Lkw-Kartell:Die Schwerlaster und die Ostmaus

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Tausend Trucks kaufte Reinhardt Töpel bei Daimler und Iveco - nun fordert er per Klage einen Teil des Kaufpreises zurück. Denn die Hersteller waren Teil eines milliardenschweren Kartells.

Von Max Hägler und Klaus Ott

Man ahnt es schon, wegen der Furchen in seinem Gesicht, wegen des schweren Händedrucks: Wenn dieser Mann etwas anpackt, dann so richtig. Als er jung war, im Jahr 1979, wurde Reinhardt Töpel Verwalter von 9000 Hektar Land und 19 Dörfern: Jüngster LPG-Boss in der DDR. Als Aufsichtsratschef des Fußballclubs Carl Zeiss Jena polterte er, dass "nur Totalausfälle" auf dem Platz stünden: Einzig beim Geldabholen seien die Spieler vorn. Seinen aktuellen Ärger formuliert er mit ähnlicher Direktheit: "Ich bin zwar eine kleine Ostmaus. Aber verarschen lassen muss ich mich nicht!"

Verarschen lassen - damit meint Töpel das Gebaren zweier Konzerne: Daimler und Iveco. An die 1000 Lastwagen hat er ihnen in den vergangenen 24 Jahren abgekauft, für seine Spedition namens Reico in Zossen, südlich von Berlin. Doch womöglich zu überhöhten Preisen. Im vergangenen Sommer hatte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Bußgelder gegen fast alle europäischen Hersteller verhängt; insgesamt 2,9 Milliarden Euro.

Über 14 Jahre hinweg sollen sich die Truck-Hersteller unter anderem über die Preise für ihre Gefährte verständigt haben. In dieser Zeit verkauften sie in der EU etwa zehn Millionen Lastwagen. Viele Spediteure, aber auch die Deutsche Bahn und Kommunen fordern nun Schadenersatz, weil sie annehmen, zu viel gezahlt zu haben. Die meisten tun sich dazu zusammen. Töpel indes, diese eher knorrige als kleine Ostmaus, den sie im Geschäft ehrfürchtig Herr Doktor nennen, begibt sich direkt in den Kampf. Und hat sich dazu Anwälte genommen, die gern gegen Mächtige fechten: Bub, Gauweiler und Partner aus München. Töpel ist damit nicht der größte Gegner, aber wohl einer der unangenehmsten.

Die Gerichte müssen entscheiden, ob in den vergangenen Jahren tatsächlich viele Laster mit einem illegalen Preisaufschlag verkauft wurden. (Foto: Arnulf Stoffel/dpa)

Bei einem Frühstück am Firmensitz erzählt er, woher er kommt ("Ich war in der DDR schon ein bisschen privilegiert"), was ihn treibt ("Vor Ihnen sitzt jemand, der noch nie Urlaub gemacht hat, weil ich gern arbeite"). Wobei das Frühstück vor allem aus unzählbar vielen Würsten besteht, verteilt auf Platten, das ganze Zimmer ist voll davon - Töpel ist auch Fleischfabrikant, seit er auf Bitten der damaligen SPD-Landesregierung einen wirtschaftlich angeschlagenen Betrieb übernommen hat. Dazu ein bisschen Brot, Gurken, Butter, schwarzer Kaffee und etliche Zigaretten.

Schon bei der Währungsumstellung habe er Absprachen gespürt, sagt er und schreibt auf einem Papier die Zahlen mit, die ihn damals schon erbost haben: "Im Jahr 2000 zahlten wir zwischen siebzig- und achtzigtausend Euro für ein Auto." Er teilt die Angewohnheit von Truckern, ihre Fahrzeuge Auto zu nennen. "2001 waren es - bei allen - etwa 75 000 Euro." Aber er habe es hingenommen, weiter jedes Jahr 30, 40, manchmal 80 neue Trucks erworben. "Die Verhandlungen sind hart", sagt er, "ich schick die Verkäufer zwischenzeitlich zum Psychiater, dann kommen sie wieder." Ein halbes Dutzend Mal gehe das so. Immer ärgerlicher werde er. "Sie können sich das vielleicht vorstellen?" Durchaus. Um drei bis fünf Prozent ging es letztlich immer runter, bis die Verkäufer sagten: Mehr geht einfach nicht! Wobei Mercedes jeweils fünf Prozent teurer war. Als die Bußgeldzahlungen der Lkw-Hersteller bekannt geworden waren, schrieb er die Manager von Daimler und Iveco an. 1,6 Millionen Euro Schaden sei ihm inklusive Zinsen durch den einen entstanden, acht Millionen durch den anderen. Weil sie die Preise durch Absprachen oben gehalten hätten. Er freue sich über Vorschläge zur friedlichen Einigung. Doch die ist nicht in Sicht. Daimler schickte ein abwehrendes Schreiben. Von Iveco sei mal ein Topmanager gekommen.Schade, dass wir so eine Sache haben, habe der gesagt, aber das müssen die Gerichte entscheiden. Töpel war irritiert: Viele Millionen Euro hat er bei Daimler und Iveco gelassen. Er nahm sich den streitbaren Ex-CSU-Politiker Peter Gauweiler als Anwalt und reichte Klage gegen die Konzerne aus Stuttgart und Turin ein, die sich dazu öffentlich nicht äußern wollen.

