Süddeutsche Zeitung

Lobbyismus:Die Stunde der Einflüsterer

Die Corona-Krise dient Lobbyisten doppelt als Begründung: Viele von ihnen fordern Geld vom Staat. Und mit Verweis auf die gefährliche Seuche bekämpfen sie unliebsame Vorhaben: beim Umweltschutz oder in der Steuer- und Agrarpolitik.

Von Uwe Ritzer

Welobby macht politische Lobbyarbeit für solche, die keine Lobby haben. Momentan setzt sich die von einem gemeinnützigen Verein getragene, spendenfinanzierte Organisation für Tiny Houses ein. Kleinsthäuser, die einerseits immer beliebter werden, die aber häufig an Vorgaben des Baurechts und der Bauleitplanung scheitern. "Wir arbeiten eigentlich mit Hochdruck an dem Thema", sagt Welobby-Gründer Jan Christian Sahl.

Eigentlich.

"In Zeiten von Corona kommst du mit so einem Thema weder bei Politikern noch in der Öffentlichkeit durch", sagt Sahl. "Und gewaltsam einen Bezug zu Corona herzustellen, wäre lächerlich und unseriös." Andere haben da weniger Schamgefühl. Von der Autoindustrie über den Bauernverband und die Gastronomie bis hin zu Pharma-, Tourismus- und Werbewirtschaft - reihum haben Verbände und Konzerne ihre Lobbyisten in Marsch gesetzt. "Am Anfang der Corona-Krise ging es noch um die Gesundheit der Menschen, jetzt nur noch ums Geld", sagt Christina Deckwirth von der Organisation Lobbycontrol.

Gekämpft wird um möglichst viele jener Hunderten Milliarden Euro, die Bund und EU zur Linderung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verteilen. Darüber hinaus nutzen Lobbyisten die Corona-Krise aber auch, um ihnen unliebsame politische Pläne oder Gesetze zu untergraben und die Rücknahme politischer Entscheidungen zu verlangen. Ihre Kunst bei alledem ist es, Eigennutz glaubhaft als im Sinne des Gemeinwohls darzustellen. Begrifflich ist dann verklausuliert von einem "Belastungsmoratorium" die Rede.

Es gibt ein neues Wort: Verbände fordern derzeit gern ein "Belastungsmoratorium"

So stellen die Autobauer BMW, Daimler und Volkswagen die Verschärfung der EU-Grenzwerte für den Kohlendioxid-Ausstoß in Frage. Der Deutsche Bauernverband und die agrarpolitische Lobbyorganisation "Land schafft Verbindung" wollen ein "Moratorium", um die bereits beschlossene, strengere Düngemittelverordnung samt höheren Nitratgrenzwerten und Anforderungen an das Tierwohl zu Fall zu bringen. Am besten, so heißt es, setze man die EU-Öko-Verordnung gleich ganz aus - das alles vor dem Hintergrund, dass Corona den Bauern so arg zusetze.

Auch Digitalkonzerne, in den USA mittlerweile Spitzenreiter in Sachen Lobby-Ausgaben, nutzen die Pandemie, um in Europa die Rücknahme schärferer Datenschutzvorgaben zu verlangen. Unterstützt werden sie hierzulande vom Branchenverband der Werbewirtschaft ZAW, der über einen "Belastungs-Tüv" bestehende "oder vor der Krise geplante Gesetze und Regelungen" kassiert sehen möchte. Ebenfalls unter Hinweis auf Corona haben die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft Uralt-Positionen wiederbelebt: keine neuen, sondern weniger Steuern und Abgaben, dazu keine "administrativen Zusatzbelastungen" für Unternehmen. Der Verband "Die Familienunternehmer" fordert, der Staat müsse bei sich selbst "rigoros den Rotstift" ansetzen.

Steuern senken, den Staat also um Einnahmen bringen, gleichzeitig aber Milliarden vom Staat verlangen - "man verpackt gerade alles mit Corona", sagt Politologin Deckwirth von Lobbycontrol. "Es ist schwer zu trennen, was tatsächlich durch die Krise verursachter Not geschuldet ist, und in welchen Fällen Corona lediglich als Vehikel zur Durchsetzung alter, davon unabhängiger Forderungen benutzt wird", schreibt die Anti-Korruptionsorganisation Transparency Deutschland in ihrem neuen Rundbrief und warnt: "In diesen Tagen schlägt die Stunde der Lobbyisten wie noch niemals zuvor."

