Logistikbranche:Lkw-Fahrer im Ausnahmezustand

Sie liefern verlässlich Klopapier, Autos, Bananen und halten die Versorgung aufrecht. Die Pandemie trifft die Trucker hart.

Von Nathanael Häfner, München

Christian wäre lieber am Meer, wie vor einigen Wochen an der Küste Kalabriens. Da hat er kurz angehalten, ein Foto gemacht und es seiner Frau geschickt. Dann sei er wieder in seinen Lastwagen gestiegen und weitergefahren, erzählt der 52-Jährige mit leichtem österreichischen Dialekt. "Ich habe Hochachtung vor den Italienern", sagt er. Obwohl die Pandemie die Italiener besonders hart traf, sei das Leben dort für Lkw-Fahrer wie ihn leichter gewesen als in Deutschland. Als die Pandemie im März 2020 begann, schlossen etwa hierzulande viele deutsche Ladestellen ihre Sanitäranlagen. In Italien und anderen Länder habe er das anders erlebt, sagt er. Um keinen Ärger mit seinem Arbeitgeber zu bekommen, will er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Lkw-Fahrer wie Christian stellen sicher, dass in den Supermärkten die Regale voll bleiben, mit Klopapier, Gurken, Bananen, Karotten. Sie sind wichtig für die deutsche Grundversorgung. Der Transport per Lkw machte 2019 gemäß einer Studie des Verkehrsministerium 71,4 Prozent der deutschen Güterversorgung aus. Mehr als 40 Milliarden Kilometer legten Lkws auf deutschen Autobahnen zurück, schätzt das Bundesamt für Güterverkehr, fast zehn Prozent mehr als 2018. Im Corona-Jahr 2020 rechnet das Amt mit einem weiteren Wachstum.

Doch es hakt an allen Ecken und Enden. Schon vor Corona hatte die Branche viele Probleme. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) beklagt 30 000 fehlende Parkplätze, an Autobahnen seien Fahrer oft gezwungen, bis in die Ausfahrt zu parken. Andere versuchen, die Nacht in Industriegebieten in den Vorstädten zu verbringen. Hinzu kommen oft lange Wartezeiten an den Grenzen.

Corona verkompliziert das Leben der Lkw-Fahrer zusätzlich. Wer länger als 72 Stunden durch ein Risikogebiet fährt und nach Deutschland einreist, braucht einen negativen Corona-Test. Bei einem 2500-Kilometer-Trip bedeutet das für den Fahrer, dass er sich unterwegs eine Apotheke für einen Test suchen muss.

Fast überall sonst in der Europäischen Union gibt es Ausnahmen. Die EU-Kommission hatte mit der "Green Lanes"-Initiative im März 2020 versucht, den Lkw-Transport aufrechtzuerhalten. Frachtverkehr sollte demzufolge Grenzen passieren dürfen, Kontrollen pro Fahrzeug sollten nicht länger als 15 Minuten dauern.

Immerhin hat sich die sanitäre Lage verbessert. Mit der "Brummi-Card" können Fahrer kostenlos Toiletten und Duschen des Raststättenbetreibers Tank und Rast nutzen, der mehr als 90 Prozent der Anlagen bewirtschaftet. Nun sind wegen der Pandemie eher in Logistikzentren, in denen Fahrer verladen, die Toiletten geschlossen.

Was den Fahrern mehr denn je fehlt, sind soziale Kontakte. Christian steht an einem kalten, sonnigen Sonntag mit seinem Truck auf dem Autohof 50 Kilometer nördlich von München. Christian setzt seine FFP2-Maske auch an der Rastanlage auf und nimmt sie nur alle halbe Stunde kurz ab, um eine Zigarette zu rauchen. Früher sei es üblich gewesen, sich auszutauschen, Karten zu spielen, einander zu helfen, erzählt er. Heute spreche kaum noch ein Fahrer Deutsch.

