mächtigen amerikanischen Internetkonzerne massiv in die Metropole. Der Büroriegel, den die Google-Mutter Alphabet baut, wird mehr als 5000 Mitarbeiter beherbergen. Rivale Apple will in zwei Jahren eine neue Londoner Zentrale am südlichen Themseufer einweihen, im ausrangierten Kraftwerk Battersea Power Station. Dort sollen 3000 Menschen tätig sein. Facebook und Amazon eröffneten schon 2017 neue Büros.

Zudem soll bis 2023 ein ganzes Viertel für Technologieunternehmen neben dem Finanzdistrikt Canary Wharf entstehen. Dort soll Platz sein für 20 000 Angestellte aufstrebender Firmen.

Die Internetkonzerne und Immobilienentwickler setzen auf London, weil die kosmopolitische Metropole junge, gut ausgebildete Menschen aus aller Welt anlockt. So arbeiten in keiner anderen europäischen Stadt mehr Programmierer. Die Top-Universitäten in London und im nicht weit entfernten Cambridge und Oxford sind ebenfalls attraktiv. Für Start-ups ist auch die Nähe zu den Investoren im Bankenviertel interessant, in Europas wichtigstem Finanzzentrum. Allgemein wird erwartet, dass der Brexit an diesen Vorzügen wenig ändern wird.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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