Die Einflüsterer setzen vor allem in den Ministerien oder bei der EU-Kommission an und weniger bei den Abgeordneten. "Im Krisenmodus spielt die Exekutive eine viel größere Rolle", sagt Deckwirth. Soll heißen: Regierung und Kommission entscheiden über Hilfspakete und Rahmenbedingungen in Corona-Zeiten, selten die Parlamente. Aber auch dort zeigt die heftige Lobbyarbeit Wirkung. Die Union im Bundestag stellte bereits die Klimaschutzziele infrage, und die FDP möchte am liebsten die ab 2021 geplante CO₂-Steuer verschieben.

Wie Lobbyisten in diesen Tagen vorgehen, schilderte einer von ihnen, Florian Eckert, in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur. Um erfolgreich politischen Einfluss zu nehmen, sei "ein gutes, verlässliches Netzwerk" unverzichtbar, das man in weniger kritischen Zeiten aufgebaut und stets gepflegt habe. Da nämlich die Politik im Krisenmodus schnell handle, fehle Lobbyisten schlichtweg die Zeit, um Kontakte erst zu knüpfen. Zumal es angesichts der Umstände schwierig sei, Entscheider physisch zu treffen.

Schätzungen zufolge tummeln sich mindestens 5000 Lobbyisten in Berlin. Ihre genaue Zahl kennt niemand, denn anders als bei der EU in Brüssel oder in anderen Staaten gibt es in Deutschland kein Transparenzregister, in das sie sich unter Angabe ihrer Auftraggeber, Ziele und Mittel eintragen müssen. Grundsätzlich ist der Einfluss von Interessenvertretern auf politische Entscheidungen demokratisch gewollt und unverzichtbar. Experten werfen jedoch immer stärker die Frage auf nach den Regeln für das Zusammenspiel und die Waffengleichheit zwischen Lobbyisten und Politik. Denn nachgewiesenermaßen verfügt derjenige über mehr politischen Einfluss, der auch viel Geld in Lobbyarbeit stecken kann. Allein das sorgt für eine demokratische Unwucht, bei der die Interessen finanziell schwächerer Akteure auf der Strecke zu bleiben drohen.

Wobei Lobbyisten nicht nur bei Politikern ansetzen, sondern gerne auch in den administrativen Maschinenräumen: in den Referaten und Abteilungen von Ministerien oder nachgeordneten Behörden, wo Positionen des jeweiligen Ressorts, Gesetze und Regelungen handwerklich erarbeitet werden. Und nicht zuletzt ist auch die Öffentlichkeit immer häufiger Ziel von Lobbyisten, schließlich hat die öffentliche Meinung Einfluss auf die Politik.

Das beginnt mit Begrifflichkeiten, wie das Beispiel Lufthansa zeigt. Neun Milliarden Euro pumpt der Staat in den Luftfahrtkonzern. Tatsächlich wird sich dadurch an der wirtschaftlichen Lage der Lufthansa nichts ändern. Sie wird weiter hohe Verluste machen; auch 2021 wird noch ein schwieriges Jahr für die Airline. Der Zins für die stille Einlage des Bundes kann erst erwirtschaftet werden, wenn sich die Lage stabilisiert hat und die Lufthansa zumindest wieder in die Nähe jener zwei Milliarden Euro Gewinn kommt, die sie in besten Zeiten einflog. Der Bund steigt erst wieder aus, wenn er sein Geld nebst Zinsen zurückbekommt. Das kann lange dauern.

In der Öffentlichkeit ist dennoch stets von der "Rettung" der Lufthansa die Rede. Diesen positiven Begriff zu etablieren und neun Milliarden Euro in einen Konzern zu holen, der an der Börse nur die Hälfte wert ist - so funktioniert Lobbyarbeit.

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Quelle:
SZ vom 02.06.2020
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