Linde/Praxair:Plötzlich auf der Kippe

Die Kartellbehörden haben Bedenken, die Milliardenfusion zwischen den Gaseherstellern Linde und Praxair könnte doch noch scheitern. Manche würde das sogar ziemlich freuen.

Von Caspar Busse

Abfuellung von Fluessiggas CO2 in Tanklastwagen auf dem Betriebsgelaende der Linde AG in Leuna 0

Flüssiggas wird bei Linde in einen Tankwagen gefüllt.

(Foto: U. Grabowsky/imago/photothek)

Bis Freitag vergangener Woche war die Welt in der Münchner Hauptverwaltung von Linde noch in Ordnung: Die geplante Milliardenfusion mit dem amerikanischen Konkurrenten Praxair ist auf gutem Weg, die Umsetzung nur noch eine Frage der Zeit - so dachten zumindest die meisten. Doch dann kam in der Nacht zum Samstag ein brisantes Schreiben von der amerikanischen Wettbewerbsbehörde FTC ("Federal Trade Commission"). Es bestünden Bedenken, man erwarte "zusätzliche Veräußerungszusagen", hieß es darin.

Nun steht das Geschäft plötzlich auf der Kippe. Zusammen wollen Linde und Praxair zum mit Abstand größten Anbieter von Industriegasen aufsteigen, der Zusammenschluss mit einem Wert von 60 Milliarden Euro wäre eine der größten deutsch-amerikanischen Fusionen überhaupt.

"Das ist völlig überraschend und alles andere als banal", heißt es jetzt in München. Bis Ende der Woche müssen nun Linde und Praxair einen langen Katalog von Fragen der FTC beantworten. "Die Gespräche mit der FTC über die erforderlichen Veräußerungszusagen werden mit dem Ziel fortgesetzt, ein für die Beteiligten akzeptables Ergebnis zu erreichen", teilte Linde mit. Doch ob sie zu einem positiven Ende kommen, ist offen. Die Zweifel sind groß. Die Linde-Aktie gab um bis zu zehn Prozent ab, auch Praxair verlor.

Nun gibt es drei große Probleme:

Erstens ist der Zeitdruck enorm. Bis zum 24. Oktober 2018 muss die Fusion unter Dach und Fach sein, dann läuft die vom Wertpapiergesetz vorgegebene Frist aus. "Das Datum ist unverrückbar", heißt es in Verhandlungskreisen. Ob die verbleibenden elf Wochen reichen, um die Bedenken der FTC auszuräumen, ist fraglich. Immerhin sprechen die Beteiligten bereits seit fast einem Jahr. Außerdem müssen noch die Kartellbehörden in anderen Ländern zustimmen.

Zweitens hatten Linde und Praxair zwar vereinbart, dass umfangreiche Geschäftsbereiche verkauft werden, um den Zusammenschluss zu ermöglichen. So war sich Linde bereits mit dem deutschen Konkurrenten Messer über einen Veräußerung der US-Aktivitäten einig. Linde und Praxair haben sich aber auch vorbehalten, die Fusion abzusagen, wenn sie mehr als 3,7 Milliarden Euro Umsatz oder 1,1 Milliarden Euro operativen Gewinn abgeben müssten. Dies könnte nun durch die neuen Auflagen notwendig werden, es bestehe dafür "eine höhere Wahrscheinlichkeit", teilte Linde mit. Natürlich könnten beide Partner vereinbaren, die Fusion trotzdem zu vollziehen, aber dann sind möglicherweise die vereinbarten Synergieeffekte nicht mehr zu erreichen, und die waren den Investoren zugesagt worden.

WIR

Drittens gibt es in den USA offenbar politische Vorbehalte. So werden in Verhandlungskreisen jedenfalls die plötzlichen Bedenken der FTC interpretiert, nachdem bereits so lange gesprochen worden ist. Der neue Konzern würde zwar von den Amerikanern dominiert, aber er soll den Namen Linde tragen und seinen offiziellen Sitz nicht mehr in den USA, sondern in Dublin haben. Das, so die Vermutung, könnte der Regierung von US-Präsident Donald Trump gar nicht gefallen. Gegen politischen Druck ist der Zusammenschluss jedoch kaum durchzusetzen.

Nun versuchen beide Seiten fieberhaft, die Fusion zu retten. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Wolfgang Reitzle, hatte bisher schon das Vorhaben mit aller Macht und gegen viele Widerstände durchgesetzt. Ob ihm das jetzt noch gelingen kann, ist fraglich. Die Nervosität ist jedenfalls groß. Reitzle ist als neuer Chairman vorgesehen, Praxair-Chef Stephen Angel soll den neuen Konzern als Chef führen.

"Linde ist gesund und profitabel und kann auch ohne Praxair leben"

Sollte das Geschäft platzen, müsste Linde allein weitermachen - das aber fänden viele gar nicht so schlimm. Schon bislang gab es viele Kritiker an dem Projekt, nicht zuletzt die Arbeitnehmervertreter von Linde. Die Deutschen hätten sich unter Wert verkauft, monierten auch Aktionäre auf der vergangenen Hauptversammlung. "Sie haben Linde verschachert", sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) Anfang Mai. Nun teilte sie mit: "Linde ist gesund und profitabel und kann auch ohne Praxair leben. Das wäre also kein Fiasko." Es würde sich nun die Frage stellen, ob das Ganze bei weiteren Verkäufen noch sinnvoll wäre. Allerdings stünde das Münchner Traditionsunternehmen - schon 1879 als "Gesellschaft für Linde's Eismaschinen AG" gegründet und seit 30 Jahren Dax-Mitglied - vor einem Scherbenhaufen. Ex-Chef Reitzle müsste wohl gehen, und auch Vorstandschef Aldo Belloni ist nur übergangsweise an Bord.

Ohnehin gab es wohl selten ein Milliardengeschäft, das so viele Schwierigkeiten mit sich brachte. So scheiterte ein erster Anlauf, daraufhin musste der Linde-Vorstand gehen. Der zweite Anlauf lief auch alles andere als glatt. Arbeitnehmer demonstrierten, dann preschte ein Praxair-Vorstand mit negativen Aussagen zu Linde vor, Unterlagen bei der EU-Kommission wurden zu spät eingereicht. Und nun haben sich auch noch die Kräfteverhältnisse verschoben: Inzwischen ist Linde, nach Umsatz ohnehin größer, auch ertragsstärker und wäre womöglich der übernehmende Konzern. Inzwischen brauchen sie in München also den Plan B.

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