Von Reue sei nichts zu spüren bei den Truck-Herstellern, beklagen Töpels Anwälte

Die Quintessenz der Klageerwiderungen vor Gericht lautet jeweils: abweisungswürdig. Es sind umfangreiche Schriftsätze der teuersten Kanzleien. Denn es geht um viel Geld. Die Speditionsbranche spricht von einem illegalen Mehrpreis von etwa 5000 Euro pro Auto und einem Gesamtschaden von mindestens 50 Milliarden Euro. Allerdings haben die EU-Kartellwächter den Lastwagenkunden keine Akteneinsicht gewährt, der Schaden wird jeweils durch Marktsimulationen berechnet.

Von "Klageexzessen" sprechen die Juristen der Hersteller. Und sie stellen darauf ab, dass die EU-Kommission keine Preisabsprachen festgestellt habe, also mithin auch keinen Schaden. Sondern "nur", dass bestimmte Informationen ausgetauscht wurden. Eine "Koordinierung" der Preise sei das, vom Charakter her einer Kaffeerunde nicht unähnlich. Und schließlich bringen beide Kanzleien denselben Vergleich: Wer trotz einer roten Ampel nicht vor einer Kreuzung halte, der müsse ein Bußgeld zahlen. Doch werde damit nicht automatisch jeder, der ab und zu die Kreuzung befahre, in einen Unfall verwickelt und geschädigt. Ein Opfer müsse vielmehr konkret vortragen, es habe einen Zusammenstoß gegeben, der ihn geschädigt habe.

Ein Vergleich, der nach Ansicht von Töpels Anwälten hinkt: Ein Rotlichtverstoß erfolge typischerweise fahrlässig und passiere dem Verkehrssünder meist in einer Ausnahmesituationen, die ihm hinterher leid tue. Die beklagten Lasterhersteller jedoch hätten sich mit ihrem Mitkartellanten mehrmals im Jahr zielgerichtet getroffen, um Einfluss auf dem Markt zu erzielen - dies sei ja auch als wettbewerbswidrig gerügt worden. Als ihre Verkäufer dem Kunden Töpel dann jeweils erzählten, dieser und jener Preis sei die absolute Untergrenze, da hätten sie bei ihm absichtlich und vorsätzlich die Fehlvorstellung ausgelöst, dass dies tatsächlich die Untergrenze sei. Und: "Von der üblichen Reue des Verkehrssünders, der beim Überfahren der roten Ampel erwischt wird, ist im Übrigen bei der Beklagten nichts zu spüren."

Töpel selbst sagt: Einfach nur reden ohne sich abzusprechen, das sei doch nicht glaubwürdig. "Dann hätten sie gar nicht zu reden brauchen." Er führt hinunter auf den Hof, vorbei an Plaketten, in denen Iveco die Treue ihres Kunden rühmt. Stolz zeigt er auf die großen Zugmaschinen, alle sind sie weiß. RT steht in ihren Kennzeichen, seine Initialen. Das Geschäft läuft ja, er könnte es auch gut sein lassen und nach vorn schauen. Kommt nicht in Frage, sagt er. "Wissen Sie: Ich bin sehr dominant erzogen worden, auch mit dem Knüppel." Der Vater war in Sibirien im Gulag, wollte, dass der Sohn des Fuhrgeschäft übernimmt. "Das habe ich dann auch gemacht." Und er habe dabei gelernt: Der zweite, der der nachgibt also, das ist der erste Verlierer. Maus mag er sich nennen, Verlierer nicht.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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