Die Krawatte hat Christian Lindner nur zusammengerollt mitgebracht, für später. Denn hier braucht der FDP-Finanzminister sie nicht, in dem stahlträgerverzierten Co-Working-Space in Berlin-Mitte, den sein Haus ausgesucht hat für Lindners ersten Aufschlag in Sachen #Generationenkapital. Ja, den Hashtag hat das Finanzministerium gleich mitgeliefert für den "Kick-off", weil: keine große politische Debatte ohne Schlagwort.
Und groß soll es werden, was Lindner und Regierung planen, und weshalb der Minister jetzt auf einem Barhocker sitzt, hinter ihm viel Glas und die Aussicht auf den Turm des Roten Rathauses. Denn so fluffig das Setting auch ist: Eigentlich geht es um ein ernstes Thema. Im Kern hat Linder nämlich nicht weniger im Sinn, als die Sicherung der gesetzlichen Rente. Grob gesagt stellt er sich das so vor: Eine Stiftung legt Staatsgeld am Kapitalmarkt an, das "Generationenkapital". Mit zehn Milliarden Euro vom Bund soll es dieses Jahr losgehen; das hatte die Ampelregierung bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, vor allem die FDP hatte die "Aktienrente" gefordert. Dann aber sollen jedes Jahr weitere zehn Milliarden folgen; auch "nicht benötigten Staatsbesitz" will Lindner in den Kapitalstock einbringen, sprich: Bundesbeteiligungen. Mitte der 2030er-Jahre könnten die Renditen dann, so Lindners Kalkulation, die demografiegeschädigte Rentenversicherung erstmals spürbar stützen.
Gemanagt werden soll das Generationenkapital laut Lindner von "unabhängigen Experten". Und zwar von denjenigen, die heute bereits den "Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung" managen - eine Stiftung, aus deren Erträgen die Atommülllagerung bezahlt werden soll.
Im Publikum sitzen am Freitag interessierte, eher jüngere Privatleute, Mitarbeiter von Versicherern, Jugendorganisationen oder die Macherinnen eines Frauenfinanzmagazins. Es gibt Pastrami-Bagels und Kaffeetassen mit BMF-Aufdruck, und Lindner fühlt sich erkennbar wohl.
Einmal zehn Milliarden oder jedes Jahr? Darin sind die Parteien sich noch uneinig
Bei Lindners Koalitionspartnern von SPD und Grünen ist der Wohlfühlfaktor dagegen geringer. Schon am Morgen hat sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit Lindner in einen Wettbewerb darüber begeben, wer nun am besten die Renten sichert und per Presseagentur dpa schon mal die Grundzüge der "Aktienrücklage" vorgestellt, wie sie bei ihm heißt. "Wichtig ist, dass das Geld gut, sicher und langfristig angelegt wird", ließ Heil da wissen - und verwies auch gleich darauf, dass es da noch auf andere Punkte ankomme: dass es weiterhin viele Beschäftigte gibt, genügend Fachkräfte, auch aus dem Ausland - und dass Frauen häufiger oder länger arbeiten.
Dass nun jedes Jahr zehn Milliarden vom Bund für das Generationenkapital fließen, davon war bei Heil nicht die Rede. Und davon steht auch nichts im Koalitionsvertrag. Dort hatten sich die Ampelpartner nur auf einen "ersten Schritt" von zehn Milliarden Euro geeinigt - mehr nicht. Er habe allerdings den Eindruck, dass der politische Wille da sei, fortan jedes Jahr zehn Milliarden für die Zukunft der Renten aufzubringen, versichert Lindner im Co-Working-Space.
Dieser Wille scheint allerdings noch nicht alle Rentenpolitiker der Koalition erfasst zu haben. "Zehn Milliarden jedes Jahr sind so nicht vereinbart", sagte etwa Markus Kurth, der rentenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Kurth hegt schon seit Langem Bedenken gegen das von der FDP betriebene Konzept. Und daran hat sich nichts geändert. "Es ist fraglich, ob dies bei den großen Risiken, die sich absehbar am Kapitalmarkt auftürmen, sinnvoll ist."
Und SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt erklärte, bei den jetzigen Plänen sei vom ursprünglichen Konzept der liberalen Aktienrente "nicht mehr viel übrig" - da hatte Lindner gerade angefangen zu reden.
Am Ende fragt die Moderatorin, ob der Herr Minister den Anwesenden "noch etwas mitgeben" wolle. Der antwortet: "Vielen Dank und einen schönen Tag noch."