Großbritannien:Die waghalsige Wette der Liz Truss

Großbritannien: Liz Truss ist seit dem 6. September 2022 Premierministerin des Vereinigten Königreichs und Nachfolgerin von Boris Johnson.

Liz Truss ist seit dem 6. September 2022 Premierministerin des Vereinigten Königreichs und Nachfolgerin von Boris Johnson.

(Foto: Dylan Martinez/Reuters)

Die neue Premierministerin will Wachstum um jeden Preis. Ihr Motto: Koste es, was es wolle. Es ist ein riskanter Kurswechsel.

Kommentar von Alexander Mühlauer

Glaubt man dem britischen Finanzminister Kwasi Kwarteng, dann hat im Vereinigten Königreich "eine neue Ära" begonnen. Und was soll man sagen? Er hat recht. Die neue Regierung ist keine drei Wochen im Amt und hat ihren Platz in den Geschichtsbüchern schon sicher. Mitten in der Energiekrise kündigte Kwarteng die größten Steuersenkungen seit 50 Jahren an, Gesamtvolumen: 45 Milliarden Pfund, also 51 Milliarden Euro. Eine gewaltige Summe. So gewaltig, dass die Finanzmärkte ein vernichtendes Urteil fällten. Und zwar zu Recht.

Der sogenannte "Growth Plan" der britischen Regierung ist eine waghalsige Wette. Die neue Premierministerin Liz Truss will Wachstum um jeden Preis. Ganz egal, was es kostet. Truss riskiert damit, dass die Märkte das Vertrauen in die Regierung verlieren.

Man muss sich noch einmal vor Augen führen, was da am vergangenen Freitag passiert ist. Nachdem Kwarteng das Hilfspaket vorgestellt hatte, fiel der Kurs des britischen Pfunds gegenüber dem US-Dollar auf den tiefsten Stand seit 1985 - am Ende des Tages stand ein Minus von drei Prozent. Mindestens genauso dramatisch war der Anstieg der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen: Binnen einer Woche sind sie um 0,7 Prozentpunkte auf 3,8 Prozent gestiegen.

Eine solche Unruhe kennt man am ehesten in Emerging Markets, aber nicht in einer hoch entwickelten Wirtschaft wie der britischen. Nach dem Aus der Regierung von Boris Johnson war zwar ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel erwartet worden, aber so radikal? Liz Truss verabschiedet sich mit einem Schlag von einem Grundpfeiler konservativer Politik: Sie pfeift auf solide Staatsfinanzen.

Denn da ist ja nicht nur die größte Steuersenkung seit 1972, da ist auch die wohl größte Entlastungsaktion in der jüngeren Geschichte. Truss friert die Preise für Strom und Gas für zwei Jahre ein, damit die Energiekosten bezahlbar bleiben. Ökonomen schätzen, dass die gesamten Hilfsmaßnahmen bis zu 200 Milliarden Pfund (224 Milliarden Euro) kosten.

Um es klar zu sagen: Der staatliche Preisdeckel für Strom und Gas ist dringend nötig. Das britische Modell ist vorbildlich. Die massiven Steuersenkungen sind es allerdings nicht, denn mit ihnen wächst die Gefahr, dass die Inflation weiter steigt.

Schon jetzt liegt die Inflationsrate in Großbritannien bei 9,9 Prozent - so hoch wie in keinem anderen G-7-Staat. Und ausgerechnet jetzt senkt die Regierung die Steuern so massiv wie zuletzt 1972. Die Folge ist absehbar: Wenn die Briten bald mehr Geld in der Tasche haben, werden sie es ausgeben. Die Konsumnachfrage wird zunehmen, was zwar zu Wachstum, aber eben auch zu höheren Preisen führen kann. Damit steigt der Druck auf die Bank of England, den Leitzins weiter anzuheben. Nicht nur für den Staat wird es dann teurer, sich zu verschulden, auch für Bürger und Unternehmen.

Die Reichen im Land sind die größten Nutznießer der Steuerreform

Doch von all dem will Truss nichts wissen. Es sieht so aus, als wolle sie sich trotz Energiekrise nicht davon abhalten lassen, das zu tun, was sie schon immer tun wollte. Nachzulesen in einem Buch, das sie vor zehn Jahren mit Kwarteng und anderen Tories geschrieben hat. Es heißt "Britannia Unchained", und genau darum geht es den beiden nun: Sie wollen ihr Land ökonomisch entfesseln. Und dazu zählen eben Deregulierung und Steuersenkungen im großen Stil.

Wenn man so will, versucht Truss wirtschaftspolitisch an die Zeit von Ronald Reagan und Margaret Thatcher anzuschließen. Dahinter steckt das Konzept der Trickle-down-Ökonomie, das besagt, dass der Wohlstand der Reichsten nach und nach auch in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickert, wenn die Vermögenden ausgiebig konsumieren und investieren. Kein Wunder also, dass die Reichen im Land die größten Nutznießer der Truss'schen tax cuts sind. Der Spitzensteuersatz sinkt von 45 auf 40 Prozent. Dazu passt, dass die von der EU verhängte Obergrenze für Banker-Boni gestrichen wird. Mit am wenigsten profitieren Angestellte, die zur middle class zählen.

Immerhin eines kann man Truss nicht vorwerfen: Dass sie Scheu hat, sich unbeliebt zu machen. Ob das ihre Chancen steigert, die nächste Wahl in zwei Jahren zu gewinnen, wird sich zeigen. Fest steht nur: Die Premierministerin will bis dahin einen Boom entfachen, um das zu bleiben, was sie ist. Koste es, was es wolle.

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