Süddeutsche Zeitung

Lkw-Hersteller in der Krise:Zwangsurlaub bei MAN

Die schwache Konjunktur erreicht einen der größten Lkw-Hersteller Europas: MAN schaltet nach SZ-Informationen für vier Wochen an den Standorten München und Salzgitter die Bänder ab - in Teilen der Verwaltung wird in dieser Zeit nur noch ein Notbetrieb aufrecht erhalten. Betroffen sind mehr als 15.000 Mitarbeiter.

Thomas Fromm und Anna Matt

Angesichts der schwachen Konjunktur greift der Münchner Großkonzern MAN zu drastischen Maßnahmen. Vier Wochen lang will das Unternehmen, das zu den wichtigsten europäischen Nutzfahrzeugherstellern gehört, an seinen Produktionsstandorten München und Salzgitter die Bänder stoppen. Auch in Teilen der Verwaltung der größten Konzernsparte, der Bus- und Lkw-Tochter, soll es nur noch einen Notbetrieb geben. Das geht aus internen E-Mails hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Betroffen sind mehr als 15.000 Mitarbeiter in Deutschland.

Diese Vorgänge werfen einen düsteren Schatten auf den weiteren Verlauf der Konjunktur. Hersteller von Lastwagen spüren in der Regel eine Abschwächung der wirtschaftlichen Lage besonders schnell: Wenn weniger Waren konsumiert werden, müssen auch weniger transportiert werden. Und in der Folge werden weniger Lastwagen verkauft.

Anders Nielsen, Vorstandssprecher der Lastwagen- und Bussparte, stimmte seine Mitarbeiter bereits auf harte Zeiten ein: "Die Märkte für unsere Produktion entwickeln sich nicht so gut, wie es vergangene Prognosen vermuten ließen." Die Lage sei zwar nicht so schlimm wie in 2009, fügte Nielson hinzu. Damals geriet die gesamte Automobilindustrie weltweit ins Schlingern und musste teilweise mit Staatshilfen gerettet werden. Aber Europa sei jetzt als Hauptabsatzmarkt von der Krise erneut betroffen. "Nun ist es wichtig, dass wir angemessen und schnell auf die Situation reagieren", so Nielsen weiter.

Die Schuldenkrise hat vor allem im Süden Europas zu einem Konjunktureinbruch geführt. Allein im September sind in Europa die Neuzulassungen von LkWs um rund 17 Prozent zurückgegangen. Das trifft nicht nur MAN: Zuletzt war es der MAN-Rivale Daimler, der seine Bänder im pfälzischen Lkw-Werk Wörth anhalten musste. Und auch beim schwedischen Konkurrenten Scania rechnen Analysten mit einem deutlichen Rückgang der Verkaufszahlen.

MAN gehört zu den größten Nutzfahrzeugherstellern in Europa. Der MDAX-Konzern erwirtschaftete im Jahr 2011 mit 52.500 Mitarbeitern weltweit einen Jahresumsatz von 16,5 Milliarden Euro. Über 30.000 der Mitarbeiter arbeiten in der LkW- und Bussparte. Erst im Juni 2012 stockte der Volkswagenkonzern seinen Aktienanteil auf über 75 Prozent auf. Seither dürfte auch das Management in Wolfsburg in Sachen Strategie kräftiger mitmischen als zuvor.

Um den Abschwung abzufedern, bittet Nielsen seine Mitarbeiter um "Flexibilität in der Einsatzplanung". 2009 und 2010 lief das auf Kurzarbeit hinaus. Dabei zahlt einen Teil des Gehalts der Staat, das Unternehmen wird so entlastet. Von Kurzarbeit könne derzeit "noch nicht die Rede sein", heißt es zwar im Konzern. Die jetzt verordnete Betriebsruhe kann aber durchaus als erster Schritt in diese Richtung interpretiert werden.

Für die Mitarbeiter bedeutet die Betriebsruhe zwar keine Gehaltseinbußen, sie müssen jedoch Urlaub und Überstunden abbauen. Wenn das nicht reicht, könnten einige Angestellte sogar Minusstunden aufbauen müssen. Die erste Woche der Betriebsruhe wird schon am Montag - pünktlich zu den bayerischen Herbstferien - beginnen. Zudem werden über Weihnachten von 24. Dezember bis zum 11. Januar drei Wochen lang die Pforten geschlossen.

Wie das Unternehmen bestätigte, trifft diese Maßnahme die Standorte München und Salzgitter. Insgesamt arbeiten 12.000 Mitarbeiter in der Lkw-Produktion in Deutschland. Hier soll der Betrieb nicht nur in den vier genannten Wochen, sondern auch an allen Freitagen im November ruhen. Auch mit dieser Maßnahme soll die Produktion weiter gedrosselt werden.

Während Produktionsstopps in der Fahrzeugindustrie durchaus vorkommen, ist es sehr ungewöhnlich, dass auch in der Verwaltung Betriebsruhen vereinbart werden. Doch im größten Konzernsegment, der Bus- und Lkw-Sparte, müssen auch Bürokräfte zuhause bleiben. Betroffen sind davon rund 3800 Verwaltungs-Mitarbeiter am Standort München Karlsfeld.

Einer internen Nachricht an die Mitarbeiter zufolge soll auch in Vertriebs- und Zentralbereichen "die Anwesenheit von Mitarbeiter/innen auf ein Minimum zur Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit zurückgeführt werden". Maximal zu 25 Prozent dürfen die Angestellten Stunden auf ihre Zeitkonten buchen, aber nur dann wenn es "absolut notwendig" ist. Darüber hinaus wird die Gleitzeitvereinbarung für die Jahre 2012 und 2013 ausgesetzt. Bisher durften die Mitarbeiter Überstunden abfeiern, indem sie maximal 20 Tage pro Jahr im Ausgleich dafür frei nehmen konnten.

Den internen Nachrichten an die Mitarbeiter zufolge sind die Maßnahmen mit dem Betriebsrat abgestimmt. Ein Sprecher bestätigte die Einschränkungen in der Produktion. Zum Notbetrieb in der Verwaltung wollte er sich allerdings nicht äußern.

Mit den Maßnahmen will MAN Kündigungen bei Festangestellten verhindern. Die Mitarbeiter könnten sich darauf verlassen, dass Man ein "zuverlässiger Arbeitgeber" sei, schrieb Nielsen denn auch in seiner E-Mail. Bei den Zeitarbeitern ist das Unternehmen hingegen weniger zimperlich: In der Produktion wurden die Verträge bereits aufgelöst, in anderen Bereichen müssen die Mitarbeiter spätestens bis zum Jahresende ihre Schreibtische räumen. Noch im Halbjahresbericht vom Juni gab das Unternehmen bekannt, über 2000 Leiharbeiter zu beschäftigen.

"Leiharbeiter sind immer ein Weg, um sich auf veränderte konjunkturelle Gegebenheiten einzustellen", sagt ein Sprecher. Über den genauen Stand bei der Beschäftigung von Leiharbeitern werde man bei der Präsentation der Quartalszahlen in der nächsten Woche informieren.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2012/fran
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