Lobbyismus in Brüssel:Ein Teppich für Günter Verheugen

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Vor den Abstimmungen des Europäischen Parlaments haben Lobbyisten ihre Arbeit schon getan. (Foto: dpa)

Manche versuchen es mit netten Zuwendungen, andere mit Gutachten über Rechtsanwälte: Etwa 20.000 Lobbyisten arbeiten in Brüssel daran, ihre Interessen durchzusetzen. Die höchste Form der Einflussnahme beherrscht jedoch die Kanzlerin.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Der Weg in die Schatzkammer der Europäischen Kommission ist verschlungen. Man nimmt einen Lift in die oberen Etagen der Behörde, steigt in einen anderen Lift, der nur mit einem Schlüssel bedient werden kann. Für die Tür der Schatzkammer braucht es einen weiteren Schlüssel. Über den wacht ein Beamter, den seine Kollegen "Ali Baba von Brüssel" nennen. Ali Baba also öffnet Besuchern gelegentlich die Schatzkammer der Kommission. In den Regalen liegen sorgfältig verstaute Gaben, die Gäste aus aller Welt mitbringen, wenn sie Kommissare treffen und neben Anreise und Wetter auch über diverse Wünsche und Interessen parlieren.

Weil aber strenge Regeln gelten, wann Kommissare Geschenke annehmen dürfen, erzählen die Geschenke Lustiges und Ernstes über Lobbyisten in Brüssel. Ab einem Wert von 150 Euro müssen die Beschenkten die Gaben registrieren lassen und mitunter sogar abgegeben. Zu den ungewöhnlichsten Geschenken, mit denen eine Regierung einem Kommissar ihre Aufwartung gemacht hat, zählt der Verheugen-Teppich. Als Günter Verheugen als Kommissar die Osterweiterung der EU vorantrieb, unterstrich die türkische Regierung ihr Interesse an einem EU-Beitritt mit einem handgeknüpften, gerahmten Teppich, der das Porträt Verheugens zeigt, mit türkisch anmutenden Zügen.

Politisches Lobbying ist ein Teil der Interessenvertretung, die in Brüssel praktiziert wird. Es gibt drei Methoden, um Gesetze direkt oder indirekt zu beeinflussen. Zunächst das klassische Lobbying. Unternehmen, Kanzleien, Nichtregierungsorganisationen und Verbraucherverbände werben in den Institutionen für ihre Interessen, gern in den Generaldirektionen der Europäischen Kommission und bei den Berichterstattern im Europäischen Parlament. Die Kommission ist die einzige Behörde, die Gesetzestexte vorschlagen darf. Das Parlament muss zustimmen, weshalb jeder Gesetzesvorschlag in der Volksvertretung einen Berichterstatter bekommt, der das Gesetz betreut. Besonders effektiv lobbyieren Tabakunternehmen, Energiekonzerne, Pharma- und Chemieunternehmen, Rüstungskonzerne, Lebensmittelhersteller und Autobauer.

Nicht erst seit der Finanzkrise 2008 wimmelt es in Brüssel von Banken- und Versicherungsvertretern. Einer Statistik des EU-Parlaments zufolge versuchen 700 Finanz-Lobbyisten die europäische Gesetzgebung zu beeinflussen, mit einem jährlichen Budget von 350 Millionen Euro. Sie haben viel zu tun, allein im September sind 107 Gesetzgebungsverfahren für den Finanzsektor offen gewesen.

Ringen um nationale Standortvorteile

Gern genutzt, um Einfluss zu nehmen, werden auch Ministerräte und die jeweils für sechs Monate amtierende Ratspräsidentschaft. Die Minister der Ressorts Justiz, Inneres, Umwelt, Energie, Wettbewerb und andere treffen sich regelmäßig, um die von der EU-Kommission vorgelegten Gesetzesvorhaben abzustimmen. Und so wie ein Unternehmer den Blick darauf richtet, dass ein Gesetz sein Geschäft nicht gefährden darf, richten die Minister ihre Blicke darauf, dass die Gesetze jeweils dem eigenen Land nicht schaden. Sie ringen um nationale Standortvorteile im harten innereuropäischen Wettbewerb und wollen Gesetze entsprechend beeinflussen.

Es ist der Weg, den die Briten wählen, um die in der Londoner City so verhasste Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte zu kippen. Sie bringen über eigene Rechtsanwälte ein Gutachten in die Beratungen ein, in dem Teile der Gesetzgebung für rechtswidrig erklärt werden. Zwar widersprechen die Juristen der EU-Kommission umgehend. Aber der Streit der Anwälte hat den aus London gewünschten Effekt: Alles verzögert sich. Keiner weiß, wie lange.

Oder: Bundesumweltminister Peter Altmaier setzte am vergangenen Montag beim Treffen mit den europäischen Kollegen in Luxemburg durch, dass Grenzwerte für den Ausstoß von Autoabgasen verwässert werden. Weil die deutsche Autoindustrie eine Wachstumsbranche sei, dürfe sie nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, sagte er zur Begründung. Die politischen Mühen aus Berlin flankiert BMW. Die Münchner Autobauer spendieren der litauischen Ratspräsidentschaft kostenlos 180 neue Wagen für die Dauer von sechs Monaten. Die Litauer entscheiden darüber, ob das strittige CO2-Gesetz aufgerufen wird in den Beratungen der Minister - oder nicht.

