Lösung der Krise:Die Griechen müssen ihren Staat neu bauen

Pro Euro protest in Athens

Wie muss sich Griechenland reformieren? Eine Demonstrantin in Athen.

(Foto: dpa)

Das griechische Drama zeigt, wie weit es mit einem Land kommen kann, wenn staatliche Institutionen versagen. Sparen alleine hilft daher nicht.

Kommentar von Marc Beise

Griechenland, immer wieder Griechenland, so geht das seit Tagen, Wochen und Monaten, es bindet die Arbeitskraft der deutschen und europäischen Politik und beschäftigt die Öffentlichkeit so umfassend, als habe man keine anderen Probleme, als seien der Terror des IS, die Krise in der Ukraine, der Kurssturz in China oder das jahrzehntelange Ausspähen der Bundesregierung durch die NSA nicht so wichtig. Dabei droht als Folge der Griechenland-Krise weder ein globaler Finanzcrash noch die irreparable Beschädigung der Währungsunion oder gar der EU.

Umso ärgerlicher ist es, dass ausgerechnet bei diesem Thema so ausufernd am Kern des Problems vorbeidiskutiert wird. Es ist nämlich gar nicht entscheidend, ob das beinahe bankrotte Land weiter im Euro-Verbund gehalten oder besser in den Grexit gedrängt werden soll. Auch ist der Streit müßig, ob Griechenland trotz oder wegen der bisherigen Rettungsphilosophie "Geld gegen Reformen" wirtschaftlich am Ende ist, anders formuliert: ob den Griechen zu Recht Notprogramme abgenötigt wurden oder ob die Helfer das Land kaputtgespart haben. In Wirklichkeit geht es um etwas anderes: Das griechische Drama zeigt, wie weit es mit einem Staat kommen kann, der keine hinreichenden Rahmenbedingungen hat und dessen Institutionen versagen.

Vor drei Jahren haben die amerikanischen Ökonomen Daron Acemoglu und James A. Robinson ein berühmtes Buch unter dem Titel "Why Nations Fail" veröffentlicht. Warum also Nationen scheitern, untersuchten sie anhand vieler Fallbeispiele von Ägypten über die beiden Koreas bis Zaire, aber Griechenland kommt auf 600 Seiten nicht vor; das könnte sich bei einer Neuauflage ändern.

Es gibt keine gelebte Ordnung

Die Autoren relativieren in ihrem Werk die üblichen Erklärungen für den Aufstieg und Fall von Nationen. Entscheidend sind eben weniger Faktoren wie die geografische Lage, Klima, Kultur oder Religion, sondern maßgeblich ist der Zustand der wirtschaftlichen und staatlichen Institutionen. Nur ein funktionierender demokratischer, pluralistischer und regelgebundener Staat vermag die in jeder Bevölkerung vorhandenen Ideen und Talente voll und für das Gemeinwohl nutzbringend auszuschöpfen. Wie passend ist diese Erkenntnis für Griechenland mit seinen institutionellen Schwächen. Es gibt keinen ausreichend funktionierenden Verwaltungsapparat, kein gerechtes, effizientes Steuerrecht, keine allgemeine Missbilligung von Vetternwirtschaft und Korruption, keine gelebte Ordnung.

Griechenland deshalb schon als failed state zu bezeichnen, wäre übertrieben. Von failed states spricht man eigentlich, wenn die Herrschaftsstrukturen mehr oder weniger komplett zusammengebrochen sind, wenn Chaos und Anarchie herrschen. Der bekannte failed-states-Index der privaten Denkfabrik Fund for Peace, der Länder nach ihrem Risiko für Staatszerfall sortiert, listet auf den ersten Plätzen derzeit den Südsudan und Somalia auf, Afghanistan kommt auf Platz 8. Deutschland rangiert auf dem 165. von 177 Plätzen (den letzten und besten Rang hat Schweden). Griechenland rückt seit Jahren vor und liegt nun schon auf Platz 134.

Das bedeutet nicht Chaos, aber es ist eine Zeitbombe nicht nur für die Griechen, sondern für alle Europäer, gerade für die Deutschen, die als international verflochtene Nation an friedlichen Zuständen auf ihrem Kontinent interessiert sein müssen.

Es braucht jene Strukturen, die Nationen stark machen

Griechenland einfach zu verstoßen, wird daher nicht viel bringen, aber sehr schaden. Es ergibt auch wenig Sinn, bis zur Erschöpfung zu diskutieren, ob man "den Griechen weitere Milliarden hinterherwerfen" soll oder nicht, und ob ein Grexit mit der Möglichkeit der Abwertung einer eigenen Währung gut für das Land ist, weil es griechische Waren preiswerter und international wettbewerbsfähiger machen würde. Die Frage ist doch: Welche Wirtschaft ist dann da noch, um die es gehen könnte? Und in welchem Rechtsrahmen soll Wettbewerbsfähigkeit wachsen?

Europa kann es sich weder moralisch noch politisch leisten, das Land an seiner Südostflanke in Elend und Chaos versinken zu lassen, man wird also so oder so helfen müssen. Wenn Athen aber jemals wieder auf eigenen Füßen stehen soll, dann gibt es nur einen Weg. Es müssen in Griechenland genau jene Strukturen geschaffen werden, die Nationen stark machen und Wohlstand schaffen, kurz gesagt: Es geht um eine soziale Marktwirtschaft mit einem klaren Regelsystem. Die Reformvorschläge, die die Athener Regierung in der Nacht zu Freitag nach Brüssel geschickt hat, sind ein erster Schritt in diese Richtung: Sie will ja nicht bloß sparen, sondern bestimmte Branchen, die bisher verschlossen waren, für den Wettbewerb öffnen; auch eine funktionierende Steuerbehörde will die Regierung Tsipras schaffen. Das ist gut und wichtig - aber zum einen reicht das längst nicht aus; und zum anderen harren auch diese Vorschläge noch der Umsetzung.

Das Land braucht von Europa Ideen, Personal, Geld

Den griechischen Staat neu zu bauen: Das ist ein gigantisches Projekt für die griechische Politik, die dabei jede Unterstützung aus Europa gebrauchen kann, Ideen, Personal, auch Geld. Fairerweise muss man sagen, dass die EU ansatzweise solche Hilfe bereits angeboten hat (die teilweise von griechischer Seite zurückgewiesen wurde), doch verblassten solche Initiativen neben den Sparverhandlungen. Das muss sich nun ändern, spät, aber vielleicht nicht zu spät; denn es geht eben nicht allein darum, den Haushalt in Ordnung zu bringen; es geht vor allem darum, die Wirtschaft in Griechenland in Ordnung zu bringen. Nötig wären dazu weniger Bürokratie, weniger Korruption, mehr Wettbewerb - und ein Staat, dessen Beamte die Steuern eintreiben, anstatt selbst allzu oft die Hand aufzuhalten.

Es müsste eigentlich einleuchten, dass die dazu nötige Aufbauhilfe seitens der Europäer besser organisiert und erfolgreicher umgesetzt werden kann, wenn der Krisenstaat in die europäischen Organisationen eingebunden bleibt. Aber selbst wenn die Verhandlungen scheitern sollten, würde an massiver, aktiver Aufbauhilfe der EU kein Weg vorbeiführen. Das sollten auch alle Scharfmacher, die Griechenland in der Sache durchaus berechtigt kritisieren, dringend begreifen.

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