Linde:Der aus der Kälte kam

Linde: Eine lange Geschichte (von links unten gegen den Uhrzeigersinn): Unternehmensgründer Carl von Linde, die Werksanlagen in Höllriegelskreuth bei München im Jahr 1909, Angestellte im dortigen technischen Büro und eine Kälteerzeugungsmaschine für den Schlachthof Wiesbaden aus dem Jahr 1883.

Eine lange Geschichte (von links unten gegen den Uhrzeigersinn): Unternehmensgründer Carl von Linde, die Werksanlagen in Höllriegelskreuth bei München im Jahr 1909, Angestellte im dortigen technischen Büro und eine Kälteerzeugungsmaschine für den Schlachthof Wiesbaden aus dem Jahr 1883.

(Foto: Linde)

Carl von Linde war ein Pionier, er erfand die ersten Kühlmaschinen, aus seinem kleinen Unternehmen wurde schnell ein Konzern mit Weltruf. Nun haben bald die Amerikaner das Sagen.

Von Caspar Busse

Er ist einer dieser Macher, den man heute als Start-up-Gründer feiern würde. Ihm gelang, wovon so viele gerade heute wieder träumen: Er machte aus einer komplexen Idee eine Firma mit Weltruf. Carl von Linde, der 1897 in den Adelstand erhoben wurde, kommt 1842 als Sohn eines lutherischen Pfarrers in Oberfranken auf die Welt und zieht später mit seinen Eltern und den acht Geschwistern ins Allgäu. In Kempten besucht er das humanistische Gymnasium (das heute nach ihm benannt ist) und studiert anschließend in Zürich und München. 1871 veröffentlicht Carl von Linde einen Aufsatz über neue Kältetechnikverfahren. Er arbeitet an einer Innovation - Kühlen ohne Natureis, wie damals üblich. Die in München ansässigen Bierbrauer interessieren sich sehr dafür. Für die Spaten-Brauerei liefert er versuchsweise die ersten Kühlmaschinen.

1879 dann gibt Linde seine sichere Position als Universitätsprofessor auf und gründet zusammen mit zwei Brauern ein Unternehmen, die "Gesellschaft für Linde's Eismaschinen AG". Linde wird als "hart arbeitender Mann von schmächtiger Gestalt" beschrieben, der mit "periodischen körperlichen Zusammenbrüchen" kämpft. Er bringt seine Patente ein, seine Partner das Kapital. Und die Firma nimmt einen schnellen Aufschwung und wird bald Marktführer. Im Süden Münchens wird ein großer Produktionsstandort errichtet, 1934 stirbt Linde, sein Sohn hatte da schon die Firma übernommen. Das Geschäft wächst und wächst, bald wird in Aschaffenburg auch die Herstellung von Gabelstaplern aufgenommen.

Seit 1965 firmiert der Konzern unter Linde AG, 1976 steigt Hermann Linde als Konzernchef aus. Damit kommt ein Familienfremder an die Spitze, Hans Meinhardt, der als Vorstandsassistent begonnen hat. Linde wird ein Mischkonzern und ist von Anfang an Mitglied im Deutschen Aktienindex (Dax), in dem die 30 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland notiert sind.

Da schließt sich ein Kreis: Praxair wurde einst von den Münchnern gegründet

Nun aber, 137 Jahre nach der Gründung, könnte das Traditionsunternehmen seine Unabhängigkeit verlieren: Die Münchner wollen mit dem US-Konkurrenten Praxair - übrigens 1907 von Linde in den USA gegründet, dann aber getrennte Wege gegangen - fusionieren. Wird mehr übrig bleiben als der traditionsreiche Name? Wohl kaum. Die Hauptverwaltung wird in den USA sitzen, neuer Konzernchef wird Steve Angel von Praxair. Auch wenn die Führungsgremien paritätisch besetzt werden sollen: Linde wird amerikanisch. Die Sorge bei den Arbeitnehmern von Linde ist groß. Es gebe "erhebliches Spannungspotenzial", so Konzernbetriebsratschef Hans-Dieter Katte, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Man werde um die Mitbestimmung und die Firmenkultur kämpfen. Einen ersten Anlauf zur Fusion hatten die Arbeitnehmervertreter zusammen mit dem inzwischen geschassten Finanzvorstand Georg Denoke noch verhindert.

Klar ist derzeit nur, dass der Zusammenschluss zwar als "Fusion unter Gleichen" angelegt ist. Trotzdem werden die Amerikaner in Zukunft weitgehend das Sagen haben. Es sind zwei unterschiedliche Unternehmen, die da zusammenkommen und künftig mit Abstand der Weltmarktführer bei technischen Gasen sein werden. Linde hat einen viel höheren Umsatz als Praxair, dafür sind die Gewinne und die Börsenbewertung niedriger. Praxair wiederum ist profitabler und an der Börse beliebter. Regional ergänzen sich die beiden Unternehmen allerdings gut: Praxair ist in den USA stark, Linde in Europa und Asien. Der gerade erst zum Linde-Chef berufene Aldo Belloni - er wurde für die Verhandlungen extra aus dem Ruhestand zurückgeholt - sagte, man wolle "ein global führendes Unternehmen für Industriegase schaffen".

Das Milliardengeschäft - der neue Konzern wird an der Börse mehr als 60 Milliarden Euro wert sein - ist vor allem ein Werk von Wolfgang Reitzle, 67, der auch neuer Verwaltungsratsvorsitzender werden soll. Seit Mai ist er Chefaufseher von Linde, von 2003 bis 2014 führte er den Vorstand - und baute Linde um wie keiner vor ihm. Der Nach-Nachfolger von Meinhardt zog nicht nur mit der Hauptverwaltung aus einem schlichten Bürohaus in Wiesbaden in einen modernen Glaspalast in der Innenstadt von München. Er verkaufte auch das Gabelstaplergeschäft, das heute unter dem Namen Kion an der Börse erfolgreich ist. Und er erwarb den britischen Konkurrenten BOC und machte Linde damit zum Weltmarktführer.

Reitzle war mal Entwicklungschef von BMW, brachte damals den ersten Geländewagen auf den Markt, dann wechselte er zu Ford und war für Jaguar und Aston Martin zuständig. 2002 kam er zu Linde und machte aus einem langweiligen Mischkonzern ein Erfolgsmodell, die Aktie jedenfalls ging deutlich nach oben. Nun aber opfert er die Unabhängigkeit. Nicht alle glauben, dass das auch notwendig gewesen ist. Reitzle verhandelte den Zusammenschluss aus einer Position der Schwäche. Es gab Führungsquerelen, es musste ein Sparprogramm eingeleitet werden. Nun soll auch noch der Anlagenbau mit etwa 7000 Mitarbeitern ausgegliedert werden - späterer Verkauf nicht ausgeschlossen. Keiner weiß, was wohl Carl von Linde zu alldem gesagt hätte.

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