Schließlich findet in Brüssel die wohl höchste Form der politischen Interessenvertretung statt: Wenn nämlich Staats- und Regierungschefs persönlich dafür sorgen, dass europäische Gesetze nationale Konzerne nicht in die Bredouille bringen und deshalb zu Fürsprechern heimischer Industrien werden. Die Staats- und Regierungschefs sind so gesehen die einflussreichsten nationalen Lobbyisten. Auch Angela Merkel nutzt ihre Macht, um im Sinne der deutschen Autokonzerne Einfluss zu nehmen.

Die Kehrseite: Dafür gibt es praktisch keine demokratische Kontrolle. Staats- und Regierungschefs, die mit persönlichen Textnachrichten oder Anrufen untereinander vertrauliche Vereinbarungen treffen, entziehen sich der. Persönliche Absprachen und politische Gegengeschäfte auf Chefebene, die trotz ihrer Auswirkungen auf die Gesetzgebung weitgehend vertraulich bleiben, vergrößern das ohnehin vorhandene Demokratiedefizit der EU weiter.

Um klassisches Lobbying transparenter zu machen, richteten Kommission und Parlament 2008 ein gemeinsames, freiwilliges Transparenzregister ein. Darin sollen sich Interessenvertreter registrieren, die in Parlament und Kommission lobbyieren. Ihre Zahl wird auf 20.000 geschätzt. Zudem sollen Budgets angegeben werden. Das Problem ist, dass das Register freiwillig ist. Im Sommer zogen die Lobby-Wächter in Brüssel eine negative Bilanz: Freiwillig funktioniert nicht. Vielleicht ein Viertel der bekannten Brüsseler Lobbyorganisationen sind überhaupt registriert. Die europäische Transparenz-Initiative Alter-EU bemängelt, dass Anwaltsbüros, Think-Tanks, aber auch Konzerne und Organisationen fehlen. Angaben seien falsch oder unvollständig.

Der Zustand des Registers sei "trostlos", sagen die Transparenz-Wächter. Mehr als einhundert große Unternehmen, von denen bekannt ist, dass sie in Kontakten mit EU-Beamten stehen, seien in dem Register gar nicht verzeichnet. Dazu gehören Adidas und Apple, die Autohersteller General Motors, Porsche und Nissan, der Bierkonzern Heineken, das Bergbauunternehmen Rio Tinto, Disney und SAP. Auch große Banken fehlen, darunter die spanischen Banco Santander, BBVA und la Caixa; die belgische Belfius (ehemals Dexia), Goldman Sachs, HSBC, die holländische Rabobank sowie die Royal Bank of Scotland und die UBS. (*)

Manche Angaben sind zudem völlig unrealistisch. "Es ist eindeutig nicht glaubwürdig, dass kleinere Unternehmen aus der Druck- oder Kühlschrankbranche mehr Geld für EU-Lobbying ausgeben als weit größere und politisch aktive Unternehmen wie Shell, Google oder BNP Paribas", schreibt die Transparenz-Initiative. Alter-EU-Chef Paul de Clerk fordert deshalb seit langem ein verbindliches Register. Die EU-Kommission, die ein entsprechendes Gesetz vorlegen müsste, sieht die Lage allerdings anders. Antonio Gravili, Sprecher des zuständigen Kommissars, sagte der Süddeutschen Zeitung, ein verpflichtendes Register könne sogar gesetzeswidrig sein. Die Kommission zweifele, dass "wir eine rechtliche Grundlage haben, um das Register verbindlich zu machen".

"Das Gute nicht zum Feind des Perfekten machen"

Wenn aber erst der Vertrag geändert werden müsse, werde sich das Register "um viele Jahre verzögern". In der Zwischenzeit ganz ohne Register zu arbeiten, sei nicht möglich, weil "die Kommission gesetzlich verpflichtet ist, offen und transparent zu sein und bei der Gesetzgebung alle Interessen zu berücksichtigen."

Und dann holt der Sprecher noch zu einer Erklärung aus, die so verschlungen klingt wie der Weg in die Schatzkammer der Kommission es ist: Weil Artikel 11 des Vertrags der Europäischen Union die Kommission verpflichte, bei der Erarbeitung der Gesetze allen zuzuhören, könne kein verpflichtendes Register eingeführt werden. "Wenn wir ein verpflichtendes Register einführen und dann nur mit den Lobbyisten reden, die sich eintragen, und nicht mit denen, die sich nicht eintragen, dann würden wir mit großer Sicherheit das Gesetz brechen". Weshalb Kommission und Parlament beschlossen hätten, "das Gute nicht zum Feind des Perfekten zu machen". Nach Lesart der Kommission ist es also legal, alle Lobbyisten zu empfangen, auch wenn sie sich nicht als solche zu erkennen geben. Und es ist illegal, nur mit den Interessenvertretern zu reden, die das ganz offiziell sind.

(*) Einige Unternehmen haben sich mittlerweile in das Register eintragen lassen, darunter auch die Technologiekonzerne Apple und SAP sowie General Motors. Einen Überblick finden Sie hier.

© SZ vom 18.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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