Die Logistikbranche befindet sich in einem brutalen Verdrängungswettbewerb. Auch deutsche Unternehmen haben seit der EU-Osterweiterung verstärkt in diesen Ländern Tochtergesellschaften gegründet, um Kosten und Löhne zu drücken. 1,87 Euro beträgt der Mindestlohn in Bulgarien, 3,17 Euro in Kroatien, 2,85 Euro in Ungarn. Viele Fahrer von dort sind oft wochenlang in Deutschland unterwegs. Sie kochen selbst, leben von Konserven, weil sie sich eine Mahlzeit in den Raststätten nicht leisten können.

Dirk Engelhardt vom Branchenverband BGL sieht den Beruf im Wandel. Fahrer würden immer mehr zu Transportmanagern. Sie müssen Ladungen sichern, Fahrten koordinieren, mit komplexen Geräten arbeiten. In der ersten Welle 2020 hätten sich noch viele Menschen mit den Lkw-Fahrern solidarisiert, sagt Engelhardt, der als junger Mann selbst Lastwagen fuhr und heute in Berlin als Professor für Logistik lehrt. "Als überall Klopapier fehlte, hat man die Logistik schon wertgeschätzt. Diese Anerkennung hat sich leider nicht auf die zweite Welle übertragen", stellt er fest.

Auf dem Autohof kommt Christian doch noch mit einem Kollegen ins Gespräch: Frank, 55, lange Haare, vom Leben gezeichnet. Auch er will anonym bleiben. Er besitze weder Smartphone noch Computer, sagt er und deutet auf einen Lastwagen mit Neuwagen auf Rampe. "Niemand fragt sich, wo sein Auto herkommt." Wenn er an der Raststätte ein Schnitzel esse, bedanke er sich auch für die Gastfreundschaft. In der Pandemie hat sich vieles für den Thüringer geändert, wertgeschätzt fühlt er sich nicht.

Sich gewerkschaftlich zu organisieren, ist schwer in einem Beruf, in dem niemand lange am selben Ort verweilt und Kollegen verschiedene Nationalitäten haben. Der Branchendienst Eurotransport geht von fünf Prozent der Fahrer aus, die in Deutschland gewerkschaftlich organisiert sind. Im Ausland sieht es oft noch düsterer aus.

Pedro Garcia will das ändern. Schon seit 28 Jahren fährt der Spanier in Deutschland. Seit drei Jahren engagiert er sich im Kraftfahrerkreis Freiburg-Offenburg, einer Initiative der Gewerkschaft Verdi. 18 solcher Treffpunkte für Fahrer gibt es bundesweit. In normalen Zeiten tauschen sich die dort organisierten Trucker vier Mal im Jahr aus. Derzeit verhandelt Garcia mit örtlichen Restaurants, um günstige Essensangebote für Trucker zu schaffen. Ein Cordon bleu für 15 Euro ist bei ihrem Gehalt selten drin. Mit einem Kleinbus will er Fahrer herumfahren, damit sie das Wochenende nicht nur an der Autobahn verbringen.

Pedro Garcia, Lkw-Fahrer und ver.di-Gewerkschafter, unterwegs bei einer Weihnachtsaktion, Autohof nahe Freiburg

Gewerkschafter verteilen Weihnachtsgeschenke an Lkw-Fahrer auf einem Autobahn-Rastplatz in der Nähe von Freiburg.

(Foto: Pedro Garcia/oh)

Christian holt auf dem Rastplatz seine Handschuhe aus dem Lkw und liest sorgfältig seine Zigarettenstummel auf. Ein wenig scheint die Sonne noch an diesem Februarnachmittag. Trotz hoher Pensionsbezüge in Österreich wird er bis 65 arbeiten müssen, um das Haus abzubezahlen. Seinen fünf Kindern hat der 52-Jährige geraten, etwas "Vernünftiges" zu machen. Von den beiden jüngsten Töchtern, 14 und 16 Jahre alt, will eine Kindergärtnerin werden, die andere in die Forensik gehen.

Was treibt Männer wie ihn trotz trotz niedriger Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen an? "Man muss das Trucker-Dasein leben", sagt sein Kollege Frank. Und erinnert sich, wie er einmal auf Bilbao zusteuerte. Wie er sich mit 450 PS einen Berg hochkämpfte, seine Maschine "wie eine Dampflok schnaufte". Und er schließlich von der Anhöhe aus das Meer erblickte. "Das entschädigt für vieles."

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